„Diese Risiken ins Kalkül zu ziehen, ist aus meiner Sicht Pflicht“

Die Klimakrise ist eine enorme Herausforderung, auch für die Wirtschaft. Karsten Löffler, Head des Frankfurt School-UNEP Collaborating Centre for Climate & Sustainable Energy Finance und ehemaliger Vorsitzender des Sustainable-Finance-Beirats der deutschen Bundesregierung, im BANKINGNEWS-Interview über das, was Banken dabei bevorsteht.


„Diese Risiken ins Kalkül zu ziehen, ist aus meiner Sicht Pflicht“ Bundesregierung

BANKINGNEWS: Herr Löffler, neben Ihrer Tätigkeit bei der Frankfurt School of Finance & Management sind beziehungsweise waren Sie auch im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung als Vorsitzender aktiv. Können Sie kurz umreißen, welche Funktionen der Beirat hat?
Karsten Löffler: Das Mandat des Beirats endete mit der Legislaturperiode am 26. Oktober 2021. Der Beirat ist somit im Winterschlaf. Insofern bin ich der ehemalige Vorsitzende. Das muss man derzeit jedenfalls so sagen. Ins Leben gerufen wurde der Beirat von der Bundesregierung und geführt vom Finanz- und Umweltministerium, immer unter enger Einbindung des Wirtschaftsministeriums. Darin finden sich 38 Experten aus dem Finanzsektor, der Realwirtschaft, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Die wesentlichen Aufgaben des Beirates waren dreierlei. Erstens die Konzeptionierung und Erarbeitung einer umfassenden und verschiedene Perspektiven einbeziehenden Sustainable-Finance-Strategie für die Bundesregierung und zweitens die Beratung der Bundesregierung hinsichtlich der Positionierung zu nationalen, europäischen sowie internationalen Diskussionen zum Thema. Und drittens die Weiterentwicklung des Finanzsystems und des Risiko- und Chancen-Managements. Und zwar in der Form, dass dieses neben finanziellen auch außerfinanzielle Indikatoren zu Umwelt, sozialen Fragen und zu Fragen der guten Unternehmensführung mit ihren jeweiligen materiellen Aspekten adäquat abbildet.

In der vergangenen Legislaturperiode wurde eine Sustainable-Finance-Strategie vorgelegt. Inwieweit wurde diese bereits umgesetzt? Und was kommt auf die neue Bundesregierung zu?
Diese Strategie wurde von der Bundesregierung entwickelt und im Mai 2021 veröffentlicht. Das heißt, eine neue Bundesregierung müsste sehen, wie und was sie davon umsetzt, was sie ergänzen oder ändern würde. Wenn man in den Koalitionsvertrag schaut, ist das Thema Sustainable Finance dort erwähnt und wird auch referenziert. Aber interessanterweise nicht auf die Strategie der alten Bundesregierung, sondern auf die Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats. Das sind die berühmt berüchtigten 31 Punkte, die zum überwiegenden Teil von der neuen Bundesregierung übernommen worden sind. Aber da ist auch noch einiges, was die Bundesregierung nicht übernommen hat. Insofern hat der Zug den Bahnhof gerade erst verlassen. Jetzt ist es an „den Neuen“ das Heft in die Hand zu nehmen.

Welche Rolle spielt die öffentliche Hand beim Thema Nachhaltigkeit im Finanzsektor?
Sie spielt eine große Rolle, und zwar in ganz unterschiedlicher Weise. Zum einen als Emittent von Anleihen auf der Bundes- oder Länderebene, zum anderen als Anleger. Die Pensionsvermögen von Staatsbediensteten sind ja zum Teil durch Rücklagen gedeckt. Das heißt, hier besteht Anlagebedarf. Und diese Anlagen sollten so reinvestiert werden, dass sie in Übereinstimmung mit den politischen Zielen, sprich den Nachhaltigkeitszielen, sind. Das ist etwas, das man aus meiner Sicht auch unbedingt machen sollte. Dritter Punkt ist die Förderpolitik. Dafür gilt im Grunde genau das Gleiche. Und demnach spielt natürlich die öffentliche Hand auch über Signalwirkung und Rahmensetzungen eine entscheidende Rolle. Das ist nichts Neues und findet für die Finanzwirtschaft zunehmend statt. Weniger auf der nationalen Ebene, denn das Gros der Regulierungen kommt hier traditionell von der europäischen Ebene.

