BANKINGNEWS: Herr Tolckmitt, seit 2009 sind Sie Hauptgeschäftsführer im Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp). Haben sich die Aufgaben seitdem verändert? Und wenn ja, wie?
Jens Tolckmitt: Ja, sie haben sich verändert. Der Pfandbrief hat seit Beginn der Finanzkrise eine Erfolgsgeschichte erlebt. Früher war er ein reines Refinanzierungsinstrument spezialisierter Banken. In den letzten Jahren jedoch hat eigentlich jede Bank, die eine kritische Masse bei der Immobilienfinanzierung aufweist, den Pfandbrief als zusätzliches Refinanzierungsinstrument eingeführt. Entsprechend hat sich auch die Zahl unserer Verbandsmitglieder auf etwa 50 verdoppelt. Das intensiviert wiederum unsere Tätigkeit.
Inwiefern?
Wir verstehen uns als Dienstleister „in beide Richtungen“, nicht nur als Interessensvertreter, sondern auch als „Erklärer“ für Banken. Die steigende Regulierung erhöht den Erklärungsbedarf gegenüber den Instituten. Aber auch die Anzahl der Ansprechpartner in Politik und Aufsicht ist gewachsen. Diese Erfahrung haben alle Verbände gemacht. Als ich beim vdp angefangen habe, gab es manche der heutigen Aufsichtsbehörden noch gar nicht. Das macht die Arbeit vielschichtiger. Daneben haben sich auch unsere Themenfelder erweitert. Denken Sie nur an Sustainable Finance. 2009 hat daran kaum jemand gedacht. Als das Thema 2018 seitens Politik und Aufsicht verstärkt aufgegriffen wurde, waren die Banken bereits weit vorne.
Sehen Sie das tatsächlich so?
Das sehe ich so. Die Finanzindustrie insgesamt ist mit führend in diesem Bereich. Die Pfandbriefanken haben zum Beispiel bereits 2014 angefangen, nachhaltige Pfandbriefe zu begeben. Da gab es in Deutschland keine einschlägige Regulierung zu dem Thema. Auf internationaler Ebene haben sich seit der Finanzkrise Industrie-Initiativen entwickelt, wie etwa die Climate Bond Initiative oder der Green Bond Standard des Kapitalmarktverbands ICMA. Und dabei sind sehr sinnvolle Ergebnisse herausgekommen. Die steigenden Ansprüche der Investoren waren hier eine zentrale treibende Kraft. Wir empfanden dies als einen guten Prozess, um marktgetrieben eine vorwärts gerichtete Selbstregulierung auf den Weg zu bringen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung im Bereich ESG-Pfandbrief?
Heute haben wir 14 Milliarden Euro ausstehend. Davon sind etwa 2,5 Milliarden Euro Soziale Pfandbriefen, der Rest liegt in Grünen Pfandbriefen. Die Zahl der Emittenten hat sich 2021 verdoppelt, zunächst von drei auf sechs und im Jahre 2022 sind es bereits zwölf. Es ist immer noch ein kleines Segment, aber es wird weiter wachsen. Übrigens handelt es sich hierbei um eine private Initiative der Pfandbriefbanken. Dabei gibt es ein Rahmenwerk, an das sich alle halten. Nur bei Erfüllung der Vorgaben darf man von „Grünen Pfandbriefen“ sprechen. Das Rahmenwerk wird von den Mitgliedern ständig weiterentwickelt. Damit treffen wir die Bedürfnisse nachhaltiger Investoren.
Aufgrund von Strukturdaten sehe ich im Immobilienmarkt keine Blasengefahr.
Und wie bewerten Sie den Umgang seitens Politik und Regulierung?
Ich bin etwas kritisch. Denn ich glaube, die aktuelle Regulierung im Bereich Sustainable Finance tendiert dazu, private Initiativen im Keim zu ersticken. Natürlich muss man solch einen Prozess von Seiten der Regulatoren und Politik begleiten. Wirksame Leitplanken verhindern Greenwashing und Missbrauch. Aber so kleinteilig, wie es heute betrieben wird, lassen sich keine Regeln zur nachhaltigen Umsteuerung der Volkswirtschaft gestalten.
Welchen Beitrag können Pfandbriefbanken zur ökologischen Transformation der Wirtschaft leisten?
Der Gebäude-Sektor ist für knapp 40 Prozent des CO2-Ausstoßes in Europa relevant. Pfandbriefe und Covered Bonds in anderen Ländern haben signifikante Marktanteile in der Finanzierung von Sanierungen. Deswegen können der Pfandbrief und die Pfandbriefbanken einen wesentlichen Teil dazu beitragen. Ich bin allerdings gespannt, wie die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit in der gesamten EU-Volkswirtschaft zu erreichen ist, wenn der Sektor, der zwangsläufig den größten Teil der Finanzierung zu stemmen hat, permanent weiter reguliert wird.
