BANKINGNEWS: Herr Hildebrandt, Sie haben viele Jahre bei der Royal Bank of Scotland gearbeitet und sind heute „nachhaltiger Koch“. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Karriereweg?
Thore Hildebrandt: Das kam nicht über Nacht, sondern war ein schleichender Prozess, der über vier bis fünf Jahre ging. Ich wollte schon immer mal in Asien arbeiten. Als sich die Chance bei der Royal Bank of Scotland ergab, habe ich sie genutzt. Im Jahr 2014 hat die Bank dann aber entschieden, sich aus dem Asiengeschäft zurückzuziehen. Das bedeutete für mich 2016 das Ende meiner Arbeit dort. Aber statt zu einer anderen Bank zu wechseln, also die gleiche Visitenkarte nur mit einem anderen Logo zu tragen, wollte ich erst einmal eine Auszeit nehmen und die ganze Sache als Chance sehen. Ich habe 18 Jahre als Banker gearbeitet. Das war auch größtenteils eine schöne Zeit, aber 18 weitere Jahre wollte ich das dann doch nicht.
Was hat sich verändert?
Ich hatte gemerkt, dass ich mit dieser geldgetriebenen Attitüde, die ja durchaus auch als Motivation nützlich sein kann, persönlich nichts mehr anzufangen weiß. Mich hatte es genervt, wie Kollegen durch die Gänge in der Bank gelaufen sind und unglücklich darüber waren, dass der Bonus in diesem Jahr nicht größer ausgefallen ist. Die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, hatten ja eigentlich bereits alles. Für sie ging es dann eher darum, wie sie zum Beispiel eine noch teurere Uhr kaufen können. Wir Menschen tendieren dazu, immer zu konsumieren und alles neu zu kaufen. Dabei gibt es auch sehr viele schöne Dinge, die man gebraucht kaufen kann. Durch meine Reisen um die ganze Welt ist mir bewusster geworden, dass wir hier in Deutschland so viel Überfluss haben, und zwar besonders was Lebensmittel angeht. Man muss sich mal überlegen: Pro Minute wird hier die Ladung eines Lastkraftwagens an Lebensmitteln allein in Deutschland weggeschmissen. Ich finde: Das ist einfach Mist.
Und als „nachhaltiger Koch“ wollten Sie dazu beitragen, diesen Umstand zu ändern?
Ich koche schon ewig. Als Kind aus dem Osten mit berufstätigen Eltern war das ganz normal. Man kam aus der Schule, hatte Hunger und hat sich eben selbst geholfen. Die Freude am Kochen war bei mir schon immer da. Nach meiner Arbeit bei der Bank ist der Titel „Nachhaltiger Koch“ zunächst aus einer Marketing-Not heraus geboren. Ich habe mit einem anderen Koch ein veganes Dinner veranstaltet, aber wir hatten kaum Reichweite und zu wenige Gäste. Wir haben dann mit dem Start-up SIRPLUS kommuniziert, die Lebensmittel retten und in den Einzelhandel bringen oder in eigenen Shops verkaufen. Dadurch kam erstmals die Idee auf, ein Dinner nur mit geretteten Lebensmitteln zuzubereiten. Die Gäste waren so begeistert und wollten mehr darüber wissen, sodass ich mich entschieden habe, bei dem Modell zu bleiben: nachhaltige Kocherlebnisse anbieten und dabei Menschen zusammenbringen. Das war für mich schon immer der Dreh- und Angelpunkt. Denn ich will nicht nur in der Küche stehen und für andere Essen zubereiten.
Sondern?
Der Austausch ist mir wichtig. Ich will diese Aha-Effekte sehen, wenn ein Skeptiker ein veganes Gericht aus geretteten Lebensmitteln isst und es ihm schmeckt. Auch das Konzept Haltbarkeitsdatum, das in den Köpfen ja sehr unterschiedliche Definitionen hat, möchte ich ein bisschen „challengen“. Wenn etwas abgelaufen ist, ist es nicht automatisch schlecht. Hier Aufklärung zu betreiben und Inspiration zu geben, ist mir wichtig, mehr noch als das finale Essen. Gemeinsam etwas Nachhaltiges, aber nicht weniger Leckeres zu kreieren und den Gästen dabei noch etwas beizubringen, darum geht es mir.
In der Finanzbranche wird das Thema Nachhaltigkeit auch immer wichtiger. Wie war das damals während Ihrer Zeit als Banker?
Das hat mich damals nicht so sehr tangiert. Zumindest in meinem Geschäftsbereich bei einer Großbank gab es eigentlich kaum Bewusstsein dafür. Wenn ich mich heute mit Ex-Kollegen unterhalte, scheinen sie das Thema aber deutlich mehr auf dem Schirm zu haben. Dass man nicht mit Unternehmen zusammenarbeitet, die den Klimawandel befeuern oder keine Standards beim Arbeitsschutz haben, ist zum Beispiel ein guter Schritt. Ich könnte mir vorstellen, dass der Ertrag etwas niedriger ist, wenn man als Bank voll auf Nachhaltigkeit setzt. Das merke ich bei mir natürlich auch. Ich könnte auch zur Metro fahren und alles günstig kaufen, was ich brauche. Dann wäre der Wareneinsatz und Zeitaufwand geringer, dafür die Verpackungsberge aber nicht. Ich glaube, es muss auch bei Banken einen gesunden Mix geben. Wichtig ist, Mitarbeitern nachhaltige Produkte näherzubringen. Wenn ein Produkt für einen erlebbar geworden ist und man sich damit identifizieren kann, lässt es sich auch leichter verkaufen. Ein Finanzprodukt für Mitarbeiter und Kunden erlebbar zu machen, ist vielleicht nicht so einfach. Bei meinen nachhaltigen Kocherlebnissen ist das leichter und bestimmt auch entspannter und schmackhafter. Das ist sicher eine wesentliche Herausforderung in der Branche.
Interview: Daniel Fernandez
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