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“Embedded Insurance ist mehr als ein bedarfsorientiertes Produkt”

Produkte und Absicherungslösungen rücken immer dichter zusammen, so lassen sich immer öfter Versicherungen direkt beim Erwerb eines Objektes abschließen – oft geschieht dies ohne, dass der Kunde es bemerkt. Sind diese Embedded Insurances die Zukunft der Versicherungsbranche? Wie viel Potenzial in dem Versicherungsmodell steckt, erläutert Stefan Riedel von adesso SE im Interview.


Embedded Insurance

BANKINGNEWS: Embedded Insurance entwickelt sich aktuell zum Trendthema. Die Frage ist, ist es ein guter Trend oder ein schlechter, wenn man bedenkt, dass Banken und Versicherungen so eventuell zu White-Label-Anbietern degradiert werden?
Stefan Riedel: Embedded Insurance findet einfach statt. Man muss manchmal auch Dinge annehmen, wie sie passieren. Es gibt Auguren, die sagen, dass zum Beispiel 25 Prozent aller Sachversicherungen zu Embedded Insurance werden würden. Ob das wirklich so kommt oder nicht, weiß natürlich keiner. Aber Embedded Insurance heißt ja nichts anderes als, dass ich irgendeinen Geschäftsvorgang habe, in dem ich eine Versicherung integriere. Das kann ein Bank- oder Zahlereignis oder ein Absicherungselement beim Kauf einer physischen Ware sein. Wenn ich etwa die berühmt berüchtigte Siebträger-Maschine für 10000 Euro kaufe, dann will ich gleich meine Hausratversicherung mit dazu kaufen.
Wem nutzt es primär, dass es das gibt? Dem Kunden. Und wenn es dem Kunden nutzt, dann nutzt es auch einem Unternehmen, denn man unterstützt das Kundenbedürfnis. Das heißt, Embedded Insurance ist mehr als ein bedarfsorientiertes Produkt. Ich kann damit präzise akquirieren und schneller auf das Einzelbedürfnis eingehen. Aber dadurch werden die Losgrößen immer kleiner.

Welchen Kundennutzen sehen Sie besonders im Vordergrund?
Es findet ein bedarfsorientierter Austausch statt. Ich kann mich öfter und häufiger mit dem Kunden auseinandersetzen. Wenn ich etwa Microinsurance bei einer Kaffeemaschine mache, verkaufe ich sie mit der Police weiter? Dann entsteht die Frage der Provisionierung. Werde ich als Kunde dann tatsächlich zum Makler der inkredierten Versicherung für das Kaufobjekt? Da kommen viele komplexere Prozesse auf, aber, wie gesagt, auch mehr Interaktionspunkte. Denn ich habe einen Lead generiert und der Käufer kann den Versicherungsmakler kennenlernen und somit wieder mit ihm in Aktion treten.

Wenn die Versicherung übertragen wird, dann schon. Aber es kann ja auch sein, dass sie personengebunden ist.
Klar, es gibt eine engere Verzahnung mit häufigeren Frequenzen, also muss man sich technologisch mehr automatisieren. Wir müssen digitalisieren, sonst ist der Prozess nicht mehr bezahlbar. Und das ist dann die Veränderung, bei der die Gefahr besteht, dass ich damit zum reinen Risikoträger degeneriere. Und ja, eine Marke könnte dann weniger bedeutsam sein als im klassischen Modell. Das gibt es bereits, denn wenn ich bei BMW oder VW ein Auto inklusive Insurance kaufe, weiß ich vielleicht gar nicht, ob da die Allianz oder die Zürich involviert ist. Aus Sicht des Kunden ist das auch erstmal nicht relevant. Aus Sicht des Versicherers ergeben sich so aber auch neue Möglichkeiten, da ganz andere Hebel existieren, mit denen man Embedded Insurance verkaufen kann.
Der Vorteil ist, dass der Kunde wählen kann. Er kann auch eine All-you-can-eat-Flatrate als Autoversicherung haben. Ein Kunde kann ganz spezifisch sagen, was ihm wichtig ist und faktisch abwägen.

