Die natürliche Umwelt ist laut Weltwirtschaftsforum die Grundlage für mehr als die Hälfte der globalen wirtschaftlichen Aktivitäten. Sie stellt scheinbar kostenlos die notwendige Infrastruktur bereit – vom Holz für einen Tisch, Sonne für Energie bis zum Reinigen der Luft und den Nährstoffen im Boden, die Nahrungsmittel zum Gedeihen benötigen.
Der Mensch ist Teil seiner natürlichen Umgebung und hat gleichzeitig von allen Spezies den mit Abstand größten Einfluss auf sie. Bereits vor etwa 2,5 Millionen Jahren waren Menschen für das Aussterben einiger Säugetierarten verantwortlich. Seit der Neolithisierung mit Sesshaftigkeit, Viehhaltung, Ackerbau und der immens gesteigerten Produktivität zu Beginn der Industrialisierung nehmen sie zunehmend Einfluss auf die Biodiversität.
Einer Rechnung des WWF aus dem Jahr 2018 zufolge ist in den vergangenen 50 Jahren der weltweite Bestand an Wirbeltieren um 60 Prozent gesunken. Vorwiegende Gründe seien der Verlust von Lebensräumen, illegale Jagd, Überfischung und nicht nachhaltige Landwirtschaft. Nach einer Schätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) müsste unsere Gesellschaft 150 bis 440 Milliarden US-Dollar pro Jahr investieren, damit Ökosysteme den Kipppunkt nicht überschreiten und dadurch irreversibel geschädigt werden.
Und was haben Banken damit zu tun?
Diese Tatsachen sind dramatisch, aber warum betrifft dies den Finanzsektor? Banken haben durch ihre Finanzierungen Einflüsse auf Wirtschaftsströme und damit auch die Möglichkeit, diesen Hebel für biodiversitätspositive Finanzierungen zu nutzen. Und noch ein zweiter Punkt ist entscheidend: Für Banken ist es in den letzten Jahren immer offensichtlicher geworden, welche wirtschaftliche Bedeutung der Klimawandel für das eigene Kreditportfolio hat – auch auf der Risikoseite. Stichwort: transitorische und physische Risiken.
Bereits jetzt gilt für Biodiversität dasselbe. Kreditinstitute sollten deswegen Biodiversität als eine grundlegende Dimension von Nachhaltigkeit verstehen und berücksichtigen. Und wie so häufig hängen auch die Themen Klima und intakte Ökosysteme unmittelbar voneinander ab. 2021 veröffentlichten der Weltklima- und Weltbiodiversitätsrat erstmals einen gemeinsamen Bericht, dessen Kernbotschaft lautet, dass artenreiche, intakte Ökosysteme zur Abmilderung der Klimakrise beitragen. Sie sorgen für einen stabilen Kohlenstoffkreislauf, der der Atmosphäre CO2 entzieht.
Die DKB rät ihren Kunden für die Geldanlage, das eigene Portfolio divers und langfristig auszurichten, um gegen Marktschwankungen gewappnet zu sein. Gleiches gilt für die Natur, denn artenreiche Systeme weisen gegenüber artenarmen Systemen eine wesentlich größere Pufferleistung in Hinblick auf Schwankungen oder Schocks auf. Ebenso wie die Diversität eines Portfolios Risiken und Unsicherheiten minimiert, erhöht die Diversität natürlichen Kapitals die Resilienz gegenüber Schocks und ermöglicht die bestmögliche Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen.
Nicht nur ein Problem der Landwirtschaft
Ein ebenso anschauliches wie dramatisches Beispiel ist die Landwirtschaft – ein Sektor, den die DKB als Finanzierin der regionalen Landwirtschaft genau anschaut. Der Agrarsektor ist auf Finanzierungen von Bankenseite angewiesen, viel mehr aber noch auf Leistungen der Umwelt – Flächen, Niederschlag, Nährstoffe.
Laut einer Zählung des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) sind weltweit 91 der 107 am häufigsten angebauten Kulturpflanzen von Bestäubung durch Insekten abhängig. Gleichzeitig verweist er auf Schätzungen, dass es bei einem Totalverlust an bestäubenden Insekten zu Ernteeinbrüchen von bis zu 90 Prozent kommen würde. Dies hätte massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft als Wirtschaftssektor und die Ernährungsmöglichkeiten der Gesellschaft.
In Deutschland ist die Auseinandersetzung mit Biodiversität in der Landwirtschaft inzwischen auch Teil der öffentlichen Debatte. Bemühungen und Initiativen unterschiedlicher Akteure in Form von Blühstreifen, Stadtbienen und insektenfreundlicher Gartengestaltung sind zwar gut und richtig. In Summe sind sie jedoch in Bezug auf die Gesamtentwicklung der Biodiversität bei Weitem nicht ausreichend.
Vielmehr betrifft die Frage nach dem Erhalt der Biodiversität (fast) alle Wirtschaftszweige. Sie allein als eine Fragestellung der Landwirtschaft zu verstehen, wäre zu kurz gedacht. Mit Blick auf die Finanzwirtschaft verdeutlicht das umso mehr die Notwendigkeit einer Integration der Dimension Biodiversität in das Risikomanagement.
Biodiversität findet Einzug in die Regulatorik
Biodiversität wird in den nächsten Jahren auch aufseiten der Regulatorik Aufmerksamkeit verlangen. Zum Beispiel nimmt der ISSB-Standard (International Sustainability Standards Board) Biodiversität künftig verpflichtend in zwei neue IFRS-Rechnungslegungsstandards auf, welche auch in die deutsche Gesetzgebung einfließen werden.
Das Umweltziel 6 der EU-Taxonomie bezieht sich explizit auf Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet ab dem 1. Januar 2024 die nicht-finanzielle Berichterstattung dazu, Biodiversitäts-Impacts und -Dependencies sowohl aus Inside-out- als auch aus Outside-in-Perspektive zu berichten. Mittlerweile wird dies auch von Ratingagenturen wie ISS ESG gefordert.
Neben der Klimakrise gibt es folglich auch eine weitere, bislang wenig beachtete Krise zu lösen – den massiven Rückgang der Biodiversität. Denn diese ist eine zentrale Lebens- und Wirtschaftsgrundlage. Die gute Nachricht ist: Alle können handeln und Banken haben das Potenzial, mit ihrer Geschäftspolitik positiven Einfluss auf den Erhalt der Biodiversität zu nehmen. Lösungen für die Klima- und die Biodiversitätskrise katalysieren sich gegenseitig. Vielfach ist es daher ein „Zwei Fliegen mit einer Klappe schützen“.
TIPP: Sie interessieren sich für das Thema Nachhaltigkeit? Dann empfehlen wir Ihnen unser Interview mit Dr. Marie-Luise Meinhold, unsere Rezension „Investieren wie ein Förster“ oder unser Interview mit Jens Tolckmitt von der vdp.