,

Eine gute IT: „Banken müssen resilienter werden“

Diplom-Informatikerin Luise Linden ist seit 2018 CTO bei RatePAY. Sie sieht ihr Unternehmen als Challenger und findet es „cool“, ein modernes Bankprodukt anzubieten. Im Gespräch warnt sie auch vor zu viel Hochmut in der Start-up-Szene.


Banken müssen resilienter werden, sagt die IT-lerin Luise Linden.

BANKINGNEWS: Frau Linden, was ist an Ratepay cool?
Luise Linden: Wir machen ein Produkt, auf das jede Bank selbst hätte kommen können. Die Idee ist wirklich einfach: Wenn ein Kunde im Internet etwas kauft, lässt sich mit einem Klick vereinbaren, in Raten oder per Rechnung zu bezahlen. Wir kaufen dem Händler seine Forderung ab und erleichtern allen Beteiligten den Einkauf. Und das finde ich cool. Wir machen IT nicht um ihrer selbst willen, sondern um damit ein sinnvolles Produkt zu betreiben.

Also klassisches Factoring. Was unterscheidet Sie von anderen Anbietern, wie etwa Klarna, die ähnliche Leistungen anbieten?
Wer online einkauft und sich beim Check-out für eine Zahlungsweise entscheidet, verlässt kurz die Sphäre des Händlers. Ob Kreditkarte, PayPal oder irgendein anderer Dienst, für den Käufer ist immer klar, dass jemand anders die Zahlung abwickelt. Das ist bei uns nicht so. Über eine API lässt sich unser Angebot direkt in den Onlineshop integrieren. Die Ratenzahlung wirkt so wie eine Leistung, die der Händler selbst seinen Kunden anbietet.

White Label – warum haben die Banken versäumt, selbst damit auf den Markt zu gehen?
Wer eine Forderung ankauft, muss sehr viel über die Branche und ihre Kunden wissen. Baby-Klamotten sind nicht das Gleiche wie ein Sofa oder ein Flugticket. Da geht es um andere Beträge, unterschiedliche rechtliche Vorgaben und auch darum, ob Kunden auf der Rechnung geduzt oder gesiezt werden. Sich damit zu beschäftigen, haben viele Banken offenbar nicht als eine ihrer Kernkompetenzen begriffen oder sie haben den Aufwand gescheut.

Was genau verbirgt sich hinter diesem Aufwand?
Das ist Risikomanagement in Echtzeit. Wer im Internet einkauft, möchte ja sofort die Bestätigung bekommen und nicht erst lange warten, bis eine Bank fertig geprüft hat. Wir machen das in weniger als einer halben Sekunde. In dieser halben Sekunde stecken ganz viel Know-how und IT.

„Wer eine Forderung ankauft, muss sehr viel über die Branche und ihre Kunden wissen.“

Was passiert da?
Technisch betrachtet, ist der Check-out eine Kreditantragsstrecke, die ein Verbraucher über einen Onlineshop startet. Das allein ist noch nicht so geheimnisvoll. Spannend sind vielmehr die Daten, die wir bekommen. Dazu zählen neben einer Abfrage bei den großen Auskunfteien auch die Kauf- und Bezahlhistorie sowie die Branche und Warengruppen. All das beziehen wir in unsere Modelle ein, um das Risiko abzuschätzen und zu entscheiden, ob wir das Risiko kaufen wollen oder nicht. Vor drei Jahren haben wir mit Maschinellem Lernen angefangen …

… um Geld bei der Schufa zu sparen?
Eher, um noch schneller zu sein. Klar, jede Abfrage kostet Geld. Was wir dafür bekommen, ist eine Momentaufnahme darüber, wie sich eine Person bisher verhalten hat und ob sie sich finanziell im Griff hat. Weil eine Maschine nichts vergisst, kann sie mit immer mehr Daten aber immer besser voraussagen, ob eine Forderung ausfällt oder erfüllt wird – oder ob jemand gerade versucht, uns und den Shop-Betreiber zu betrügen.

Viele Banken kämpfen mit teils uralten IT-Systemen. Können die Banken bei solchen Entwicklungen überhaupt noch mithalten?
Ehrlich gesagt, halte ich nichts davon, Banken zu bashen. Immer wieder aufzuzählen, was Banken alles verschlafen haben, empfinde ich als wenig originell. Ich glaube, weniger Hochmut täte gerade Fintechs und jungen Start-ups gut. Legacy hast du schneller an der Hacke, als du glaubst. Das hat bei uns kaum zehn Jahre gedauert, bis wir unsere Kernverarbeitung austauschen mussten.

