„Das Fundament für weiteres Wohlstandswachstum bröckelt“, heißt es in einer neuen Studie der KfW Research. Forschungsgegenstand sind die Konsequenzen des Fachkräftemangels, der laut KfW eine Zeitenwende einläutet. Bezug genommen wird dabei auf das langanhaltende Wachstum der deutschen Wirtschaft, die sich in den letzten Jahrzehnten trotz Rezessionsphasen stets aufwärts entwickelt hat – bis jetzt.
Die Ergebnisse besagen, dass bereits jedes zweite Unternehmen mit direkten Folgeeffekten auf die Geschäftstätigkeit durch fehlendes Fachpersonal zu kämpfen hat. Verfestigt sich die schwache Arbeitsproduktivität und nimmt das inländische Fachkräfteangebot weiter stetig ab, könnte Deutschland einen Einschnitt erleben. Ist also ein Wohlstandsgefälle zu erwarten?
Die Stellgrößen zur Behebung des Fachkräftemangels
Die KfW-Studie untersucht, welche Indikatoren zum Einsatz kommen müssten, um dem Fachkräftemangel Einhalt zu gebieten. Für die Erhöhung des Fachkräfteangebots beziehungsweise Senkung des Bedarfs werden folgende Indikatoren näher inspiziert: höhere Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung, Zuwanderung und eine Steigerung der Arbeitsproduktivität.
Um den demografisch bedingten Fachkräftemangel allein mit einer höheren Beteiligung der erwerbsfähigen Bevölkerung auszugleichen, müsste die Erwerbsquote (Altersgruppe 15 bis 64) bis zum Jahr 2035 um weitere zehn Prozent steigen (von 79 auf 89 Prozent). Um das zu gewährleisten, müssen allerdings die Erwerbsquoten von Frauen und Männern wachsen. Laut aktuellem Stand steigt die Erwerbsquote von Frauen zwar, jedoch nur langsam. Die Zahl der Erwerbsfähigen der Altersklasse 65+ müsste sich von derzeit acht auf 27 Prozent entwickeln.
Um dem Schwund des inländischen Fachkräfteangebots vollständig durch zugewanderte Arbeitskraft entgegenzuwirken, bräuchte es bereits zum Jahr 2022 eine Einwanderung von per Saldo einer Million erwerbsfähigen Menschen. Zur Mitte des Jahrzehnts müsste die Quote 1,3 Millionen betragen. Ein weiterer Einflussfaktor auf die Fachkräftenachfrage ist die Arbeitsproduktivität. Für einen Ausgleich des sinkenden Fachkräfteangebots im Inland wäre ein Wachstum der Produktivität pro Erwerbstätigen um ein Prozent vonnöten. Automatisierung, effizientere Arbeitsabläufe sowie eine Ausweitung der geleisteten Arbeitsstunden etwa könnten dieses Wachstum erzielen.
Stabilisierung durch Maßnahmen-Mix
Zwar wäre durch die Steigerung der drei Stellgrößen eine Stabilisierung des Wohlstandes gesichert. Um von Wachstum zu sprechen, müsste allerdings mehr passieren. Martin Müller, Autor der Studie, stellt fest, dass nur die Summe unterschiedlicher Maßnahmen einen Aufschwung der Wirtschaft antreiben kann.
Dazu müsste zunächst in der Aufklärung und Motivierung angesetzt werden. Werden zusätzliche Anreize geschaffen und mehr in lebenslange Weiterbildung investiert, profitiert nicht nur das einzelne Individuum. Schulfächer und Berufe in den MINT-Themen – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik – müssten attraktiver gestaltet werden. Insbesondere Frauen sind in diesen Bereichen weniger vertreten. Dabei benötigen vor allem die MINT-Bereiche verstärkten Nachwuchs, da sie das Innovationspotenzial und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands innehaben.
Mithilfe von Innovationen und Investitionen, die das Ziel der Produktivitätssteigerung anvisieren, könnte auch die Arbeitsproduktivität erneut ansteigen. Auch zugewanderte Arbeitskräfte wirken lediglich stimulierend für das Wohlstandswachstum, wenn sie qualifiziert sind und über entsprechende Deutschkenntnisse verfügen. Hier müssen Nachqualifizierungen und Sprachvermittlung deutlich effizienter vonstattengehen.
Es gibt zahlreiche Wege zum Ziel. Müller betont, dass zwar einige Fortschritte erzielt wurden. Wenn das deutsche Wohlstandsniveau neuen Schwung erleben soll, besteht jedoch Nachholbedarf an vielen Stellen. Er verweist auf die neue Fachkräftesicherungsstrategie der Bundesregierung und appelliert daran, deren Konkretisierung und Umsetzung weiterhin zu unterstützen. Die Widmung gilt insbesondere dem Staat, der erwerbsfähigen Bevölkerung, den Unternehmen sowie ihren Organisationen und Verbände – sie alle mögen zukünftig mehr Eigeninitiative zeigen, um die prognostizierte Zeitenwende auszubremsen.
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