Herr Pawlowski, Sie treten seit einiger Zeit als Verteidiger von Geldautomatensprengern sowohl vor Gericht als auch öffentlich in Erscheinung. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie als Anwalt gerade bei diesem Delikt so gefragt sind?
Meine Kanzlei befindet sich in Aachen, nicht weit entfernt von der niederländischen Grenze. Fast alle Tatverdächtigen, die ich in Sachen Geldautomatensprengung (GS) verteidige, sind überwiegend Niederländer mit marokkanischen Wurzeln. Als ich 2016 anfing, konnte ich schon einigermaßen niederländisch sprechen und Sachverhalte ohne Sprachbarriere erklären. Das öffnete mir viele Türen. Inzwischen beherrsche ich die Sprache fließend und habe mich tief in die Materie eingearbeitet.
Das ist so etwas wie mein Alleinstellungsmerkmal und der Grund, weshalb die Leute zu mir kommen. Und nach den ersten erfolgreichen Verteidigungen hatte ich mir einen gewissen Namen gemacht. Dadurch kam es dann zu vielen Weiterempfehlungen. Inzwischen habe ich es mit über 120 Fällen zu tun gehabt.
Gibt es bei den Motiven der Täter ein bestimmtes Muster?
Es ist kein Geheimnis, dass sich das „Business“ hauptsächlich auf die beiden Städte Utrecht, wo das Ganze seinen Anfang nahm, und Amsterdam konzentriert. Utrecht ist keine große Stadt und der Bevölkerungsteil mit marokkanischem Hintergrund ist nochmal deutlich kleiner. Die für die Taten in Frage kommenden Männer sind häufig zwischen 17 und 35 Jahre alt und kennen sich mehr oder weniger untereinander. Daher sind die Taten und Motive häufig ähnlich, wenn auch jede Geschichte dahinter individuell ist.
Es handelt sich fast ausschließlich um Leute, die schon in den Niederlanden geboren sind, aber leider mit ihrem ethnischen Hintergrund große Schwierigkeiten haben, beruflich Fuß zu fassen. Perspektivlosigkeit ist das Hauptproblem. Hinzu kommt noch, dass Status und Wohlstand in ihrer Kultur einen hohen Stellenwert haben. Das betrifft ganz stark das Thema Familienplanung. Wenn Sie als junger Mann heiraten wollen, müssen sie sich in der Regel die Zustimmung der Brauteltern einholen.
Und die gibt es nur, wenn der Bräutigam in spe finanziell gut situiert ist oder es bald sein wird, eine große Feier ausrichten und auch den Brautschatz stellen kann. Bin ich ein Habenichts und sehe meine Kumpels, die mit Geld um sich werfen und mir erzählen, wie einfach das zu kriegen ist, dann ist das natürlich eine große Versuchung. Das ist sicher keine Entschuldigung, und macht keine Tat richtig. Aber Sie fragen nach dem Motiv und dies ist eine der Ursachen, die zu einer solchen Entscheidung führen.
Wann fing das an?
In den Niederlanden hat das Ganze deutlich früher angefangen als hier und endete dort etwa 2015/2016. Die niederländische Regierung hat damals den Banken relativ kompromisslos vor Augen gehalten, dass man sich zu gesetzgeberischen Maßnahmen gezwungen sähe, wenn die Automatensicherheit nicht freiwillig massiv verbessert werde. Und da damals noch hauptsächlich die Methode Gassprengung gebräuchlich war, konnte man mit relativ kostengünstigen Maßnahmen, wie zum Beispiel Ventilationssystemen, Piezzofunken-Systemen, Sprengmatten oder Haubenschutz-Kits gegensteuern. Damit war das Thema schnell vorbei.
Dann hat man sich den Nachbarländern zugewendet?
