BANKINGNEWS: Ihre Karriere bei der Deutschen Bank und Fidelity verlief sehr erfolgreich. Warum haben Sie sich vor einigen Jahren beruflich von der Finanzwelt verabschiedet?
Stuart Truppner: Nach 30 Jahren in der Finanzbranche wollte ich etwas anderes tun. Es hat mir immer sehr gefallen, mit vielen verschiedenen Menschen auf mehreren Kontinenten in Verbindung zu stehen und diese Beziehungen zu pflegen. Denn auch im Finanzbereich geht es immer um Menschen – seien es Firmen- oder Privatkunden. Ich habe nie daran gedacht, wie viel ich mit meinen Kunden verdienen kann, sondern habe immer versucht, aufmerksam zuzuhören, und daraufhin die besten Finanzbausteine und kluge Lösungen zu liefern. Doch das Leben bietet so viele unterschiedliche und interessante Optionen, dass es Zeit für etwas Neues war.
Wie bewerten Sie die Entwicklung der Bank- und Finanzbranche aus Ihrer heutigen Sicht?
Die Landschaft hat sich sehr stark verändert. Nach der Immobilien- und Finanzkrise hat das Image des Bankwesens extrem gelitten. Solche Entwicklungen sehen wir aber auch in anderen Branchen: Dass sich ein großer und guter Name wie VW seine Reputation durch den Abgasskandal fast zerstört hat, ist doch verrückt. Ich habe bereits während meiner aktiven Zeit gemerkt, dass in der Bankbranche einige Dinge schieflaufen. Was mir seit vielen Jahren nicht gefällt: Banken geben sehr viel Geld für das Sponsoring großer Sportmannschaften aus, was aus Marketingsicht vollkommen verständlich ist. Meiner Meinung nach sollten sie aber lieber überlegen, wie sie diese vielen Millionen wirklich sinnvoll in Menschen investieren können. Damit meine ich soziales Engagement, das ja sehr vielfältig sein kann: vom Betriebskindergarten bis zur Unterstützung lokaler Initiativen. Das gilt übrigens nicht nur für Banken, sondern auch für viele andere Großunternehmen. Etwas mehr Bodenständigkeit würde der Wirtschaft insgesamt guttun. Manager fliegen First Class und wohnen in den besten Hotels. Das Unternehmen schreibt Verluste und die angeblich wichtigsten Leute an der Spitze erhalten einen riesigen Bonus. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihre Ziele erreicht haben oder nicht. Und falls die „einfachen“ Mitarbeiter überhaupt einen Bonus erhalten, dann ist das im Vergleich zu den Boni der Vorstände ein absoluter Witz. Hohe Bonuszahlungen führen außerdem dazu, das Risiko nicht zu minimieren, sondern zu maximieren, weil das Bonussystem nur in eine Richtung funktioniert. Wenn ein Fondsmanager mit besonders risikoreichen Geschäften hohe Gewinne erzielt, dann wird er dafür entlohnt. Wenn er mit diesen Geschäften Verluste schreibt, wird ihm das Geld in den wenigsten Fällen abgezogen. Statt die Manager für hohe Risiken zu belohnen, bevorzuge ich ein System, das darauf abzielt, wie lange die wichtigsten Kunden der Bank treu bleiben. Ein Manager sollte daran gemessen werden, wie zufrieden der Kunde ist, und nicht daran, wie viele Millionen er potenziell in den Sand hätte setzen können. Das aktuelle Bonussystem stinkt zum Himmel. Es wird seit vielen Jahren darüber gesprochen, aber es ändert sich nichts oder nur sehr wenig. Und dann fliegen sie am Jahresende mit Fotografen um die halbe Welt, um ein paar schöne Fotos für ihre Broschüren zu schießen. Was das alles kostet, ist der helle Wahnsinn. Ich wollte irgendwann einen anderen Weg gehen und habe in meiner damaligen Unternehmensberatung versucht, anders und vor allem menschlicher zu arbeiten.
Das führt uns zu Ihrem Kinder-Hilfsprojekt. Wie sieht dieses Projekt aus?