Abgesehen von Signalwirkung und Rahmensetzung durch die öffentliche Hand: Wie lassen sich weitere wirksame Anreize schaffen, in grüne Anlagen zu investieren?
Der beste Anreiz ist die Profitabilität, und das geht nicht ohne eine gewisse Rahmensetzung durch die öffentliche Hand. Gerade in Bezug auf Schlüsselindustrien, bei denen man für gewisse Standards und Preissignale sorgen kann. Ein solches Beispiel sind die Contracts for Difference (CFD). Meine Wahrnehmung ist, dass die produzierende Wirtschaft in den Startlöchern steht und willens ist, solche Entscheidungen zu treffen. Sie braucht aber natürlich eine gewisse Planungssicherheit und Profitabilität. Ohne wird es nicht funktionieren.

Es gibt jedoch auch ernstzunehmende Kritik an nachhaltigen Geldanlagen, seien es mangelnde Transparenz oder Greenwashing-Vorwürfe. Wie lassen sich Geldanlagen auf ihre Nachhaltigkeit prüfen? Und was lässt sich gegen Greenwashing tun?
Was wir jetzt sehen, sind Regulierungen, die genau dieses Thema adressieren. Die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) sieht vor, dass diejenigen, die nachhaltige Produkte anbieten, bestimmte Informationen mitliefern müssen. Das soll für mehr Transparenz sorgen und die Maxime von Produkt-Wahrheit und Produkt-Klarheit bleibt gewahrt. In eine ähnliche Richtung geht auch die Taxonomie-Verordnung. Sie ist ja nichts anderes als ein Informationsinstrument für Anbieter von nachhaltigen Finanzprodukten, mit dem sie zeigen können, wie groß der Anteil ihrer nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten in dem jeweiligen Finanzprodukt ist. Aus meiner Sicht ist eine gewisse Rahmensetzung Voraussetzung dafür, dass unterschiedliche Interpretationen weniger Raum bekommen, auch wenn die Welt komplexer ist als Regulierung es abbilden kann.

Wir haben gesehen, dass Katastrophen wie Hochwasser oder Erdbeben zunehmen. Wie sind diese Risiken für die Finanzwirtschaft einzuschätzen?
Das ist ein sehr interessantes Thema, weil es in Deutschland tendenziell unterbelichtet ist. Wir haben schon seit langer Zeit, besonders bei Überflutungen aufgrund von Hochwasser in Flüssen, immer wieder eine Diskussion über eine Versicherungspflicht in Bezug auf elementare Risiken. Das sollte man stärker durchdenken, denn die deutsche Versicherungswirtschaft bringt meines Erachtens inzwischen eine gewisse Offenheit für dieses Thema mit. Wir sehen schon unterschiedliche Ausgestaltungen in manchen Nachbarländern, etwa in der Schweiz und Frankreich. Es ist deshalb so wichtig darüber zu sprechen, weil es einen Versicherungsschutz für diejenigen gibt, die eine solche Police haben. Aber, wenn sie einmal gegriffen hat, gibt es sie dann auch ein zweites Mal? Wenn sich nämlich die Risiken ändern, kann es durchaus sein, dass die Versicherungsprämien risikoadäquat neugestaltet werden müssen. Mit anderen Worten: stärker ansteigen können. Ist die Versicherung dann für Betroffene noch zu finanzieren? Deswegen ist es ganz wichtig, auch in Bezug auf Anpassung entschiedener voranzugehen, sodass sich der Finanzsektor dieser Thematik stärker bewusst ist und in seine Entscheidungskalküle einbezieht, und zwar immer dort, wo physische Risiken auftreten können. Das muss nicht eine Überschwemmung wie an der Ahr sein, das können auch anhaltende Dürren oder zunehmende Winterstürme sein. Und das ist das Spannende: Was macht das mit einem Portfolio einer Finanzinstitution, die regional agiert, wie zum Beispiel im Grenzgebiet Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen? Was bedeutet das für das Kreditausfallrisiko? Insofern ist das etwas, das durchaus relevant werden kann, besonders auf einer lokalen Ebene. Diese Risiken mit ins Kalkül zu ziehen, ist aus meiner Sicht Pflicht.