Ernsthaft? Da hätten Sie doch aber wirklich von den Banken lernen können, oder?
Das lässt sich im Nachhinein leicht sagen. Wir waren jung, frisch am Markt mit einem Produkt, das gut ankam. Wenn ein Händler neue Features wollte, haben wir sie gebaut. Und weil das oft schnell gehen musste, haben wir sehr nah an der Kernverarbeitung programmiert. Genau wie viele Banken übrigens auch. Wir konnten förmlich dabei zusehen, wie unser Monolith größer und größer wurde.

Und heute?
Heute stehen wir gut da. Unsere Architektur basiert auf event-gesteuerten Microservices.“

Ist das alles selbst entwickelt?
Die Businesslogik schon. Das, was ein Unternehmen vom Wettbewerb unterscheiden soll, muss in meinen Augen auch selbst gemacht werden. Darin steckt das eigene Know-how des Unternehmens. Wir brauchen nur einen Wimpernschlag, um zu entscheiden, ob wir ein Risiko kaufen wollen oder nicht. Das ist das Geschäftsmodell, unsere Kernlogik. Die müssen wir selber machen. Unser Debitorenmanagement-System im Backend, so viel kann ich verraten, stammt aus Walldorf. Andere Backend-Systeme, die wir beispielsweise einsetzen, um Rechnungen und Mahnungen detailliert zu konfigurieren und auf verschiedenen Kanälen zu versenden, haben wir auch selbst gebaut.

„Das, was ein Unternehmen vom Wettbewerb unterscheiden soll, muss selbst gemacht werden.“

Wie lange haben Sie gebraucht, Ihre Kern-IT zu renovieren?
Etwas mehr als ein Jahr. Die Architektur zu entwickeln, war gar nicht so schwierig. Aber aus dem Monolithen die darin aufbewahrte Fachlichkeit herauszuholen, das war die eigentliche Aufgabe. Da war kaum etwas richtig dokumentiert, das Wissen auf viele Köpfe verteilt und einige davon waren gar nicht mehr an Bord. Wir haben uns deshalb Hilfe geholt bei Senacor Technologies und gemeinsam zigtausende Zeilen Quellcode gelesen, um herauszufinden, was die Software wann und vor allem wie tut.

Was haben Sie daraus gelernt?
Dass es sich lohnt, auch externe Kollegen zu Donuts und Sekt einzuladen, wenn man gemeinsam einen Knoten durchschlagen hat (lacht). Erfreulicherweise aber auch, dass wir fachlich ganz gut aufgestellt sind. Und dass Start-ups nicht davor gefeit sind, mit zunehmender Reife Technische Schulden aufzubauen. Das ist nicht notwendigerweise schlecht, wenn ich dadurch mit einem neuen Produkt noch schneller am Markt sein kann. Ich rate aber dazu, solche Schulden bewusst aufzunehmen und sich genau zu überlegen, wie sie sich wieder abtragen lassen. Wir arbeiten agil, deshalb haben wir die Regel eingeführt, pro Sprint ein Viertel unserer Zeit für die Tilgung aufzuwenden.

Künstliche Intelligenz und Machine Learning sind die nächsten großen Themen. Wie sieht Ihre IT-Strategie bis 2025 aus?
Bei Fragen nach einer Roadmap muss ich immer ein bisschen schmunzeln. Wenn die Digitalisierung oder auch die aktuelle Situation mit Corona uns eins gelehrt hat, dann doch, dass jeder Plan, den ich heute mache, morgen schon obsolet sein kann. Ich glaube, dass wir weniger Energie ins Planen stecken sollten und dafür mehr in unsere Fähigkeit, auf plötzliche Ereignisse zu reagieren. Wir und auch die Banken müssen resilienter werden.

Das hängt doch aber auch stark an der IT, oder? Dass Fintechs und Tech-Konzerne die Banken und ihr Geschäft bedrohen, ist doch kein Zufall.
Logisch. Wer eine gute IT hat, dezentral organisiert und modular, der kann schnell reagieren. Das gehört zur Resilienz dazu. Resilient zu sein, ist aber auch Kopfsache. Wir suchen nach Kollegen mit der richtigen Einstellung. Mit Problemen fertig zu werden, ist kein reines IT-Ding. Dafür müssen auch die richtigen Leute zusammenkommen. Die zündende Idee, mit der Maschine etwas anderes zu machen als bisher, kommt immer vom Menschen. Bislang hatten wir ja eher das Problem, dass für die wirklich guten Ideen die IT gefehlt hat. Das ist jetzt nicht mehr so. Aber wir müssen immer noch selbst darüber nachdenken, was wir für unsere Kunden tun wollen und was sie wirklich brauchen. Das nimmt uns auch künftig keine Maschine ab.

Interview: Thorsten Hahn

Tipp: Sie möchten mehr zum Thema IT? Auf unserer Infografik, erfahren Sie, warum Plattformen alles verändern.