Zum Hintergrund: Ich bin in einem Ghetto in Brooklyn aufgewachsen und das einzige, was ich gut konnte, war Basketballspielen. Besonders geprägt haben mich die ganz normalen, ehrlichen Menschen, die sich in den Vereinen um uns Kinder gekümmert haben. Ohne sie hätte ich niemals das erreicht, was ich erreicht habe. Das waren Leute, die genau hingeschaut und sich Zeit genommen haben, um ehrlich und liebevoll mit uns zu arbeiten. Einmal im Jahr sind sie mit uns zu den New York Yankees oder Knicks gegangen, für die ich später selbst spielte. Heute möchte ich zurückgeben, was ich als Kind bekommen habe. Ich arbeite mit drei Kinderorganisationen: der Arche, der Caritas und der evangelischen Kirche in Frankfurt. Wie bei mir damals gehen wir mit den Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen zu Sportveranstaltungen, wir haben aber auch sogenannte Lerntage. Dabei besuchen wir ein Unternehmen oder eine Organisation und schauen uns verschiedene Abteilungen an. Wir wollen Denkanstöße geben, Selbstvertrauen stärken und den Kindern zeigen: Das Leben steckt voller Möglichkeiten.
Wie finanzieren Sie dieses Projekt?
Diese Projekte finanziere ich alle aus meiner eigenen Tasche. Das sind viele Tausende Euro pro Monat. Es haben mich zahlreiche Firmen kontaktiert, die mich unterstützen wollten – vom DAX-Unternehmen bis zur Bäckerei um die Ecke. Aber bisher habe ich keinen Cent angenommen.
Haben sie es abgelehnt, um nicht in eine Abhängigkeit zu geraten oder sich vor den Marketingkarren der Firmen spannen zu lassen?
Beides. Ich möchte mir weder aus politischen noch aus wirtschaftlichen Gründen von Firma XY sagen lassen, was ich zu tun habe. Meine „Kunden“ sind die Kids. Und ich möchte intensiv und konfliktfrei mit ihnen arbeiten. Ich schließe nicht aus, dass ich einmal Spenden annehmen werde. Der Spender dürfte dann zwar Vorschläge für die Verwendung unterbreiten, aber an die Spende geknüpfte Bedingungen wären für mich nicht akzeptabel. Ich arbeite außerdem als Geschäftsberater für Firmen und meine Vergütung geht vollständig und ohne Umwege an die drei Kinder-Organisationen. Das ist meines Wissens nach einzigartig in Deutschland. Ich arbeite dabei nicht für mich, sondern für die Kinder. Die Firmen profitieren von meiner Beratung und erhalten einen Spendenbeleg. Das ist eine Win-win-Situation.
Denken Sie, dass Corporate Social Responsibility in den meisten Fällen nur ein Marketinginstrument ist oder tatsächlich aus Überzeugung betrieben wird?
Dazu gibt es keine eindeutige Antwort. Einige Unternehmen tun dies wirklich aus Leidenschaft, bei anderen ist es allerdings nur eine Fassade. Dies erlebe ich hautnah durch mein Hilfsprojekt. Man merkt, dass häufig keine klare Linie dahintersteckt, wenn etwa der Bereich für das soziale Engagement auf der Website des Unternehmens überhaupt nicht aktualisiert wird. Ich habe einige Firmen geprüft, die mich unterstützen wollten, und fragte mich, wie sie von der Relevanz nachhaltiger Projekte sprechen können, wenn der letzte Eintrag von 2014 ist. Manche Unternehmen haben mir ganz unverblümt gesagt: „Wir können Betrag XY ausgeben. Das tut uns nicht weh und macht einen guten Eindruck.“ Definitiv schauen aber immer mehr Menschen darauf, was und wie viel Unternehmen im sozialen Bereich leisten.
Sie beraten außerdem einige Start-ups unentgeltlich. Aus welchen Bereichen kommen diese Unternehmen?
Aktuell sind es neun Start-ups, zwei davon aus dem Finanzbereich, die meisten anderen sind IT-Unternehmen. Das sind absolute Nerds. Sie haben brillante Ideen und können sie mit ihren Fähigkeiten in der IT perfekt umsetzen – aber sie sind keine Vertriebler und können Marketing nicht einmal buchstabieren. Dafür bin ich da. Es macht mir Spaß, diesen jungen Menschen dabei zu helfen, Dinge zu entwickeln und zu vermarkten, die wiederum anderen Menschen in ihrem Alltag helfen können. Ich bekomme pro Tag etwa vier E-Mails von Start-ups, die mich um Unterstützung bitten. Die wichtigsten Punkte in einer Zusammenarbeit sind Ehrlichkeit, Menschlichkeit, Respekt, Fairness und Biss. Wenn ich den Eindruck habe, dass wir da auf einer Wellenlänge liegen, und wenn es meine Zeit zulässt, dann bin ich bereit, ihnen meine Hilfe anzubieten.