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„Wir sind Girocard-Fans”

Wie sieht die Zukunft im Payment aus? Ulrich Binnebößel, Zahlungsverkehrsexperte beim Handelsverband Deutschland (HDE), fordert vor allem Transparenz. Er träumt von einem geregelten Netzwerk für alle Akteure – alte wie neue. Bevor der Krypto-Euro für die nächsten Generationen kommt.


Girocard Handelsverband

BANKINGNEWS: Hat sich die Haltung der Käufer dem Bargeld gegenüber seit Anfang letzten Jahres verändert?
Ulrich Binnebößel: Ich denke schon. Wir haben natürlich mit Corona auch einen Trigger gehabt. Dieser hat dazu geführt, dass sich das Bezahlverhalten geändert hat. Es waren die hygienischen Anforderungen, die in den Vordergrund gestellt wurden. Auffällig war, dass die Verbraucher in der ersten Welle ja quasi darauf gestoßen wurden, doch möglichst mit Karte zu zahlen. Das hatte eine gewisse Signalwirkung. Kunden hatten bis dahin oft das Vorurteil im Kopf, der Handel würde lieber Bargeld akzeptieren, weil alles andere zu teuer ist. Das hat sich just in dem Moment geändert, als in den Supermärkten großformatige Schilder zum Bezahlen mit der Karte aufgefordert haben – am besten mobil, zumindest kontaktlos. Das bleibt hängen. Beim Kunden ist an-gekommen: Der Handel hat Kartenzahlung gar nicht so ungern. Das lässt sich auch nicht mehr zurückdrehen. Und das verstetigte sich nach der Wiederöffnung der anderen Branchen. Da gab es deutliche Nachrüstungen im Handel. Nicht nur bei den Bäckereiketten, sondern wir sehen das bei vielen Händlern, die das zweite oder dritte Terminal angeschafft haben. Die Kreditwirtschaft hat dieses Phänomen auch deutlich belegt mit einem Zuwachs von 3,8 Prozent im vergangenen Jahr und mit jetzt über 900.000 Terminals haben wir quasi eine Vollausstattung. Daher kann man sagen: Heute ist fast jede Kasse angeschlossen.

Hat sich früher wirklich nur der brave Bürger geschämt, dem Handel das Geld aus der Tasche zu ziehen?
Ich erinnere mich an viele Schilder, die mit Blick auf die Transaktionsgebühren einen Mindestumsatz für Karten verlangten. Tatsächlich ist es so, dass hier auch die Gebührenfrage eine gewisse Rolle gespielt hat. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen, die jetzt lange aus dem Spiel waren, haben ja die höchsten Entgelte zahlen müssen – weil sie aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Umsätze nicht so gut verhandeln konnten. Das hat sich im Wesentlichen auch nicht geändert. Man geht davon aus, dass große Filialisten und die größten Händler ganz andere Konditionen für unbare Zahlungen haben und deswegen auch Kartenzahlung bewerben konnten. Aber die kleinen Händler konnten nicht gegensteuern oder andere Signale an ihre Kunden geben. Es hat sich aber nichts am Grundsätzlichen geändert, dass die Grenzkosten der einzelnen Kartenzahlung tatsächlich noch höher sind als die der Barzahlung. Aber auch hier sehen wir ja deutliche Entwicklungen. Ich will es einmal so umschreiben: Ein System kann kippen. Wenn wir im Bargeldbereich mit sinkenden Mengen und gleichbleibenden oder sogar steigenden Fixkosten rechnen müssen, wird es irgendwann schwierig. Dann kommt die Kartenzahlung näher, die ja weniger Fixkosten, aber dafür mehr transaktionsbezogene Kosten hat. Diese sind ab einer gewissen Menge eben auch noch entsprechend verhandelbar und, zumindest bei den globalen Kartensystemen auch zu hinterfragen. Das ist unser anhaltender Disput über die Entgeltpolitik der Kartensysteme mit der EU-Kommission und auch mit dem Bundeskartellamt. Das ist ja kein neues Thema.

Zum Unmut der Banken hat der Gesetzgeber da auch nachreguliert. Nimmt man jetzt aber die Girocard, ist man da doch auf ein erträgliches Maß runtergegangen, oder nicht?
Das stimmt. Deswegen würde ich auch sagen, dass wir zu Girocard-Fans geworden sind. Aus Sicht des Handels wartet die Girocard mit einem Rekord nach dem anderen auf. Das zeigt ja schon einiges. Aber wir haben natürlich eine ganze Menge andere Kartenarten und Transaktionsarten im Markt, die auch nicht mehr ausgeschlossen werden können, da ein faktischer Akzeptanzzwang besteht. Denn wenn ein Händler sagt, dass er Karten akzeptiert, kann er eben nicht mehr nur auf die Girocard referenzieren. Er muss dann auch die weiteren Kartenarten bis hin zu Wallet-Lösungen akzeptieren. Das ist sonst kaum noch kommunizierbar. Aber es gibt gerade in diesem Bereich sehr viele Karten- und Transaktionsarten, die nicht von der EU-Verordnung gedeckelt sind. Die Girocard ist komplett gedeckelt und verzichtet sogar auf Systemgebühren. Aber bei Kreditkarten sind eben nur die Consumer-Karten gedeckelt. Die weit verbreiteten Business-Karten, aber auch Debitkarten der globalen Marken sind oft noch dreimal, manchmal sogar fünfmal so teuer wie die Girocard. Und deswegen ist eine unserer Forderungen, dass man sich auch die Gesamtkosten der Transaktionen anschaut und nicht nur den Teil der Interbankenentgelte. Da sind dann auch Scheme Fees, also die Systemgebühren der globalen Marken und die Acquiring-Kosten enthalten. Wir haben ja einen relativ überschaubaren Acquirer-Markt in Deutschland und Europa. Auch das müsste man sich nochmal anschauen, wenn man wirklich zu kostenbasierten Transaktionsentgelten kommen möchte.

