„Keine Lücke mehr zwischen dem, was wir tun können und dem, was wir tun“ 

Bekämpfung und Ermittlung von Geldautomaten-Sprengungen: kurz BEGAS. Christa Lübbers leitet die Sonderkommission des NRW-Innenministeriums gegen Automaten-Gangster. Die Kriminalbeamtin im Gespräch mit der BANKINGNEWS über Sprengstoffe, Farbkartuschen, Verfolgungsjagden und eine zielführende Öffentlichkeitsarbeit.


Grüne Scheine: Ein „legaler Sprengversuch“ der SoKo BEGAS

BANKINGNEWS: Frau Lübbers, wieso wurde in NRW die SoKo BEGAS ins Leben gerufen? 

Christa Lübbers: Anfang 2022 hatte unser Innenminister Herbert Reul beschlossen, das Thema Geldautomatensprengungen zur Chefsache zu machen. Bis dato verzeichneten wir in den ersten drei Monaten des Jahres schon über 60 Geldautomatensprengungen (GS). Seine Maxime lautete: „Ich will keine Lücke mehr zwischen dem, was wir tun können und dem, was wir tun“. 

Mit der Gründung einer eigenen Sonderkommission will das Land neue Wege bei der Verfolgung dieses Deliktes gehen. Dabei ist der Begriff Sonderkommission ein wenig irreführend. Wir arbeiten nicht direkt an den einzelnen Fällen mit, sondern wir implementieren die Strategie des Landes NRW auf breiter Ebene in den einzelnen Kreispolizeibehörden.  

Um welche Strategie handelt es sich dabei? 

Wir haben fünf Strategiefelder entwickelt, auf die wir uns operativ konzentrieren.

  • Erstens die Einsatzbearbeitung. Hier stehen die rasanten Fluchtfahrten der Täter im Fokus, mit denen unsere Einsatzkräfte auf der Straße massiv zu kämpfen haben. 
  • Zweitens:  Die Ermittlungsführung. Wir haben uns angeschaut, welche Behörden betroffen sind und wie sie kriminalpolizeilich mit diesem Sachverhalt umgehen. 
  • Drittens: Wir wissen vom LKA und BKA, dass circa zwei Drittel der Täter aus den Niederlanden kommen. Deswegen haben wir einen Schwerpunk auf den Bereich internationale Zusammenarbeit gelegt. 
  • Viertens: Es macht keinen Sinn, ein bundesweites Phänomen nur regional in NRW zu bekämpfen, ohne einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen. Darum haben wir als eine der ersten Maßnahmen schon im Mai 2022 gemeinsam mit anderen betroffenen Bundesländern eine sogenannte länderübergreifende Interessengemeinschaft gegründet. 
  • Fünftens: Öffentlichkeitsarbeit. Sie ist ein Schlüssel zur Lösung des Problems. Als wir angefangen haben, gab es noch eine Frontenbildung zwischen der Kreditwirtschaft und der Polizei, auch angeheizt durch eine verzerrte mediale Berichterstattung. Die Banken haben den Sicherheitskräften vorgeworfen, nicht in der Lage zu sein, für ihren Schutz zu sorgen. Umgekehrt kam der Vorwurf, das Thema Automatensicherung zu vernachlässigen. Es war also notwendig, das erstmal aufzubrechen.


Damit ist in NRW eine Riesenentspannung eingetreten, weil wir polizeiintern und auch nach außen die Kommunikationsstrategie geändert haben. Seitdem gilt unmissverständlich:  Die Banken sind Opfer dieser Straftaten und wir alle verfolgen das Ziel, dass die Täter mit ihrer Masche keine Beute mehr machen. Erst dann wird dieses Phänomen zurückgehen. Am Ende des Tages sind wir Partner und ziehen am selben Strang. 

Wie wird diese Partnerschaft mit Leben gefüllt? 

Wir suchen den Schulterschluss mit den Banken, denn ohne diese können wir als Polizei der Sache nicht Herr werden. Wir brauchen uns gegenseitig, so haben wir beispielsweise im vorletzten Jahr eine gemeinsame Aktion mit der Kreditwirtschaft, mehreren Landeskriminalämtern und weiteren relevanten Akteuren gemacht und hierzu einen Sprengplatz in Niedersachsen gemietet. Die Sparkassen und Banken haben Geldautomaten (GA) zur Verfügung gestellt sowie unterschiedliche Systeme eingekauft, mit denen man die Automaten sichern kann und einen gemeinsamen Sprengtest gemacht. Daraus haben wir interessante Erkenntnisse gewonnen. 

