,

„Organisierte Kriminalität funktioniert nicht ohne Geldwäsche und Steuerbetrug“ 

Mit der Gründung des Landesamtes zur Bekämpfung der Finanzkriminalität in NRW will das Land gezielt und effektiv Finanzkriminalität bekämpfen. Im Interview berichtet Dr. Marcus Optendrenk, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, auch von potenzieller Zusammenarbeit auf EU- und nationaler Ebene.


Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen

BANKINGNEWS: Das Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität in Nordrhein-Westfalen (LBF NRW) wurde zum 1. Januar 2024 ins Leben gerufen. Welche Ziele verfolgt die neue Behörde? 

Dr. Marcus Optendrenk: Wir stellen unsere Steuerfahndung grundlegend neu auf, um gezielter Jagd auf genau diese organisierten großen Fische machen zu können. Unsere Fahnderinnen und Fahnder sind Top-Profis und wir wollen sie organisatorisch noch besser unterstützen. Deshalb bündeln wir Kompetenz und Wissen zentral, steuern Ressourcen künftig optimal und bauen neue Strukturen auf, wie die Sondereinheit zur Geldwäschebekämpfung und das IT-Kompetenzzentrum. So wollen wir besser gerüstet sein für die Verfolgung schwerer, überregionaler Finanzkriminalität und vor allem für die Führung internationaler Großverfahren. Aber wir schaffen auch bessere Schnittstellen zu anderen Ermittlungsbehörden. Wenn die Europäische Staatsanwaltschaft Unterstützung bei Ermittlungen anfragt, hat sie in Nordrhein-Westfalen dafür eine feste Telefonnummer. So werden wir schneller, effektiver und schlagkräftiger. 

Wie kommt es, dass Sie hier den anderen Bundesländern zuvorgekommen sind? 

Finanzkriminalität ist ein riesiges Geschäft geworden, Geldströme sind verflochten, digital und grenzenlos. Eine komplett dezentral organisierte Steuerfahndung wird dieser Entwicklung nicht mehr vollends gerecht. Der handlungsfähige Staat darf darum Strukturen nicht als gegeben hinnehmen, sondern muss sie an sich wandelnde Herausforderungen anpassen können. NRW nimmt bei der Steuerfahndung schon lange eine führende Rolle ein. Wir haben auf Rufe aus der Praxis gehört und unsere Schlüsse daraus gezogen. 

Kritik an der fehlenden Effektivität bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität richtet sich oft auch gegen den Föderalismus. Denn Finanzkriminalität ist bundes- oder sogar europaweit vernetzt. Wie begegnen Sie dieser Kritik? 

Föderalismus kann in fast allen Bereichen als Turbo wirken oder als Bremse. Bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität sollte er die Chance bieten, regional auftretende Phänomene rasch zu erkennen und wirkungsvoll einzuschreiten. Aber er darf die grenzüberschreitende Verfolgung von Straftaten nicht hemmen. Wir haben Umsatzsteuerbetrugskarusselle, die sich mit hohem Tempo und einem Geflecht von Scheinfirmen durch mehrere europäische Staaten drehen, um Waren zu verschieben und hohe Steuerbeträge zu hinterziehen – hier muss jede nationale oder regionale Behörde selbst zwar ihren Teil der Ermittlungsarbeit machen, aber wir brauchen gute, reibungslos funktionierende Schnittstellen. 

Erst vor kurzem wurde die EU-Behörde zur Geldwäschebekämpfung (AMLA) mit Ansiedlung in Frankfurt beschlossen. Auch das LBF NRW fokussiert sich auf das Thema Geldwäsche – inwiefern findet eine Zusammenarbeit zwischen den Behörden statt? 

Organisierte Kriminalität funktioniert nicht ohne Geldwäsche und Steuerbetrug – wenn wir diese Delikte konsequent bekämpfen, legen wir die Geldquellen des Verbrechens trocken. Die nordrhein-westfälische Steuerfahndung ist dafür bereits eine wichtige Partnerin der EU-Ermittlungs- und -Strafverfolgungsbehörden und den Stellen auf nationaler und internationaler Ebene, die sich der Geldwäschebekämpfung angenommen haben. Sie wird mit dem LBF NRW künftig noch schneller und effektiver in Großverfahren mitwirken können. So machen wir ganz Europa sicherer. 

Das Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität (BBF) basierend auf dem Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz ist noch in Planung. Wie bewerten Sie hier die Kooperationsmöglichkeiten? 

