Autor: Jaron Lanier
Euro: 24,99
480 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-455-50318-0
Hoffmann und Campe Verlag
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Wer sich selbst als „digitalen Idealisten“ bezeichnet, von dem erwartet man eigentlich ein großes Lob auf das Internet und das 21. Jahrhundert. Doch der 1960 geborene Jaron Lanier sieht die Dinge differenzierter. Der Weg zur Macht ist für ihn die Kontrolle über die Kommunikation der Menschen. Dementsprechend mächtig schätzt er auch das Zuckerberg-Imperium Facebook ein. Doch beschäftigt sich sein Buch nicht mit Dingen, die eh bereits allen Leuten bekannt sind, sondern der Computerwissenschaftler stellt die berechtigte Frage: Wäre es nicht vorstellbar, dass man Big Data zum Vorteil der Wirtschaft und der Menschen nutzt?
Große Arbeitslosigkeit droht
Jaron Lanier mahnt in seinem Buch vor einer Zukunft mit einem großen Anteil an Arbeitslosen und daraus resultierenden politischen Unruhen. Für ihn steht fest, dass man sich besser im Vorfeld überlegen sollte, „wie wir langfristig mit einem hohen Maß an Automatisierung leben können“. Denn das Verhältnis zwischen digitaler Technologie und dem Menschen sei vor einiger Zeit aus dem Gleichgewicht geraten. Um den Fortschritt kommt der Mensch nicht herum, denn dieser ist Teil seiner Natur. Allerdings bewegen wir uns mit der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens in Richtung einer totalen existentiellen Abhängigkeit. Und der Mensch ist abhängig von den Diensten jener Menschen, welche die Dienste im Austausch gegen unsere privaten Daten anbieten. Bereits Aristoteles zeigte sich beunruhigt, wenn er über die Rolle des Menschen in einer hochtechnisierten Welt philosophierte. Er sollte Recht behalten. Laut Lanier hat uns der kybernetische Sturm bereits erreicht. Angenehm für den Leser ist an dieser Stelle, dass der Autor neben seiner fast schon wie eine Agenda wirkenden Struktur immer wieder faktuale Zwischenbeispiele einfügt, welche die angesprochenen Ansätze in einen makroökonomischen Zusammenhang setzen.
Googles Narzissmus
Mittlerweile ist es geradezu selbstverständlich, dass Google fleißig die Daten seiner Nutzer sammelt. Wenn Lanier über den Internetriesen spricht, dann attestiert er dem Suchmaschinen-Primus einen krankhaften Narzissmus. Dem Autor nach droht Google deswegen ein ähnliches Ende wie der Schlange Ouroboros. In der griechischen Mythologie frisst diese sich vom Schwanz her selbst auf. Allerdings repräsentiert sie auch ein autarkes Wesen, das außerhalb seines eigenen Kreises nichts bedarf. Diesen Zustand würde Google sofort verlieren, „wenn so viele Waren und Dienstleistungen softwarezentriert geworden sind und so viel Informationen ‚umsonst‘ erhältlich sind, dass es nichts mehr gibt, wofür man bei Google Werbung schalten könnte – womit Google dann ganz einfach seine Einnahmen verlöre“. Lanier fragt, „wem gehört die Zukunft?“ Nun, dieser These nach, ganz sicher nicht Google. Jenes Geschäftsmodell befindet der US-Amerikaner langfristig für eine Sackgasse.
Monetarisierung der gesammelten Informationen
Gesellschaftlich stehen uns enorme Veränderungen bevor – insbesondere, wenn Informationen monetisiert werden. Jaron Lanier verliert aber an keiner Stelle den Überblick für das Wesentliche. Deswegen richtet sich seine Konzentration auf die Auswirkungen der Kommerzialisierung menschlicher Daten im Hinblick auf die Bevölkerung. Welche Konsequenzen hat dies für die Gesellschaft? Er entwirft die Hypothese, „dass Versicherer, wenn die massiv wachsende Informationsgrundlage nicht monetisiert wird, einen zunehmenden Anreiz haben, diejenigen zu versichern, von denen bekannt ist, dass mit ihnen höhere Risiken verbunden sind“. Des einen Leid ist des anderen Freud, oder war es umgekehrt?
Düstere Zukunft?
Es scheint schon gar nicht verwunderlich, dass Jaron Lanier ebenfalls am Drehbuch zu Steven Spielbergs Sci-Fi-Dystopie „Minority Report“ mitgeschrieben hat. Der Missbrauch von Big Data hat vielleicht schon längst begonnen. Und genau aus diesem Grund hat Jaron Lanier eine Botschaft für alle seine Leser: Man muss über den Status quo hinausblicken. Zugegeben, Weitsicht war noch nie die große Stärke der Menschen – vor allem nicht die der meisten Entscheidungsträger. Der Autor stellt grundsätzlich ein System in Frage, in welchem Daten von „normalen“ Menschen gesammelt werden und diese dafür mit „kostenlosen“ Diensten abgespeist werden. Klar, niemand wird gezwungen. Aber zu Recht merkt Lanier an, dass eine Verweigerung dieser Dienste und Möglichkeiten eine gesellschaftliche Inflexibilität mit sich bringt, die sich kein Mensch im 21. Jahrhundert erlauben kann und auch nicht erlauben will.
Differenzierte Kritik
Viele Autoren haben sich mittlerweile an einer grundlegenden Internetkritik versucht, oftmals mehr schlecht als recht. Jaron Lanier stellt das Internet und dessen Errungenschaften vollkommen zu Recht in einen gesellschaftstheoretischen Kontext. Denn das Internet ist ein nicht mehr wegzudenkendes Medium der modernen Gesellschaft. Allerdings droht es zu einem Herrschaftsinstrumentarium zu avancieren, dass oligarchische Verhältnisse in der Gesellschaft herstellt. Wenige haben dann die Macht über Viele – ein Zustand, der uns sorgenvoll gen Horizont blicken lässt.
Jaron Lanier bietet mit seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?“ eine provokative Inspirationsquelle, die zum Nachdenken anregt. Dabei hält seine pointierte Schreibe den Leser genauso bei der Stange wie seine intelligenten Überlegungen.