Um GA mit Farbe zu sichern, was wir für die beste Variante halten, kann man mit unterschiedlichen Varianten arbeiten. Bei diesem Sprengversuch haben wir unter anderem eine mit Tinte gefüllte Kunststoffkartusche getestet. Diese wird im Falle einer Explosion rein mechanisch durch Hitze und Druck zerstört und färbt dann die Scheine ein. Die Kosten für dieses System belaufen sich für die Banken auf rund ein Zehntel der sonst üblichen Ausgaben. Darauf hat der Sparkassen- und Giroverband in NRW alle seine als Risikostandorte deklarierten GA damit ausgestattet.  

Wie hoch ist der Anteil der hochgefährdeten Automaten? 

Wir haben in NRW etwa 10.000 GA. Zu unseren Aufgaben gehörte, diese Zahl so sinnvoll zu reduzieren, dass sie durch polizeiliche Maßnahmen auch bearbeitet werden kann. Dazu haben wir das LKA beauftragt, eine Risikoanalyse durchzuführen. Dabei kam heraus: circa fünf Prozent sind Hochrisiko-GA, auf die die Polizei individuell ein besonderes Augenmerk richten muss. Das heißt, es müssen Sicherheitsgespräche mit den Betreibern geführt und die GA zu den tatrelevanten Zeiten bestreift werden. Zur nächsthöheren Risikostufe gehören rund 35 Prozent der GA.   

Sind diese von ihnen besonders geschützten Automaten rückblickend zum Ziel von Attacken geworden? Lagen Sie da richtig mit Ihrer Einschätzung? 

Ja. Hätten wir das Instrument schon zu Beginn 2022 gehabt, hätten wir bei 98 Automaten gewusst, dass sie in den kommenden zwölf Monaten gesprengt werden würden. Im Folgejahr ist diese Quote gesunken, denn diese Automaten wurden dann besonders geschützt. Wir nehmen den Tätern damit die Möglichkeit, die besonders leicht zu sprengenden GA anzufahren. Allmählich verzeichnen wir auch Erfolge. Letztes Jahr im ersten Quartal waren von drei Angriffen zwei erfolgreich. Zum Jahresende lag die Versuchsquote bei circa 60 Prozent. 

Wie reagieren die Banken, die diese roten GA betreiben, auf diese Einstufungen?  

Es war ein weiter Weg, die Banken davon zu überzeugen, uns die Daten zu geben, die wir für die Klassifizierung brauchen. Dabei ging es auch um sensible Fragen, zum Beispiel wie frequentiert ein Automat ist und wieviel Umsatz er macht. 

Damit ist das Geld besser geschützt, aber nicht die Gebäude und die Menschen, die darin leben. Wie sieht es damit aus? 

Das ist der Hauptgrund, warum es die SoKo BEGAS gibt. Denn tatsächlich gefährdet jede Tat Leib und Leben einer unbestimmten Zahl von Personen. Dass jetzt meistens zu Sprengstoff gegriffen wird, verleiht dem Ganzen eine große Heimtücke. Einige Staatsanwaltschaften stufen die Taten deshalb als versuchten Mord ein.  

Konzentrieren Sie sich nur auf die Täter vor Ort? 

Nein. Wir versuchen auch den Nachschub abzuschneiden und kümmern uns um die Logistik, die dahintersteckt. Wer beschafft die Sprengmittel? Wo kommen die Fahrzeuge her? Letztes Jahr hatten wir in Münster ein Verfahren, das sich gegen einen Autoverleiher gerichtet hat. Er ist wegen Beihilfe zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Solche Urteile haben einen Abschreckungseffekt.  

Beschreiben Sie die Strukturen, die hinter den Tätern stecken? 