Ein guter Makler würde dann vielleicht sagen, dass er den Kunden nicht nach einem Standardtarif versichert, sondern den Gesamtwert der Wertgegenstände im jeweiligen Haus absichert.
Man muss trennen zwischen dem Kundenobjekt und dem Versichern eines potenziellen Risikos. Das kann ich jetzt entweder sehr spezifisch tun, dann sind wir bei Embedded Insurance, oder ich habe eine flächige Gesamtabsicherung. Bei einer spezifischen Versicherung kann ich bedürfnisorientiert auf die Wünsche des Kunden reagieren. Das ist ja immer eine Grundsatzentscheidung für ein Unternehmen. Mache ich bei diesem Trend mit oder lasse ich es sein? Und wenn ich es sein lasse, dann schneide ich mich von einer bestimmten Klientel oder bestimmten Kaufereignissen ab und entscheide strategisch, dass ich in diesem Segment nicht mitspielen will.

Also ich entscheide strategisch als Versicherer, ob ich bei Angeboten anderer Anbieter mit meiner Versicherung inkludiert sein möchte, verliere aber den Markenwert und der Kunde ist im Gegenzug gut versichert?
Ja, auf der einen Seite das Risiko, auf der anderen Seite differenziere ich mich über Produkte und Fähigkeiten. Es ist ein zunächst einmal ein inkludiertes Risiko, das ich habe. Aber dadurch, dass ich spezifisch Microinsurance machen kann, kann ich vielleicht sogar auskömmliche Preise realisieren. Da ist eben kein Makler, den ich mit einer Abschluss- und einer Bestandsprovision unterstützen muss. Das heißt auch, dass sich das Provisionsthema verändert. Mit Embedded Insurance kann ich signifikant meine Vertriebskosten reduzieren. Das kann ich an Endkunden weitergeben, aber auch meine eigene Profitabilität fördern. Es gilt immer gleiche: Ich habe den Trend und ich stütze damit die Konsolidierung am Point of Sale. Das ist das Risiko. Die Chance liegt darin, sich über das spezifische Produkt zu differenzieren. In der Regulierung könnte die Stunde schlagen, um mich zu positionieren als jemand, der jetzt weitere Services drumherum leistet. Wenn ich im Moment bei Embedded Insurance die Chance habe, auch über Natural Restitutionen und entsprechende Elemente, andere Assekuradeur-Leistungen hinzufügen kann, kann ich meine Marke wieder realisieren. Ein Beispiel: Schauen wir auf das beklagenswerte Hochwasser. Hier kann ich dann mit einem Handwerker-Service dazukommen und mich als Schadensregulierer mit meiner Marke anders positionieren. Meine Marke verschiebt sich von einer reinen Vertriebsmarke für ein Versicherungsprodukt hin zu einem Lebensbegleiter. Diese Änderung wird durch Embedded Insurance getrieben. Embedded Insurance wird wiederum getrieben durch verfügbare Technologien und durch das veränderte Kundenverhalten.

Das Thema Bancassurance erlebt momentan eine Renaissance. Ist diese Kombination Embedded Insurance und Bancassurance eine Chance die Finanzbranche?
Also meine These wäre, ja. Unternehmen haben immer die Chance, damit Leistungen und Wertschöpfungsketten zu verknüpfen und zu konvergieren. Die Kunst ist, es nicht auf den reinen Produktverkauf zu reduzieren. Man muss das Produkt in einen Kontext setzen, beraten und aufzeigen, was alles berücksichtigt wird. Und dann den Kunden entscheiden lassen, ob er diesen Rat annimmt. Wenn er einfach nur eine Police kauft, ist das zwar ein kurzfristiger Erfolg, der sich aber auf die Kundenbindung nachteilig auswirken wird. Ich brauche also die Beratung.