Würden Sie sagen, dass eine Normierung im Bereich Nachhaltigkeit seitens der Politik schädlich ist?
Ja, und ich möchte das begründen. Natürlich sind ein Rahmenwerk und die Führung durch eine staatliche Institution hilfreich. Aber aktuell gibt es zu viele Akteure, die parallel an den gleichen Themen arbeiten. Und das geschieht nicht immer abgestimmt, sodass unter Umständen unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Zweitens ist, wie schon angedeutet, die Regulierung zu komplex und detailversessen. Die Taxonomie als Kern der EU-Regulierung in diesem Bereich ist zum Beispiel ein Regelwerk, das sechs Umweltziele festlegt, von denen bislang aber nur zwei vollständig definiert sind. Und schon diese zwei umfassen mehr als 500 Seiten Definitionen. Ist das sinnvoll?
Wie nehmen Sie die Kritik an Regulierung im Allgemeinen bei Ihren Mitgliedern wahr?
Banken sehen die inzwischen in vielen Bereichen ausufernde Regulierung ähnlich kritisch wie wir. Denn reguliert man ein Geschäft, fällt dieses nicht weg, sondern wandert in Bereiche ab, in denen es keine oder weniger Regulierung gibt. Das ist der Effekt, der sich bereits seit vielen Jahren in der Praxis beobachten lässt. Hier stelle ich das gerne genutzte Narrativ, dass Banken den neuen Wettbewerbern nichts entgegenzusetzen haben, in Frage. Denn das Auftreten dieser neuen Wettbewerber ist nicht unwesentlich dadurch begünstigt, dass es eine Bankenregulierung gibt, die einige Geschäftsmodelle oder Produkte nicht mehr zulässt. Seit der Finanzkrise ist etwa die Verbriefung in Teilen zu Unrecht in Verruf geraten. Also wurde sie reguliert, und das massiv. Die Konsequenz? Heute werden neue Produkte erfunden, die das gleiche machen wie eine Verbriefung, aber eben nicht der wirksamen Verbriefungsregulierung unterliegen. Hier wird man in den nächsten Jahren regulatorisch aufpassen müssen, dass diese Ausweicheffekte nicht überhandnehmen. Geschäft sollte dort betrieben werden, wo es am besten reguliert ist – für das Kredit- und Immobilienfinanzierungsgeschäft sind das die Banken.
Viele sprechen bei der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) von drei Säulen. Dabei kommen Sie allerdings nicht vor. Stört Sie das?
Gar nicht, denn wir waren immer ein Spezialverband. Uns gibt es jetzt seit über 70 Jahren und wir fühlen uns nach wie vor wohl in der Rolle als Spezialverband. Wir sind auch nicht außen vor bei den drei Säulen, sondern der einzige Verband, der alle drei Säulen in sich vereinigt. Und die Zusammenarbeit funktioniert hervorragend. Ich habe den Eindruck, dass die meisten Institute die Säulenbezogenheit als bestimmendes Merkmal lange hinter sich gelassen haben. Sie definieren sich eher über Faktoren wie die gemeinsame Aufsicht durch die EZB oder ein ähnliches Geschäftsmodell. Im vdp besteht eine hohe Interessenhomogenität aufgrund unserer Spezialisierung. Und unsere wachsende Mitgliederzahl zeigt, dass es hier einer spezifischen Interessenvertretung und Geschäftsunterstützung bedarf.
Wir werden daran gemessen, ob wir unseren Mitgliedern einen spürbaren Mehrwert geliefert haben.
Welche (speziellen) Interessen haben Ihre Mitglieder denn?
Da gibt es primär zwei Themenbereiche. Der erste besteht aus Pfandbriefemission und der zugehörigen Gesetzgebung. Der zweite ist die Immobilienfinanzierung. Unser Kern ist natürlich das Pfandbriefgesetz, das sich ständig entwickelt. In der Immobilienfinanzierung gibt es ebenso gesetzliche Vorgaben, wie etwa die Bewertungsvorschriften speziell für die Pfandbriefemission. Auch hier stehen wir Instituten beratend zur Seite und betreiben die gebündelte Interessenvertretung in Richtung Politik. Bezogen auf alle Mitglieder repräsentieren wir in der deutschen Gewerbefinanzierung mit über 70 Prozent hohe Marktanteile in Deutschland. 96,5 Prozent aller Pfandbriefe sind von Instituten begeben, die bei uns vertreten sind. Über unsere Tochtergesellschaft vdpResearch betreiben wir eine der größten Immobilienpreis-Datenbanken Deutschlands. Also können wir uns auch kompetent zu Marktentwicklungen oder möglichen Immobilienpreisblasen äußern.
Das Kredit- und Immobilienfinanzierungsgeschäft ist im Bankenbereich am besten aufgehoben.
Gibt es derzeit eine Immobilienblase?