Es gibt Menschen, die dafür sorgen, dass junge Männer für derartige Aktionen angeworben werden. Dahinter steckt ein hoher Grad an Organisation. Das hat viele Gründe. Genau wie hier gibt es in den niederländischen Ballungsräumen junge Männer in prekären Verhältnissen, die leicht mit schnellem Geld, Fahrzeugen, Nervenkitzel und Ruhm gelockt werden. Oft sind die Männer unter 18.  

Was weiß man über die Täter? 

Es handelt sich oft um sehr junge Männer aus den Niederlanden marokkanischer Herkunft mit ausgeprägter Risikobereitschaft. Und sie lassen sich leicht ködern. Sie bekommen das schicke Auto in die Hand, können damit am Wochenende vor ihren Kumpels angeben. Nur in der Woche müssen sie dafür nachts losfahren. Aber eines muss ich an dieser Stelle betonen: Dass die Ursprungsfamilien vieler Täter aus Marokko kommen, spielt für die polizeiliche Arbeit überhaupt keine Rolle.  

Zur ganzen Wahrheit gehören auch die Hintermänner. 

Stimmt. Darauf liegt auch in den Niederlanden der polizeiliche Fokus, da die, die wir hier mit dem Sprengstoff erwischen, nur Handlanger sind. Dort versucht man in diesen Ballungsräumen vermehrt mit sozialer Arbeit zu agieren. Aber die wenigstens fangen eine Bäckerlehre an, wenn sie in einer Nacht 10.000 Euro Beute machen können. 

Es gibt Stimmen, die das Vorhandensein einer straffen Organisation hinter den Tätern verneinen. Wie ist Ihr Standpunkt? 

Das konnten wir durch unsere Ermittlungsarbeit widerlegen. Man hatte immer etwas schwammig von einem „Fluiden Netzwerk“ gesprochen. Aber was ist ein fluides Netzwerk? Richtig ist, dass sich Täter und Hintermänner untereinander nicht kennen, damit sie bei einer Festnahme nur wenige Infos preisgeben können. Wir schätzen das Potenzial auf einige tausend Leute. Das ist das eigentliche Problem. Man kann es nur beseitigen, indem man die dahinterliegenden Strukturen angeht. Und das ist den Niederländern geglückt. Mit deutscher Unterstützung.  

Findet dadurch eine Verlagerung der Strukturen in andere Länder statt? 

Richtig. Wir hatten im Januar lediglich eine Sprengung in ganz NRW gehabt, aber dafür mehrere in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen oder Hessen. Die Täter erschließen sich systematisch neue Gebiete, bis die anderen Bundesländer wieder nachgerüstet haben. Natürlich haben die Sprenger einen enormen Fluchtgedanken und wollen um jeden Preis wieder in die Niederlande zurück. Dabei fahren sie gnadenlos Leute über den Haufen. Das ist eine weitere Gefahrendimension dabei. 

Welche Rolle spielt der Faktor offene Grenzen dabei? 

Es ist schwer zu sagen, wie sich das entwickelt hätte, wenn wir noch Grenzkontrollen hätten. Wenn man nicht die Möglichkeit gehabt hätte, die Niederlande zu verlassen, hätte man den Modus Operandi wahrscheinlich längst geändert. Dort wurde die Zahl der Automaten auf ein Minimum von nur noch circa 3.500 gut gesicherte Geräte reduziert. Aber für die polizeiliche Arbeit sollten nach meiner Vorstellung nicht Grenzkontrollen die Lösung sein, sondern europaweit die Ursachen und auch die Täterstrukturen durch internationale Kooperationen oder die Einbindung von Europol anzugehen.  

Stichwort Flucht vom Tatort, rücksichtslose Fahrweise, viel PS unter der Haube: Wie kann die Polizei in diesem Wettlauf mithalten? 

In NRW wird es keine halsbrecherischen Verfolgungsfahrten mehr geben. Wenn wir einmal erkennen, sie sind auf der Autobahn und es gibt keine Möglichkeit sie zu stoppen ohne Unbeteiligte zu gefährden, dann versuchen wir das auch nicht mehr. Durch die Verfolgung der Fluchtfahrzeuge um jeden Preis vergrößern wir nur für alle Beteiligten unnötig das Risiko. Der Schutz von Leib und Leben Unbeteiligter und unserer eingesetzten Kräfte hat Vorrang. Wenn die Täter flüchten, müssen wir durch ausgezeichnete Tatortarbeit versuchen, sie anderweitig zu erwischen. Und das gelingt auch.  