Beispiele gibt es genügend: eine Haftpflichtversicherung in ein Girokonto oder einen Autokredit in eine Autoversicherung einbauen. Aber bei der Restkreditversicherung und bei Versicherungsleistungen in der Baufinanzierung, haben wir gemerkt, dass der Regulator irgendwann sagt, dies sei zu undurchsichtig für den Kunden. Könnte das aus Sicht der Anbieter eine Sackgasse sein?
Bei gegebener Rechtslage bringen solche Themen immer Rahmen mit. Wenn ich Rahmenbedingungen als Basis für die Kalkulation eines Produktes oder entsprechender Serviceleistung nehme und die Rahmenbedingungen sich dann radikal ändern, habe ich tatsächlich ein Produktproblem. Ich kann mich dagegen nur absichern, indem ich solche Ergebnisse besser antizipiere und die Änderungen durch die Regulierer offen kommuniziere. Die äußere Welt neigt dazu, die Versicherungswirtschaft ab und zu mit dem Sozialversicherungssystem zu vergleichen. Das eine ist ein wirtschaftlich agierendes Unternehmen, das ein Produkt kalkuliert und eine Leistung verspricht. Das andere arbeitet auf einer kalkulatorischen Basis für das Sozialversicherungssystem, der Staat steht dafür ein. Das ist eigentlich nicht die Kernidee der Versicherung und das vermischen wir häufig. Und wenn sich Spielregeln ändern und etwa plötzlich entschieden werden würde, dass hier Kapitalerträge plötzlich versteuert werden, dann ist das eine signifikante Veränderung, die ich eigentlich nur schwer dem Versicherer vorwerfen kann.

Der Finanzbranche fällt es immer noch schwer, sich zu digitalisieren. Kann Embedded Insurance in Deutschland überhaupt funktionieren? Ist das wirklich ein Treiber der Digitalisierung?
Embedded Insurance ist natürlich ein Digitalisierungstreiber. Und im nächsten Schritt kann der, der sich schnell digitalisiert, bei Embedded Insurance besser partizipieren. Doch man kauft sich auch die schon besprochenen neuen potenziellen Risiken mit ein. Embedded Insurance ist eine Substitution von heute anders abgeschlossenen Insurances. Es ist ein Treiber auf der Wegstrecke, die ich ohnehin gehen muss, damit ich über die Elektrifizierung zur Prozessautomatisierung, zur Nutzenorientierung und dann schließlich zur verhaltensorientierten Reaktion auf den Kunden komme. Man kann die Dinge anders machen, weil sie elektrifiziert wurden. Dann komme ich in die Produktinnovationen. Und danach erst zur berühmt berüchtigten Kundenzentrierung. Wenn ich auf ihren Bedarf und die persönlichen Rahmenbedingungen wirklich spezifisch eingehe, können kundenzentrierte Produkte anboten werden. Und hier findet sich an der Spitze unter anderem Embedded Insurance. Da haben wir im Kern der Versicherung ein wirkliches pay-as-you-live-Modell.

Wie gehen Unternehmen in Zukunft damit um, wenn bei diesem Thema von Diskriminierung durch Verbraucherschützer oder Kritiker gesprochen wird?
Dem kann ich nur mit absoluter Transparenz begegnen. Natürlich muss ich immer die Einwilligung einholen. Das ist die Grundvoraussetzung von allem.

Das würde aber bedeuten, dass potenzielle Kunden ohne Einwilligung trotzdem eine Versicherung zum Standardtarif erhalten? Und wäre das nicht ebenso diskriminierend?
Wenn ich 99 Jahre alt bin und versuche mich noch abzusichern, dass ich innerhalb der nächsten 20 Jahre sterbe, wird das schwer. Aber wenn die Gesellschaft will, dass so etwas trotzdem abgesichert wird, sind wir wieder im Bereich der Sozialversicherungen. Auf der einen Seite muss man immer die Meinung einholen und muss transparent aufzeigen, wie sich das Produkt zusammensetzt. Warum kriege ich als Mittfünfziger im Zweifel keine Krankenvollversicherung? Und warum ist sie für mich teurer als für einen 23-Jährigen? Gegen genau diese Diskriminierung kann ich als Gesetzgeber angehen. Dann ist eine Regelveränderung nötig. Und in jedem Fall muss es aber auch statthaft sein, gemäß dieser neuen Regel Risiko, und Policen entsprechend neu zu kalkulieren. Und auch dann gilt wieder: transparent sein.

Embedded Insurance

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