In Belgien hat man es wohl auch zeitweise probiert, jedoch konzentrierte man sich hauptsächlich auf Deutschland. Der damals den Gassprengungen zugängliche Automatentyp Wincor-Nixdorf ProCash 2000 war hier massenhaft im Einsatz und nicht zusätzlich gesichert. Bei uns war die Automatensicherheit scheinbar nicht so interessant für Banken, denn es wurde einfach nicht viel dagegen unternommen. So makaber das klingt, aber das Thema Gassprengungen endete somit nicht damit, dass Banken entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen hätten, sondern erst, als irgendwann fast alle Automaten dieses Typs in interessanten Lagen weggesprengt oder turnusmäßig durch neue ersetzt waren. Danach kam das Thema Festsprengstoff auf.
Wie gehen die Täter überhaupt vor?
Es gibt keine zentrale Leitung, keinen Chef oder Abteilungsleiter und Angestellte im Sinne eines straff organisierten Unternehmens. Es existiert meines Wissens auch keine große Organisation, die das Ganze strukturiert oder gar mehrere Organisationen, die miteinander konkurrieren würden. Eher sprechen wir von einer großen Gruppe von losen miteinander verbundenen Leuten, innerhalb derer das Knowhow verfügbar ist und in der man alles Erforderliche irgendwoher bekommen kann. Und diese gruppieren sich dann von Fall zu Fall zusammen. Alles fluktuiert sehr stark. Jedenfalls sind das die Erkenntnisse einer Ermittlungskommission beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen.
Früher agierten einzelne kleine Teams, die alles selbst organisiert haben. Inzwischen erlebe ich es immer häufiger, dass vor allem junge Männer als ausführende Täter vor Ort angesprochen, in ein vorbereitetes Auto gesetzt und losgeschickt werden. Sie bringen dann das Geld mit und bekommen ihren Anteil. Sie tragen zwar das komplette Risiko vor Ort, haben aber auch nichts mit der Organisation und Planung zu tun.
Am 31. Dezember 2023 wurde die Filiale der VR-Bank Südliche Weinstraße-Wasgau eG in Bundenthal nach einem Geldautomaten-Sprengstoffanschlag völlig zerstört. Der Schaden geht schätzungsweise in die Hunderttausende. Das Geldinstitut geht davon aus, dass das Gebäude abgerissen werden muss. (Bild: VR-Bank Südliche Weinstraße-Wasgau eG)
Womit muss ein verurteilter Geldautomatensprenger in Deutschland vor Gericht rechnen?
Wenn wir es mit Leuten zu tun haben, die noch relativ jung und nicht vorbestraft sind, liegen wir mit Geständnis meistens zwischen vier bis fünf Jahren Haft. Bei einer „normalen“ GS ohne unangenehme Begleiterscheinungen ist das das Maximum. Bei Vorstrafen sieht das schon anders aus und im Wiederholungsfall gehen die Strafen deutlich nach oben – natürlich zu Recht.
Was können Banken tun, um gar nicht erst zum Ziel zu werden?
Im Endeffekt ist die Sicherung der Automaten der einzige gangbare Weg. In den Niederlanden gibt es so gut wie keine GS mehr, seitdem auf Druck der Regierung die Automatensicherheit deutlich verbessert wurde. Und das war und ist möglich mit – wie ich finde – überschaubaren Kosten für die Banken. Es muss jedoch erstmal eine Motivation da sein, das zu tun. Und wenn die Automaten so sicher sind, dass es viel zu lange dauert, sie zu knacken, spricht einiges dafür, dass das Phänomen auch in Deutschland verschwinden könnte. Beim Punkt Automatensicherheit sehe ich in den Fällen, die mir vorliegen, ein Riesendefizit.
Warum wird dieses Defizit nicht angegangen?
Sie sprechen damit einen Punkt an, der den Banken vermutlich nicht gut schmecken wird. Ich frage bei den Verhandlungen die Verantwortlichen immer ganz konkret nach den verbauten Sicherheitsmaßnahmen und bekomme dann maximal zu hören, dass das Gerät standardmäßig nach Norm soundso gesichert sei. Wenn ich gezielt nachfrage, welche Mittel darüber hinaus noch zusätzlich eingesetzt worden sind, sehe ich meistens nur Fragezeichen in den Gesichtern und kriege gesagt, dass der Automat in dem Zustand sei, in dem er irgendwann mal ausgeliefert wurde. Und beim weiteren Nachfragen erfahre ich manchmal, dass der Automat schon 15 Jahre alt war und in der Zwischenzeit überhaupt nichts mehr daran gemacht wurde.
