Während im vergangenen Jahr die Aktienmärkte in den USA, vor allem aber auch in Japan, die europäischen Börsen klar outperformt haben, dürfte sich das Blatt nunmehr wenden. Anleger fahren am besten mit einer breit diversifizierten Anlagestrategie. Vor allem die USA haben 2023 die meisten Experten überrascht – und zwar positiv. Das gilt sowohl für die Wall Street als auch für die Konjunktur. Von einer befürchteten Rezession konnte nicht die Rede sein, vielmehr wuchs die größte Volkswirtschaft robust. Und es sieht alles danach aus, als könnten die Vereinigten Staaten diesen Coup 2024 wiederholen und ein Abrutschen in eine Schrumpfung klar vermeiden. Entgegen der herrschenden Konsensmeinung könnte sich das Wachstum der US-Wirtschaft sogar im Bereich von zwei Prozent verfestigen.
Bis zu fünf Zinssenkungen der Fed 2024 erwartet
Die Erwartung einer solch sanften Landung der amerikanischen Volkswirtschaft basiert maßgeblich darauf, dass die Geld- und Fiskalpolitik 2024 die US-Konjunktur nicht mehr belasten. Nach dem durchaus rasanten Zinserhöhungszyklus der amerikanischen Notenbank Fed und der zuletzt dann erfolgten Zinspause erwarten die Marktteilnehmer in diesem Jahr drei bis fünf Zinssenkungen der Notenbanker.
Privater Konsum als Motor des amerikanischen Wirtschaftswachstums
Vor allem der private Konsum erweist sich wieder einmal als Motor des amerikanischen Wirtschaftswachstums. Joe Sixpack, das Pendant zum deutschen Max Mustermann, profitiert, vereinfacht ausgedrückt, davon, dass er netto mehr Geld in der Tasche hat. Die Einkommen sind gestiegen, während sich die Inflationsrate zuletzt deutlich zurückgebildet hat. Unter dem Strich hat dies für gestiegene Reallöhne gesorgt, was bei den amerikanischen Verbrauchern für gute Stimmung sorgt.
Chinas gute Jahre sind vorbei
Deutlich trüber sieht es hingegen für die zweitgrößte Volkwirtschaft der Welt aus. Die Volksrepublik China befindet sich mitten in einem strukturellen Wachstumsrückgang. Vor allem der aufgeblähte und vollkommen überschuldete Immobiliensektor erweist sich als Wachstumsbremse. Diese Situation erinnert ein wenig an die Immobilienkrise ab 1989 in Japan. Hinzu kommt, dass die Nachholeffekte nach dem Ende der Corona-Lockdowns in China weitgehend aufgebraucht sein dürften. Diese hatten im vergangenen Jahr noch rund zwei Prozentpunkte zum chinesischen Wirtschaftswachstum beigetragen.
Wirtschaftswachstums in Japan vor Rückgang
In diesem Punkt gleicht Japan China. Hier ist ein Rückgang des Wirtschaftswachstums von rund zwei auf 1,5 Prozent zu erwarten, was für japanische Verhältnisse allerdings immer noch ganz ansehnlich ist. Die Binnenkonjunktur profitiert von steigenden Löhnen sowie gesunkenen Steuern, und dem Export kommt die Erholung der Weltwirtschaft zugute. Zudem wertet der japanische Yen seit rund drei Jahren immer weiter ab, was die japanische Wettbewerbsfähigkeit im Ausland unterstützt.
Deutschland erholt sich – Europa wächst trotzdem insgesamt schwächer als die USA
Deutschland gehörte 2023 zu den wenigen westlichen Industrieländern, die in eine Rezession abgerutscht sind. In diesem Jahr dürfte die größte Volkswirtschaft Europas wieder wachsen, aber mit einem erwarteten Plus von gerade einmal 0,6 Prozent die rote Laterne behalten. Mit ein Grund dafür dürften die Haushaltskürzungen der Ampelregierung nach dem Urteil des Verfassungsgerichts sein. Zwar sollte innerhalb des Euroraums das Wirtschaftswachstum in Spanien, Italien und Frankreich erneut höher als in Deutschland ausfallen, doch insgesamt dürfte Europa hinter den USA zurückbleiben. Im neuen Jahr ist hier nicht einmal mit einem halb so hohen Wachstum wie in den Vereinigten Staaten zu rechnen.
Europäische Aktien günstig bewertet
Trotz des schwächeren Wirtschaftswachstums scheinen in diesem Jahr Aktien aus Europa über die besseren Aussichten zu verfügen. Das wesentliche Argument hierfür liefern die deutlich günstigeren Bewertungen. Vor allem amerikanische Technologiewerte wie die so genannten „Glorreichen 7“ – dazu zählen neben Apple und Microsoft u. a. Amazon und die Google-Mutter Alphabet – sind so hoch bewertet wie noch nie.
KGV amerikanischer Titel ungewöhnlich hoch
Insgesamt kommen amerikanische Aktien dadurch auf ein sechs Prozentpunkte höheres Bewertungsniveau gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) als europäische Dividendentitel. Zwar sind die US-Börsen fast immer teurer als die europäischen Handelsplätze – aber das Ausmaß ist ungewöhnlich. Blenden Anleger die Highflyer des Jahres 2023 aus, so zeigt sich, dass es aber auch in den USA noch immer Schnäppchen gibt. Das verwundert kaum, denn ohne die großen amerikanischen Technologiegiganten haben sich die US-Aktienbörsen 2023 insgesamt nur seitwärts entwickelt.
Reformbereitschaft bei japanischen Unternehmen
Europäische Aktien sind insgesamt aber nicht nur im Vergleich zu amerikanischen Titeln historisch tief bewertet, sondern auch deutlich preisgünstiger als japanische Werte. Nur die Märkte in den Emerging Markets kommen auf noch günstigere Bewertungen. In Japan war bei den Unternehmen zuletzt gleichwohl eine zunehmende Reformbereitschaft und eine Fokussierung auf die Gewinnerzielung zu beobachten.
Europa und Japan im Aktienbereich übergewichten
Was bedeuten diese Entwicklungen für Anlegerinnen und Anleger? Zu Jahresbeginn empfiehlt es sich, Europa und Japan auf der Aktienseite überzugewichten, während die USA aufgrund der (zu) hohen Bewertungen weniger stark im Portfolio berücksichtigt werden sollten. Insgesamt kommt in einer Welt, die zuletzt verstärkt von geopolitischen Krisen heimgesucht worden ist, einer breit diversifizierten Anlagestrategie mit Aktien verschiedener Regionen und Sektoren eine große Bedeutung zu. Ergänzt wird dies durch eine ebenso granulare Streuung bei Staatsanleihen verschiedener Länder. Bei vielen Anlegern bereits im Besitz befindliche Immobilien sowie unter Umständen vorhandene Edelmetalle können die Anlagestrategie gesamtheitlich abrunden.
Reinhard Pfingsten
Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG
Reinhard Pfingsten arbeitet seit September 2023 als Chief Investment Officer bei der Deutschen Apotheker- und
Ärztebank. Diese Funktion übte der studierte Mathematiker bereits zuvor bei der Bethmann Bank und Hauck & Aufhäuser Privatbankiers aus.
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