Vor welche größeren Herausforderungen stellt das die Banken?
Die größte Herausforderung, die Finanzinstitute derzeit haben, ist, ihre Prozesse in Bezug auf drei Aspekte neu zu durchdenken. Erstens: Welche Chancen ergeben sich durch den Klimawandel? Wie können Banken ihr Geschäftspotenzial im Hinblick auf die strukturellen Veränderungen der Wirtschaft noch besser nutzen? Und wie lässt sich das innerhalb der Kundengespräche einbeziehen, sodass man zu einem wertvollen Gesprächspartner innerhalb dieses Wandels wird? Zweitens muss ich mir als Finanzinstitut immer stärker bewusst sein, welche Wirkung ich mit meinen Finanzierungen erziele. Diese Wirkungslogik wird im Übrigen auch im neuen Regulierungsentwurf und in der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) thematisiert. Die CSRD sieht ebenfalls diese doppelte Wesentlichkeit vor. Doppelte Wesentlichkeit heißt hier, dass nicht nur die Risiken von außen für mich als Finanzinstitut zählen, sondern auch das, was ich als Wirkung außerhalb meines eigenen Institutshorizontes erziele. Und drittens müssen sich Banken der Risiken bewusst sein. Dazu zählen nicht nur die physischen, die wir eben hatten, sondern auch Risiken, die Teil des strukturellen Wandels sind. Das können regulatorische Risiken oder Marktentwicklungen sein, die sowohl von der Nachfrageseite als auch von der Technologie-Seite kommen. Man kann auch nicht ausschließen, dass es juristische Risiken gibt, etwa wenn man bei möglichen Schäden durch CO2-Emmisionen haftbar gemacht wird. Insofern ist die große Herausforderung für Finanzinstitute, dies alles in die klassischen, eher zahlengesteuerten Systeme einzubeziehen, relevante Schlüsselindikatoren dafür zu entwickeln und die dahinterstehenden Modelle anzupassen. Und nicht zuletzt diese Dinge an die Mitarbeiter sowohl an der Kundenfront als auch in den Marktfolge- und Risiko-Funktionen weiterzugeben, sodass sie verstehen, warum das wichtig ist und was sie selbst dazu beitragen können. Banken haben bereits Schritte in diese Richtung gemacht, etwa mit der Klimaselbstverpflichtung einiger Kreditinstitute von Juli 2020. Halten Sie solche Abkommen für sinnvoll? Solche Selbstverpflichtungen halte ich für eine wirklich gute Idee. Sie zeigen die Absicht und Ernsthaftigkeit der Institute, sich der Klimafrage zu stellen. Und gerade auch bei tendenziell eher zurückhaltend agierenden deutschen Finanzinstituten ist das ein wesentlicher Schritt nach vorne. Und dann geht es darum, das in die Praxis umzusetzen. Dazu haben sich auch einige der Institute in der Net Zero Banking Alliance Germany zusammengefunden. Hier wird diskutiert, welche Methoden umsetzbar sind, zum Beispiel eine Vergleichbarkeit des Portfolios zu den Ambitionen des Pariser Klimaabkommens. Im Grunde dient der Transformationspfad als Leitlinie.