Nur selten ist mal ein Haubenschutz-Kit oder eine Vernebelungsanlage verbaut. Dies sind dann interessanterweise häufig die Fälle, bei denen es beim Versuch blieb. Da ich vom LKA NRW gehört habe, dass man den Banken Informationsveranstaltungen über die technischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Automatensicherheit angeboten hat, habe ich auch danach gefragt. Oft heißt es dann, dass man die einzelnen Maßnahmen sehr wohl kenne, aber sich aus Kostengründen dagegen entschieden habe. Ganz allgemein ist das Wissen um die Risiken bekannt und welche Anreize man setzt, wenn man die Automaten so belässt, wie sie sind. Trotzdem ändert man nichts daran.
Wenn Prävention so einfach ist, warum passiert so wenig in Deutschland?
Es ist schlicht eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Aus vielen Zeugenbefragungen weiß ich, dass Banken sehr gut gegen GS versichert sind. Sie bekommen in vielen Fällen sogar ein neues Gerät erstattet, ohne Abzug „Neu für Alt“. Und das für einen Automaten, der oft schon viele Jahre auf dem Buckel hat. Es ist schlicht unattraktiv für Banken, Geld für ein teures Sicherheitssystem auszugeben, um einen Automaten sicherer zu machen, der sowieso bald ausgetauscht werden muss. Hinzu kommt, dass die Versicherung oft auch die Kosten für den Wiederaufbau der Filiale trägt. Ein weiteres Bonbon: Der neue Automat ist per se schon dank des technischen Fortschritts viel sicherer als der Vorgänger. Der Anreiz nachzurüsten, ist also meistens gar nicht gegeben, wenn man als Bank kalkuliert.
Aber die Versicherungsprämien steigen doch?
Nicht unbedingt. Ich habe auch schon gehört, dass Banken bei Prämienerhöhungen ihren Anbieter verlassen haben und zu einem international tätigen Konzern gewechselt sind. Warum? Da GS in anderen Ländern kaum verbreitet sind, fließt das auch nicht in die Kalkulation der Versicherungen mit ein, und Deutschland fällt dann nicht so ins Gewicht. Das sind ganz pragmatische Erwägungen auf allen Seiten, die ich auch verstehe, nur eben nicht teile.
Mit der erfolgreichen Verteidigung von Mandanten aus diesem Kriminalitätsbereich machen Sie sich nicht immer Freunde. Was entgegnen Sie Kritikern?
Natürlich wird mir teilweise in Gerichtssälen oder auch durch Medien Unverständnis entgegengebracht, wenn ich auch die vorgenannten Punkte anspreche. Aber ist es richtig dies zu verschweigen?
Die Niederlande haben vorgemacht, dass es für Bürger, Justiz und Banken besser ist, wenn man die Sicherheit verbessert. Aber dafür muss erst ein Bewusstsein für die Problematik und Zusammenhänge geschaffen werden. Das geschieht entweder freiwillig oder es muss den Banken finanziell wehtun, weiterhin Sicherheitsmaßnahmen zu unterlassen. Muss hierfür erst ein Gesetzgeber auftreten und damit drohen, Banken in die Pflicht zu nehmen?
Aber ich will damit nicht rechtfertigen, was meine Mandanten tun. Diese Dinge sind verboten und ich würde mir wünschen, es gäbe sie nicht mehr, auch wenn ich mit Strafverteidigung mein Geld verdiene. Als Bürger sage ich: Das muss aufhören!
Christoph Pawlowski
leitet die Kanzlei Pawlowski in Aachen. Der Straf- und Insolvenzrechtler befasst sich schwerpunktmäßig mit Geldautomatensprengungen und gilt deutschlandweit als Experte auf diesem Gebiet.