Wir brauchen diesen Schritt des Bundes dringend und zeitnah, um die Pionierarbeit Nordrhein-Westfalens, aber auch die erkennbaren Ansätze in den anderen Ländern zu bündeln und zu unterstützen. Dass das Bundesfinanzministerium sich so viel Zeit lässt und den Start des Behördenaufbaus mehrfach verschoben hat, sorgt mich sehr. Das BBF wäre sicher auch Treiber für den Aufbau weiterer Strukturen ähnlich dem LBF NRW. In der Zukunft soll es über das Bundesamt auch die Möglichkeit geben, zur Bekämpfung von Finanzdelikten gemeinsame Ermittlungskommissionen zu bilden. Das begrüßen wir ausdrücklich und werden uns gern beteiligen. Neben guten Strukturen braucht es auf Seiten des Bundes aber endlich auch den Mut, den rechtlichen Rahmen für eine effektive Bekämpfung der Finanzkriminalität an die Realität anzupassen. Der vom Bundesfinanzministerium jetzt vorgelegte Gesetzentwurf zur Vermögensverschleierung geht da fehl – wir brauchen effektive Möglichkeiten, um durch Straftaten erworbenes Vermögen aufzudecken und einzuziehen. Wenn ein Verdächtiger kein legales Einkommen hat, aber Sportwagen fährt, muss er erklären, wie er ihn bezahlt hat – Punkt! 

Wie kommen technologische Innovationen wie Künstliche Intelligenz bei den Ermittlungen zum Einsatz? 

Das neue IT-Kompetenzzentrum im LBF NRW soll Know-how bündeln und zentral die Anforderungen aus der Fahndungspraxis aufnehmen. So haben wir eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die den Einsatz Künstlicher Intelligenz für die Aufbereitung und Verknüpfung von Datenmassen prüft. Wir wollen durch neue Technologien einen möglichst hohen Grad an Automatisierung bei diesen Auswertungen erreichen. Auch Kryptowährungen gewinnen an Bedeutung für die Steuerfahndungen – denn schließlich verschieben Kriminelle ihr Geld heute eher digital als im klassischen schwarzen Koffer. 

Wie sieht insbesondere der „Follow the money“-Ansatz genau aus? 

Nehmen Sie als fiktives Beispiel einen Waffenschmugglerring, der international Waffen an kriminelle Banden und Terrorgruppen liefert: Da erwischen Ermittler bei Lieferungen oft nur die kleinen Lichter, die Drahtzieher bleiben im Dunkeln und treten bei den Straftaten nicht selbst in Erscheinung. Aber sie wollen ja Geld verdienen und so führt die Spur des Geldes irgendwann immer zurück zur Quelle des Verbrechens. Al Capone als einen der größten Mafiabosse aller Zeiten hat man letztlich ja auch nicht mit der Pistole an der Schläfe eines Opfers geschnappt, sondern bei der Steuerhinterziehung. Allerdings ist die Verfolgung dieser Spur des Geldes sehr aufwendig und langwierig. 

Welche konkreten Umstände begünstigen aus Ihrer Sicht wirtschaftskriminelle Organisationen? 

Wir erleben einen hohen Grad an Professionalisierung, Internationalisierung und Digitalisierung bei wirtschaftskriminellen Gruppen. Wo eben nicht der Geldkoffer durch die Grenzkontrolle geschmuggelt werden muss, sondern Finanzströme auf digitalen Wegen durch offene Grenzen fließen, wird es für die Ermittlungsbehörden immer herausfordernder, die Spur des Geldes nicht zu verlieren. Zudem nutzen diese Organisationen gekonnt und gezielt Regelungsunterschiede oder -gefälle zwischen Staaten. Umso wichtiger ist es für uns als Staat, dass wir grenzüberschreitende Strafverfolgung bei grenzüberschreitender Finanzkriminalität durch gute Schnittstellen ermöglichen, wir technologisch dranbleiben und uns nicht auf den Wegen durch Kryptobörsen im Internet und Darknet abhängen lassen. Wir müssen unsere Behörden agil aufstellen, um der Dynamik des Verbrechens wirkungsvoll begegnen zu können. 

Können Sie uns zum Schluss einen kleinen Ausblick über die nächsten Aktivitäten und Pläne geben? 

Zum kommenden Jahreswechsel bündeln wir mit dem zweiten und finalen Aufbauschritt die gesamte Steuerfahndung mit rund 1200 Beschäftigten im LBF NRW, die bisherigen Standorte bleiben in sechs Regionalabteilungen erhalten. Die Umsetzung läuft auf Hochtouren – auch hier sind übrigens die Praktikerinnen und Praktiker unmittelbar eingebunden. Ich bin mir sicher, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit dem LBF NRW ein Beispiel geben, wie der Staat seine Aufgaben durch neues Denken besser erfüllen kann – und das ohne ein deutliches Mehr beim Budget oder Personal. 

Dr. Marcus Optendrenk

Tipp: Sie interessieren sich für weitere Fachartikel aus der 300. BANKINGNEWS? Lesen Sie hier den Leitartikel zum Thema Open Finance oder einen Artikel zu Strategien gegen den Fachkräftemangel.