BANKINGNEWS: Immerzu hört man das Schlagwort Digitalisierung. Es schwebt über allen Branchen, besitzt trotzdem einen sehr ungenauen Definitionsgrad. Der Banker versteht etwas anderes unter dem Begriff als etwa der Kfz-Mechaniker – Stichwort: Abschaffung der Fließbänder bei AUDI. Ist es Ihnen zu eindimensional, wenn man unter dem Begriff vor allem Kostenreduktion und damit den Abbau von Arbeitsplätzen versteht?
Manfred Iske: Ja, das ist mir zu eindimensional. Natürlich hat der Begriff eine enorme Bandbreite und man muss darauf achten, in welchem Kontext der Begriff verwendet wird. Mein Thema heute (Vortrag während des Kongresses Next Generation Customer; Anm. d. Red.) war „Digitalisierung aus Sicht der Kundenprozesse“. Für die junge Generation bedeutet Digitalisierung: Bankgeschäfte über das Smartphone. Diese Menschen wollen nur in eine Filiale, wenn sie müssen. Für meine Generation ist das etwas anderes, weil ich zwar internetaffin bin und vieles über mein Kundenportal erledige. Doch auch der Filialbesuch mit persönlicher Betreuung ist mir wichtig. Man muss sich also überlegen: Was ist Digitalisierung für den Einzelnen? Und ja, viele Bankvorstände überzeugt die Idee der Digitalisierung mit den Potenzialen für Kosteneinsparungen. Kostenreduktion ist, neben den Compliance-Themen, nach wie vor ein Treiber. Das wird es immer geben. Digitalisierung muss aber auch unter dem Begriff „Chance“ verstanden werden, eine Chance für die Bank, andere Kundengruppen vernünftig ansprechen zu können, weil sie sonst einfach wegfallen. Wenn sich die Unternehmen nicht auf diese Kunden einstellen, werden sie diese an die Fintechs verlieren.
Verschiedene Aufgaben, die früher unter dem Ressort „IT“ gelaufen sind, werden mittlerweile in andere Fachbereiche verschoben. Was darf sich der Laie darunter vorstellen?
In den Banken und den Versicherungsorganisationen kontrolliert die IT die zentralen Prozesse. Das heißt, das Marketing oder der Vertrieb geben Dinge in Auftrag, aber nur die IT ist in der Lage, die Bank handlungsfähig zu machen. Dort ist folglich ein gewaltiger Engpass entstanden, weil die IT-Abteilung unter einem rigiden Kostenmanagement geführt wird. Einer meiner Kunden, eine Bank in Frankfurt, hat die IT-Abteilung personell so weit heruntergefahren, dass sie eigentlich handlungsunfähig ist und nur noch mit Externen funktioniert.
„Wir bieten die Werkzeuge“
Also wird „Outsourcing“ betrieben?
Genau. Dass die IT-Abteilung in ihrem Projektfahrplan sehr lange Vorlaufzeiten benötigt, kann man nur noch kompensieren, indem man bestimmte Teile der Tätigkeiten, die früher der IT vorbehalten waren, in den Fachbereich verlagert – und zwar kontrolliert. Aus unserer Tool-Sicht ist das im Wesentlichen mit kontrollierten Prozessen möglich. Das bedeutet, die IT-Abteilung stellt einen kontrollierten Prozess zur Verfügung, in den an bestimmten Stellen durch den Fachbereich eingegriffen werden kann, ohne eine lange Ausbildung zu benötigen oder den Prozess an sich zu korrumpieren.
Oft wird der Vorwurf kommuniziert, dass Banken nicht innovativ seien. Nun gibt es Lösungsanbieter für dieses Dilemma. Doch alleine die Implementierung von Lösungen – zum Beispiel von Software – ist nicht immer einfach. Wo sehen Sie das Problem? Wollen sich Banken erst weiter digitalisieren, damit der Vorwurf endlich aufhört? Eigentlich sollte Digitalisierung doch vor allem dem Kunden zu Gute kommen.
Schwierige Frage. Wir bieten zum Beispiel Werkzeuge, die Kunden dabei unterstützen, Innovationen schneller an den Markt und an den Kunden zu bringen. Wir sind aber nicht die Innovation. Nicht der Hammer ist in der Lage, mit dem Nagel etwas Innovatives zu tun, sondern die Kreativität desjenigen, der den Hammer führt. Mit diesem Werkzeug einen Anwendungsfall zu bauen, der den Kunden begeistert, ist für uns ohne die Mitwirkung der Verantwortlichen in den Banken schwierig. Wer schafft denn Innovation in den Banken? Eben während meines Vortrags wurde ich gefragt: „Was ist denn das nächste große Ding?“ Darauf habe ich keine Antwort, weil wir als Werkzeughersteller nur in der Lage sind, die Mega-Trends – also mobile Kommunikation, Big Data, Chat-Bots – zu beliefern und die Unternehmen in die Lage zu versetzen, aus solchen Trends Innovation zu erzeugen. Aus meiner Sicht sollten Banken offener für Beratung sein und das Geschäft nicht ausschließlich auf Kostenersparnis und Shareholder-Value abstimmen.