Eine Blase gibt es nach unserer Auffassung nicht. Was nicht ausschließt, dass der Immobilienmarkt in einigen Regionen Überhitzungserscheinungen zeigt. Im Wohnimmobilienbereich besteht nach wie vor eine signifikante Übernachfrage. Die Preise sind größtenteils fundamental begründbar. Auch aufgrund hinzugekommener Faktoren wie Ukraine-Krieg, Zinsanstieg oder Inflation sehen wir deshalb keinen Preisrutsch auf breiter Front. Eine Blase würde im Übrigen erst dann ein Problem für die Finanzstabilität darstellen, wenn ein Preisrückgang am Markt auf den Bankensektor überschwappt. Die Eigenkapitalquote in der privaten Immobilienfinanzierung liegt aber stabil bei 20 Prozent, die Kreditbelastungsquote der Haushalte in Deutschland einer unserer Untersuchungen aus 2021 zufolge bei niedrigen 25 Prozent. Die Zinsbindung beträgt derzeit durchschnittlich 14 Jahre. Aufgrund all dieser Rahmendaten sehe ich hier keine Blasengefahr. Und ein Ausweiten auf den Bankensektor aufgrund dieser Strukturdaten ebenso wenig.
Die Zahl der politischen Ansprechpartner wächst, wie Sie schon sagten. Auch gibt es zahlreiche Regionalverbände und Interessenvertreter in den Instituten selbst. Wird das System zu komplex?
Die Finanzindustrie tauscht sich intensiv aus, Institute zu Verband und auch Verbände untereinander. Da wird es nicht viel komplexer. Ich finde es legitim und sinnvoll, dass Institute verstärkt auch ihre ureigenen Interessen vertreten. Ein Verband stellt in gewisser Weise immer ein Kompromissergebnis dar. Bezogen auf den vdp habe ich, wie gesagt, den Eindruck, dass wir aufgrund der gemeinsamen Fokussierung auf Immobilienfinanzierung und Pfandbrief keine großen Interessendivergenzen haben. Aber es gibt natürlich auch hier institutsspezifische Unterschiede. Wichtig ist, dass man im Gespräch bleibt. Die Komplexität kommt eher von der Zunahme der Akteure auf politischer und regulatorischer Seite. Das Pfandbriefgesetz ist in Teilen ein deutsches Gesetz. Die Säulenverbände haben weitere Themen wie Verbraucherschutz oder Steuern, die ebenfalls bis heute stark national geprägt sind. Wenn sie sich hingegen im Bank- und Kapitalmarktrecht bewegen, sind ihre relevanten Ansprechpartner in der Regel auf europäischer Ebene. Die Komplexität kommt also nicht von der Interessenvertretungsseite.
Besteht die Gefahr, dass Banken aufgrund des regulatorischen Drucks und der Kosten ihre Verbandstätigkeit konsolidieren?
Ich bin da optimistisch, weil wir ein Verband sind, der ausdrücklich unternehmerisch geführt wird, und wir daran gemessen werden, ob wir unseren Mitgliedern am Jahresende einen spürbaren Mehrwert geliefert haben. Ich bin auch froh, dass wir uns so als Dienstleister am Markt bewähren. Das hält dynamisch.
Sie schreiben, der Pfandbrief sei eines der größten Segmente des europäischen Rentenmarktes. Was muss getan werden, damit dies auch so bleibt?
Die Chancen stehen gut, dass dies so bleibt. Inzwischen ist er unter den Covered Bonds nicht mehr das volumenmäßig größte. Hier wurden wir von Dänemark abgelöst. Dennoch ist er der unangefochtene Qualitätsführer, was die europäischen gesetzlichen Rahmen angeht. Das merken wir daran, dass sich europäische Aufseher am Pfandbriefgesetz orientieren, wenn sie Regeln aufsetzen. Es ist unser Ziel, diese Qualitätsführerschaft zu erhalten. Dazu muss der Pfandbrief aber betriebswirtschaftlich sinnvoll nutzbar bleiben.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Pfandbriefbanken und den übrigen Akteuren im deutschen Finanzmarkt?
Ich finde, es läuft gut. In der DK ist es ja gezielt so, dass wir eigentlich keine überlappenden Themen mit den anderen Verbänden haben. Darum halte ich die DK auch für die richtige Organisationsstruktur für den deutschen Bankensektor. Wir haben drei Säulen mit unterschiedlichen Interessen, wobei etwa 95 Prozent der Themen einvernehmlich sind. Es gibt nur wenige Ausnahmen, die aber dann immer stark hervorgehoben werden. Und das prägt leider bisweilen den Eindruck von der DK. Gelegentliche Interessenskonflikte liegen dann vor allem an Unterschieden in der Eigentümerschaft, Größe oder dem Aktionsradius der jeweiligen Bank. Ich mache das jetzt schon seit über zwanzig Jahren und kann nicht sagen, dass wir in vielen Fällen Abstimmungsschwierigkeiten hatten.
Interview: Thorsten Hahn und Laura Kracht
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