Kernbank-IT – alte Zöpfe abschneiden

Deutsche Banken liegen bei der Digitalisierung bestenfalls im Mittelfeld. Vor allem beim durch die PSD2-Richtlinie forcierten Open Banking stehen viele Institute schlecht dar. Ein Grund dafür ist die weiterhin große Abhängigkeit von veralteten Kernbankensystemen.


Alte Zöpfe abschneiden: Banken müssen sich von ihren veralteten Kernbankensysteme trennen.

Rund 42 Prozent der eingesetzten Kernbankensysteme sind mehr als zehn Jahre alt. Anforderungen wie eine durchgehende End-to-End-Digitalisierung mit Durchgriff auf die Kernbank-IT lassen sich kaum abbilden. Gleichzeitig steigen die Kosten. Seit der Jahrtausendwende schlagen trotz eines Preisverfalls von 99,6 Prozent bei Speichermedien Run-Kostenzuwächse von jährlich zwei bis drei Prozent zu Buche. Mitverantwortlich dafür ist die rückständige Software. Nur 28 Prozent der Banken sind mit der Leistung ihres Anbieters zufrieden, 32 Prozent finden die Preise für das Kernbankensystem angemessen.

Vendor-Lock-in auflösen

Tatsächlich geht die Kostendegression bei der IT-Infrastruktur an vielen Banken vorbei. Ein Blick in die Bücher großer Hersteller dagegen zeigt, dass die Geschäfte beim Betrieb von Bankplattformen blühen. Im Kernbankenbereich sitzen zahlreiche Institute in der Herstellerfalle, sind abhängig von Releasezyklen und haben kaum Chancen, das eigene Geschäftsmodell umzubauen, weil die dafür notwendigen IT-Anpassungen keine Priorität im Innovationszyklus der Hersteller genießen. Was fehlt, ist der Mut, aus dem Migrationszwang der Hersteller auszubrechen und extern nach einer Lösung für dieses Grundproblem zu suchen. Innovatoren der Branche, wie N26, haben sich inzwischen von etablierten Herstellern abgewandt und setzen verstärkt auf eigene Entwicklungen im Kernbankenbereich.

Das Prinzip, dem solche Institute folgen, heißt Modularisierung einerseits und Beschränkung andererseits. Je kompakter das Kernbankensystem, desto eher lässt sich das eigene Geschäftsmodell eins zu eins abbilden, ohne allzu viel technischen Overhead. Ein Weg, das zu realisieren, heißt Open Source. In einer Studie rät die Europäische Kommission Firmen dazu, verstärkt quelloffene Systeme einzusetzen. Vor einem Jahr erst hat die Deutsche Bank die Handelsplattform „Autobahn“ auf Open Source umgestellt. Die Vorteile von Open Source liegen auf der Hand: weniger Lizenzkosten und idealerweise eine agile Community, die permanent Verbesserungen am Quellcode vornimmt. Lösungen wie Fineract CN haben sich zu einer ernstzunehmenden Alternative kommerzieller Kernbankenprodukte gemausert. Sie profitieren unmittelbar von Entwicklerstandards wie Java und quelloffenen Bibliotheken, die sich auch heutzutage bereits mit überschaubarem Aufwand integrieren lassen. Häufig verfügen die Banken sogar schon über das nötige Know-how, da die Technologien aus IT-Projekten rund um Microservices oder Schnittstellenentwicklung (API) bekannt sind.

Komplexität reduzieren und IT-Landschaft entzerren

Wichtigster Aspekt beim Umstieg auf ein Open-Source-Kernbankensystem ist eine möglichst große Entwickler-Community sowie ein übersichtliches Lizenzmanagement. Fineract CN operiert etwa auf Grundlage der Apache-Lizenz, die aus vielen Serverumgebungen bereits bekannt ist. Anschließend folgt ein Umsetzungsplan, der zunächst hundertprozentige Klarheit über die bestehenden Prozesse erfordert. Die Bank muss entscheiden zwischen echten Kernbankfunktionen und solchen, die auch aus Umweltsystemen zugesteuert werden können. Ziel der Prozessaufnahme ist, die Komplexität und die Abhängigkeit vom Kernbankensystem zu reduzieren und die IT-Landschaft zu entzerren.

Idealerweise bildet das Kernbankensystem später das strategische Asset des Geschäftsmodells und die damit zusammenhängenden fachlichen Bedürfnisse ab. Tools für Themen wie die regulatorische Gesamtbanksteuerung lassen sich zukaufen. Zudem bedarf ein solcher Schritt, entweder direkt im Vorstand IT-Sachverstand aufzubauen oder zumindest zugriffsfähig zu machen. Schließlich folgt der Migrationsplan mit Neuaufbau, Transformation und Run-Off aus dem veralteten System. Alte Zöpfe sollten abgeschnitten und möglichst nicht mit in die neue Welt übernommen werden. Aus selbstproduzierten Modulen für die Open-Source-Plattform kann sich sogar ein einträgliches Zusatzgeschäft ergeben.