Besteht denn allgemein Offenheit für Beratung oder zumindest für den Dialog?
Das nimmt zu und wird besser. Der Druck steigt natürlich auch wahnsinnig schnell. Es gibt aber eine Vielzahl von Leuten, die ihre Unternehmen traditionell führen und nur ungern davon loslassen. Aber nochmal: Es wird besser.
Wir schreiben das 21. Jahrhundert und es existieren immer noch schwerwiegende Probleme in der Kundenansprache und -kommunikation. Transparenz ist hier ein Stichwort. Worin liegen diese Probleme allgemein begründet?
Ein positiver Referenzfall ist mit Sicherheit die Rabobank, welche die Umstellung von klassischen Push- auf eine On-Demand-Benachrichtigung als eines ihrer Ziele ausgegeben hat; also vom Kunden initiierte Kommunikation, die ihn dann zielgerichtet bedient. Natürlich kann man jetzt nicht alle Vertriebsaktivitäten unterlassen, aber die Ausschließlichkeit des „klassischen“ Vertriebsmodells reicht nicht mehr. Meine Bank, die Commerzbank, schickte mir zuletzt ein vertriebliches Angebot, welches deutlich nicht zu meinem Anlegerprofil passte. Die Commerzbank bezeichnet sich als Beraterbank und ich kenne meine Beraterin seit vielen Jahren. Ich brauche einen solchen Brief nicht. Und innovative Banken adaptieren das so langsam; also hin zu einem On-Demand-Modell, bei welchem der Kunde die Informationen nach seinem Interesse einholen kann. Die Bank kann dann zielgerichtet reagieren und das dann auch noch schnell und mit vertretbaren Kosten. Hier sehe ich eine Zukunft, wenn Banken sich dahin entwickeln.
An welcher Stelle hapert es denn am meisten in der Branche?
Aus meiner Sicht an der Abwanderung von Know-how aus den Banken, die von den Führungsetagen initiiert worden ist. Die Strukturen wurden so schlank gefahren, dass man kosteneffizient ist. Unter dieser Kosteneffizienz tatsächlich Projekte umzusetzen, fällt manchmal schwer. Ich war hochgradig verblüfft über den letzten Vortrag heute (Jochen Werne vom Bankhaus Lenz; Anm. d. Red.). Dort wurde gesagt, man habe eine wirklich nachhaltige Umstellung – Thema Digitalisierung, Webseiten-Relaunch und Kundenportal – innerhalb von 15 Monaten geschafft. Das erscheint mir als eine große Ausnahme. Ich beobachte bei solchen Migrations- und Innovationsprojekten häufig Laufzeiten von drei bis fünf Jahren. Und das liegt nicht daran, dass die Kunden nicht wollten, oder wir keine Ressourcen bereitstellen könnten, sondern daran, dass die Banken selber keine Ressourcen bereitstellen können, um zu definieren, wo man hin will. Des Weiteren müssten sie dafür das entsprechende Know-how liefern, das externe Dienstleister für die Umsetzung benötigen. Ich würde also sagen: Es fehlt an Personal mit Know-how.
Am Ende muss es schließlich dem Endkunden schmecken.
Auch das ist ein Thema. Herr Beck (Sascha Beck, Wüstenrot; Anm. d. Red.) hat das heute angesprochen. Man muss den Kunden einfach fragen. Ich persönlich, als langjähriger Bankenkunde verschiedener Häuser, kann sagen: Ich bin diesbezüglich noch nie gefragt worden. Von der Commerzbank werde ich einmal im Jahr angerufen, um drei Fragen zu meiner Beraterin zu beantworten. Das heißt, dass ich mit meinen Antworten ausschließlich meine Beraterin bewerte. Die Chance, nach meinen Anliegen an die gesamte Bank zu fragen, wird nicht genutzt. So bin ich etwa noch nie in einem NPS-Verfahren mit den Worten angesprochen worden: „Manfred Iske, was möchten Sie eigentlich von uns als Angebot oder wie gefällt Ihnen unser Mobile-Banking-Angebot?“ Solche Befragungen sind in anderen Märkten heute Standard und Banken sollten das auch tun, um sich im Wettbewerb differenzieren zu können.