Dieser Ansatz setzt eine gute Kooperation mit den niederländischen Behörden voraus. Wie funktioniert die? 

Das läuft inzwischen richtig gut. Als wir anfingen, gab es auf beiden Seiten noch festgefahrene Ansichten voneinander. Unsere Polizisten pflegten das Vorurteil, die Niederländer unternähmen nicht genug. Diese wiederum waren genervt, weil sie von 16 Bundesländern und allein schon 47 Kreispolizeibehörden in NRW immer wieder unkoordinierte Anfragen beantworten sollten.  

Darum war das Verhältnis spannungsgeladen und nicht gerade von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Wir wussten einfach zu wenig voneinander. Jetzt sind wir zwei Jahre weiter und es haben viele gegenseitige Besuche auf allen Arbeitsebenen stattgefunden. Ich selbst komme alle 14 Tage in einer Videokonferenz mit den niederländischen Kollegen zusammen und im LKA gibt es einen niederländischen Verbindungsbeamten. Allein dadurch ist vieles besser geworden. Das zeigt sich auch in den 127 Festnahmen im vergangenen Jahr im Nachbarland, die ohne deutsche Unterstützung nicht möglich gewesen wären. Wir haben dann in Deutschland die Länderübergreifende Interessengemeinschaft Geldautomatensprengungen (LIGA) gegründet, sodass die Niederländer jetzt auch einen festen Ansprechpartner in Deutschland haben.  

Wie hat sich die Ermittlungsarbeit vor Ort verändert? 

Wir haben gleich zu Anfang beschlossen, GS wie ein Tötungsdelikt zu behandeln. Das bedeutet, die ermittlungstechnische Herangehensweise ist akribischer geworden. Zu jedem Tatort fährt jetzt eine kriminaltechnische Untersuchungsstelle. Mit einem Spurensicherungsfahrzeug, 3D-Tatortvermessung etc. pp. Die Begeisterung der Kollegen hält sich in Grenzen bei dem Aufwand, andererseits kann man sonst keine Taten aufklären oder gar Tatserien identifizieren.  

Glauben Sie, dass die Soko BEGAS irgendwann überflüssig wird? 

Ursprünglich war sie nur für sechs Monate geplant, aber an Entwarnung ist erstmal nicht zu denken. NRW hat 60.000 Beschäftigte bei der Polizei. So eine große Organisation besitzt eine gewisse Trägheit. Und sie besitzt die Eigenschaft, schnell wieder in altbekannte Muster zurückzufallen. Wir sind uns der Mehrarbeit bewusst, die wir den Kollegen vor Ort abverlangen, aber das ist eine politische Entscheidung. Wir müssen diesen Weg jetzt gehen, um die Menschen in NRW zu schützen.  

Ist NRW da ein Sonderfall? 

Wir in NRW scheren aus dem Kreis der anderen Bundesländer ein bisschen aus. Die Forderung, mehr Druck auf die Banken auszuüben oder eine gesetzliche Regelung zu schaffen, halten wir in NRW für nicht zielführend. Jede Filiale ist individuell und bedarf eigener innovativer Lösungsansätze. Würde da ein Gesetz übergestülpt, wäre das sehr innovationsfeindlich und die positiven Entwicklungen, die wir gerade wahrnehmen, würden zum Erliegen kommen. Und wir empfehlen ausdrücklich nicht den Abbau der Automaten. Die Banken sind, bei allen Verpflichtungen ihr Eigentum zu schützen, auch Opfer dieser Straftat.

Könnte auch eine Verschärfung des Strafmaßes für Besserung sorgen? 

Der § 308 StGB, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, ist ja schon ein klarer Verbrechensstrafbestand. Diese besondere Schwere ist hier schon berücksichtigt. Wenn wir das bestehende Strafmaß auch ausschöpfen würden, wäre schon viel geholfen.   

Christa Lübbers

Christa Lübbers ist seit 30 Jahren Kriminalbeamtin. Vor dem Start der SoKo BEGAS war sie Leiterin der Staatsschutzinspektion im Polizeipräsidium Düsseldorf. 

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