BANKINGNEWS: Herr Sixt, Ihre Unternehmensberatung ist spezialisiert auf Banken und Versicherungen. Welche Themen fragen die Unternehmen in Zeiten der Corona-Krise am stärksten nach?
Sven C. Sixt: Aktuell erleben wir in zwei Feldern eine besonders starke Nachfrage. Das eine betrifft alles, was mit der Optimierung der Kundenschnittstelle zu tun hat. Das reicht von digitalen Onboarding-Prozessen bis hin zur Optimierung von Servicecenter-Prozessen. Interessant ist zum Beispiel, dass im Zuge der Corona-Krise effiziente Lösungen wie die von NECT deutlich pragmatischer eingesetzt werden dürfen, obwohl die BaFin-Genehmigung noch aussteht. Zum anderen werden schnelle Lösungen für die effiziente Bearbeitung von Marktfolge-Prozessen benötigt. Im Segment der Kreditprodukte für Firmenkunden gilt es, die extrem hohen Antragsvolumina schnell und möglichst automatisch zu bearbeiten, ohne bei den Prüfroutinen zu große Zugeständnisse machen zu müssen. In der Immobilienfinanzierung arbeiten wir daran, die Antragsstrecken dort wo bisher noch ein persönliches Gespräch mit dem Bankberater gewünscht und erforderlich war, vollständig zu digitalisieren.
Wie arbeiten Sie derzeit in den Projekten? Welche organisatorischen Veränderungen hat es im Berufsalltag der Berater gegeben?
Unsere Kunden haben in der Regel einen Mischbetrieb aus „on-site“ und Home-Office eingeführt und das gilt auch für unsere gemeinsamen Projekte. Ich bin beeindruckt davon, wie schnell unsere Kunden nicht nur die technische Umstellung geschafft haben, sondern auch, wie schnell Video-Calls und der Einsatz kollaborativer Tools Routine geworden sind. In der Gesamtschau laufen unsere Projekte anders, aber wie geplant weiter.
Wie schützen Sie Ihre Mitarbeiter und Kunden angesichts der großen Ansteckungsgefahr durch das Virus?
Wir haben sowohl unseren Innendienst als auch die Arbeit in Kundenprojekten schon im März zu mehr als 80 Prozent ins Home-Office verlagert. Vermutlich wird dieser Modus noch eine Zeitlang beibehalten. Ich vermute, dass dann sukzessive eine Lockerung stattfindet. Aber wie alle fahren auch wir auf Sicht und werden uns den Gegebenheiten anpassen. Wenn physische Kontakte stattfinden, achten wir auf Distanz und regelmäßige Desinfektion. Eine lobenswerte Begleiterscheinung sind die unterschiedlichen neuen Formen der Begrüßung – bei uns ist derzeit ein von aneinander gelegten Händen begleitetes Namasté beliebt.
Beratung ist People’s Business. Wie verändern die von der Regierung getroffenen Maßnahmen die Management- und Strategieberatung für Banken und Versicherungen?
Über langfristige Veränderungen ließe sich im Raum zwischen „Rückkehr zum Vor-Corona-Status-quo“ und „vollständige Virtualisierung des menschlichen Kontakts“ über alles spekulieren. Wobei beides theoretische Extrema sind. Vermutlich werden wir als Gesellschaft bewusster mit der Idee „Schwarzer Schwäne“ umgehen und uns aktiver auf diese Situation vorbereiten. In Summe könnte das langfristig mehr Stabilität bringen. Zwischenmenschlich werden wir vielleicht einige Routinen ändern, die zu mehr kollektiver Hygiene führen. Beides keine schlechten Veränderungen. Was das Beratungsgeschäft angeht, erwarte ich eine Beschleunigung der Digitalisierung. Nach einer Welle punktueller Initiativen, wie der Digitalisierung der Kundenschnittstellen, erwarte ich ein Umdenken zu einer konsequenteren Digitalisierung der Geschäftsmodelle. Geschäftsstellen und Filialen werden noch stärker infrage gestellt, aber auch die Erweiterung der Bankdienstleistung in Richtung eines stärkeren Denkens in Ökosystemen wird kommen. Denn dies bietet mehr Standfestigkeit in Krisenzeiten.
Große Beratungsunternehmen haben den Kundenkontakt schon beschränkt. Aber kann man das in diesem Business wirklich machen und trotzdem erfolgreich Projekte realisieren?
Es gibt wenige Geschäftsmodelle, die dauerhaft ohne persönlichen Kontakt der anbietenden Mitarbeiter und der Kunden funktionieren. Für die Beratung zeigt sich, dass der Kontakt, gerade bei bestehenden Kundenbeziehungen, deutlich reduziert werden kann, ohne dass die Wirksamkeit der Beratungsleistung eingeschränkt wird. Ganz drauf verzichten wird man jedoch auch auf Dauer nicht können – und auch nicht wollen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und lebt auch von der Nähe zu anderen.
„Es gibt wenige Geschäftsmodelle, die dauerhaft ohne persönlichen Kontakt der anbietenden Mitarbeiter und der Kunden funktionieren.“
Sie sprechen mit vielen Vorständen in Banken und bei Versicherungen. Was sind im Vier-Augen- und Zwei-Meter-Abstands-Gespräch in Zeiten der Corona-Krise die drängendsten Fragen an Berater?
Aktuell sind natürlich vor allem operative Herausforderungen zu meistern. Fragen sind: Wie schaffe ich das stark gestiegene Volumen im Kreditbereich? Welches ist die optimale Filialstruktur und Ausstattung? Wie sichere ich meine Mitarbeiter, die direkten Kundenkontakt haben? Bald jedoch werden diese Fragen aber nicht nur mit einer akuten, sondern mit einer grundsätzlichen Tonalität gestellt werden. Dann wird das Geschäftsmodell hinterfragt und ich erwarte tiefe Einschnitte – vor allem in den Filialen.
Ihr Unternehmen feiert 2020 das 20-jährige Jubiläum. Haben Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn jemals etwas Vergleichbares erlebt wie jetzt in Zeiten der Corona-Krise?
Etwas Vergleichbares habe ich tatsächlich noch nicht erlebt – selbst die Finanzkrise 2008 hatte andere Grundzüge. Wenn ich versuche, mir von der aktuellen Lage ein Bild zu machen, dann ist das noch etwas surreal. Ich vermute, dass wir erst mit Abstand ein klareres Bild zu den heftigsten Auswirkungen der Corona-Krise haben werden. Dann aber erwarte ich durchaus auch positive Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die Wirtschaft wird jedoch lange an den tiefgreifenden Eingriffen, die erforderlich waren, zu arbeiten haben.
Eine Umfrage des Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU im März hat ergeben, dass 72 Prozent der Unternehmensberatungen – noch – an ihrer ursprünglichen Umsatzprognose für 2020 festhalten. Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus?
Wir begleiten unsere Kunden von der Strategieentwicklung bis zur Umsetzung und unterstützen sie auch bei der Entwicklung digitaler Lösungen. Dabei spüren wir kundenseitig eher den Wunsch, diese Lösungen zu beschleunigen, da sie bei der Bewältigung der Auswirkungen durch das Coronavirus helfen. Eine Prognose wäre meines Erachtens derzeit nicht aussagekräftig, denn unsere gesamte Gesellschaft fährt aktuell auf Sicht. Noch ist unklar, wie lange die Einschränkungen des täglichen Privat- und Arbeitslebens dauern werden. Dauern sie lange, ist es möglich, dass es zu einem Einfrieren von Projektaktivitäten führen kann.
Interview: Thomas Friedenberger