Glauben Sie, dass es auch eine Hebelwirkung für Unternehmen aus anderen Sektoren hat, wenn Banken sich gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit erklären?
Ja, das hat eine Hebelwirkung sowohl in Richtung von Unternehmen außerhalb der Finanzbranche, aber auch in Richtung staatlicher Stellen. Finanzinstitute signalisieren zum einen ihre Absichten und zum anderen ihre Überzeugung, dass dieser strukturelle Wandel funktionieren kann und sie für sich eine wichtige Rolle sehen. Traditionell wurde die Rolle des Finanzsektors auch von Regierungsseite nicht immer so gesehen. Das hat sich in den letzten Jahren glücklicherweise geändert. Und insofern glaube ich, dass das ein wichtiges Signal an den politischen Raum ist. Dabei geht es in keinem Fall darum, ab morgen keine Kredite mehr für „nicht grüne“ Aktivitäten zu vergeben. Aber man sollte sich tunlichst Gedanken darüber machen, wie das Geschäftsmodell mittel- und langfristig so anpasst werden kann, dass es tragfähig bleibt. Ich glaube, dass besonders die Industrie- und Handelskammern einen großen Beitrag leisten können, um den Mittelstand und kleinere Unternehmen dabei zu unterstützen, sich auf diese veränderte Lage einzustellen. Denn Kreditinstitute werden im Rahmen von Kreditverhandlungen und Kreditentscheidungen Nachhaltigkeitsthemen und die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen wesentlich stärker mit einbeziehen und abfragen.

Welche Chancen bieten sich für Banken durch eine nachhaltige Aufstellung von Infrastruktur und Wirtschaft?
Ein wesentlicher Aspekt für Finanzinstitute ist, dass jegliche Infrastruktur nachhaltig aufgebaut sein muss und es Infrastrukturinvestitionen gleichermaßen auf der Unternehmensebene wie auf der gesamtstaatlichen Ebene gibt. Da wissen wir alle, dass dort reichlich Potenzial ist. Es braucht entsprechende Produktionsmethoden, die angepasst sind an den strukturellen Wandel. Und da werden wir sicherlich in mehreren Schritten hingelangen, je nachdem, wie lange die jeweiligen Anlagen laufen. Das heißt, hier mit Finanzierungen zur Verfügung zu stehen, ist auf jeden Fall eine große Chance. Beim Thema Elektromobilität ist die Infrastruktur ein Aspekt. Es gibt einige Investoren, die in die Ladeanlagen investieren, sodass das bundesweite Netz sukzessiv ausgebaut wird.

Wo hört hierbei die Verantwortung der privaten Wirtschaft auf?
Immer dann, wenn er profitabel ist, funktioniert privater Wettbewerb gut. Dabei braucht es ein regulatorisches Umfeld, in dem das funktioniert. Auch die politischen Ziele müssen natürlich in Betracht gezogen werden. Wir sind nicht alleine auf der Welt. Das heißt aber nicht, dass man nicht ambitioniert vorangehen kann. Denn am Ende wird es ein globales Thema sein. Und wenn wir die Technologien für den strukturellen Wandel in Deutschland haben und entwickeln, dann haben wir eine solide Grundlage für künftigen Exporterfolg.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die europäische und die internationale Ebene?
Wichtige Impulse kommen von der europäischen Ebene. Deutschland spielt auf internationaler Ebene eine wichtige Rolle, sich aktiv einzubringen, auch im Rahmen der G7-Präsidentschaft in diesem Jahr. Da muss man auch Agenda-Setting betreiben, auch zu Sustainable Finance. Vermutlich wird das auch passieren. Und ein Aspekt, der tendenziell unterbelichtet ist: Das, was die deutsche Finanzindustrie betrifft, betrifft ebenso die globale Finanzindustrie. Und damit meine ich nicht nur die Industrieländer, sondern auch die Entwicklungs- und Schwellenländer. Denn die Fragen sind die gleichen, Finanzinstitute setzen sich dort genauso mit Klima- und Umweltfragen auseinander. Das ist auch ein zunehmend wichtiger Aspekt in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

Interview: Laura Kracht und Dennis Witzmann

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