Nur 286 Millionen Euro. Diese Zahl sorgt für Unruhe in der deutschen Fintech-Szene. Exakt dieser bescheidene Betrag floss laut Startup-Barometer von Ernst & Young (EY) im ersten Halbjahr 2023 an die Startups der Finanzindustrie – einschließlich der verwandten InsurTech-Sparte. Das entspricht nur noch gut einem Drittel der Investitionssumme des Vorjahreszeitraumes. Der Einbruch übertrifft sogar die mageren Gesamtzahlen anderer Branchen. EY verzeichnet eine knappe Halbierung der in Deutschland getätigten Investitionen auf drei Milliarden Euro im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022. Noch mehr Bauchschmerzen macht der Rückgang beim Blick auf das Jahr 2021. Damals kamen in den gesamten zwölf Monaten alleine für Fintechs 3,767 Milliarden zusammen.
Fintechs müssen mit weniger auskommen
Kaum anzunehmen, dass in der zweiten Jahreshälfte auch nur annährend dieser Betrag noch erreicht wird. Geht ihnen nun der Treibstoff aus? Niedrige Bewertungen, kaum Ausstiegsmöglichkeiten, aber auch der Kollaps relevanter US-Geldhäuser wie der Silicon Valley Bank und diverse Kryptopleiten ließen Investoren gerade bei Fintechs vorsichtig werden. Hoffnung macht allenfalls das Thema Künstliche Intelligenz (KI). Sie könnte die Phantasien von Kapitalgebern beflügeln, wenn es den Fintechs gelingt, damit Mehrwerte für Nutzer zu schaffen. Anknüpfungspunkte finden sich in beinahe allen Bereichen des Bankwesens, besonders auf den Feldern Cybersecurity, Regtech und Wealthtech. Generell erwarten Wirtschaftsanalysten jedoch weiterhin ein zurückhaltendes Investitionsklima. Denn die gegenwärtigen geopolitischen und makroökonomischen Gegebenheiten bleiben wohl auch im weiteren Verlauf des Jahres im Wesentlichen gleich. Was sich hingegen allmählich verändert, sind die politischen Rahmenbedingungen. Mit der im Februar verabschiedeten European Tech Champions Initiative wollen führende EU-Staaten Geld bereitstellen, um einen Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Europas zu leisten. Insgesamt 3,75 Milliarden Euro fließen in einen gemeinsamen Topf, der deutsche Anteil beträgt eine Milliarde Euro.
Der weite Weg zur „Gründerrepublik“
Doch damit nicht genug: Bereits im vergangenen Sommer beschloss die Bundesregierung Tempo auf dem Weg in die „Gründerrepublik“ Deutschland zu machen. Mit Einführung einer nationalen Startup-Strategie legte sie einen umfassenden Maßnahmenkatalog vor. Die neuen Instrumente sollen den Zugang zu Förderungen und Finanzierungen unbürokratisch und schnell ermöglichen.
Dazu gehört, dass Gründungen vollständig digital und möglichst innerhalb von 24 Stunden umsetzbar sein müssen. Auch die Zugangshürden zu öffentlichen Aufträgen sollen für junge Unternehmen erheblich sinken. Mitte August hat das Bundeskabinett endlich einen Entwurf für ein wichtiges „Zukunftsfinanzierungsgesetz“ verabschiedet. Damit sollen sich auch für Startups die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern. Die Ein-Jahres-Bilanz in Sachen nationaler Startup-Strategie fällt gegenüber den ambitionierten Zielen jedoch ernüchternd aus.
Zu wenig Tempo und zu wenig Priorität auf Zukunftsthemen, lautet das einhellige Urteil. Vor allem das Thema KI finde zu wenig Beachtung, bemängeln Insider. Mit Spannung wird der offizielle Monitoringbericht der Bundesregierung im September erwartet, der naturgemäß positiver ausfallen dürfte.
Dass es auch anders geht, zeigt der Blick nach Frankreich. Jenseits des Rheins machte Staatspräsident Macron das Gründen von Anfang an zur Chefsache. Anreize im Steuerrecht, ein „Tech-Visum“ für Fachkräfte und ein attraktives Vergütungsmodell bei der Beteiligung von Mitarbeitern haben dazu beigetragen, den Rückstand auf Deutschland zu verringern. Aber, ob Paris oder Berlin künftig als Einhorn-Hauptstadt die Nase vorne hat, wird die Zukunft zeigen. Wie geht es mit Deutschland insgesamt als Startup- und Fintech-Standort weiter?
Vertreter von Banken sowie Fintechs, Investoren und Entscheider werden dieser Frage am 13. und 14. März in Berlin nachgehen – auf der FintechWorld24.