Wäre es dann nicht sinnvoller, wenn Handel und Banken einfach gemeinsam die Girokarte stärken?
Ja, auf jeden Fall. Da könnten wir auch noch viel mehr tun. Aber es stellt sich ja auch die Frage, wie die Zukunft aus-sieht. Und hier haben wir zwei Aspekte zu betrachten. Auf der einen Seite sind die globalen Schemes natürlich eher in der Lage, die Entwicklung des Handels nachzuvollziehen, zum Beispiel die Verschränkung der Kanäle online, offline, mobil oder eben noch POS. Da sind Kreditkarten schon weit voraus oder haben das bereits umgesetzt. Das kann die Girocard noch nicht. Deswegen müssen wir uns zusammenschließen und die Girocard wirklich auf Augenhöhe bringen. Das ist ganz wichtig, damit sie als entsprechendes Gegenmodell überhaupt weiterhin bestehen kann. Und der zweite Punkt ist, dass die Weiterentwicklung der Girocard hauptsächlich von wenigen Experten getragen wird, unter anderem in den Verbänden und bei der EURO Kartensysteme. Aber wir sehen inzwischen auch starke Banken, die die Girocard einfach links liegen lassen. Dazu zählen gerade die Neobanken, die – so scheint es – gerne auf die Girocard verzichten und lieber Debitkarten von Mastercard und Visa herausgeben. Das sind natürlich Signale, die im Handel auch ankommen. Und da fragen wir uns: Wie stark steht eigentlich die gesamte Branche noch hinter der Girocard? Da bräuchten wir eigentlich ein deutliches Statement. Stattdessen sieht man zum Beispiel eine DKB, die laut darüber nachdenkt, überhaupt keine Girocard mehr auszugeben.

Klar, die DKB hat für die Refinanzierung ihres kostenlosen Girokontos komplett auf die Kreditkarte gesetzt und so ist ihr Geschäftsmodell durch die Deckelung der Gebühren teils weggebrochen. Wie erhalten Banken dann das kostenlose Girokonto? Das wollen manche ja nicht aufgeben.
Ich kann das verstehen. Aber es gibt historische Entwicklungen, die sich nicht umkehren lassen. Die eine ist, dass Kunden ein günstiges oder sogar kostenloses Girokonto erwarten, inklusive einer Karte. Wenn man diesem Wunsch gerecht werden will, dann muss man sich die Gebühren woanders zurückholen. Das ist in der Vergangenheit die Interbankengebühr gewesen und zum Teil ist sie es heute noch. Aber ich sehe heute auch neue Geschäftsmodelle, bei denen Banken versprechen, für jede Transaktion einen Baum zu pflanzen. Das muss sich ja auch irgendwie finanzieren. Was in der Historie funktioniert hat, muss ja nicht in der Zukunft fort-geschrieben werden. Ich würde das hinterfragen wollen, weil es eben auf Kosten der Händler geht, die quasi für die Geschäftsmodelle der Banken geradestehen. Die Frage, ob solche Gebühren zu Lasten Dritter überhaupt wettbewerbsrechtlich ein sauberer Weg sind, ist übrigens nie geklärt worden. Der Deckelung haben wir zugestimmt, aber es ist nie entschieden worden, ob Interbankenentgelte überhaupt rechtlich erlaubt sind. Ich glaube, dass wir mit der Deckelung einen ganz guten Kompromiss getroffen haben. Aber die ganzen Ausreißer, die noch nicht in diesem Kompromiss drin sind, müssen noch verhandelt werden. Wenn das Ganze jetzt wieder durch steigende Gebühren ausgehöhlt wird, dann stehen wir erneut vor der Frage: Warum bezahlt am Ende der Handel mit jeder Transaktion das Geschäftsmodell anderer?

Ist es nur das Geschäftsmodell anderer? Es ist ja auch eine Dienstleistung für den Handel. Und von Bankenseite könnte man mit den vorhandenen Daten die Dienstleistungen auf den Zahlungstransaktionen auch noch veredeln. Dann könnte man fragen: Wer hat am meisten davon und wie teilt man die Kosten auf?
Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Ich rede zunächst von den Produktionskosten einer Transaktion. Der Handel ist ganz sicherlich auch bereit, seinen Teil dazu beizutragen – aber es sollte transparent sein. Im Einkauf kann sich der Händler erklären lassen, wie Preise zustande kommen. Das fehlt bei Transaktionen völlig und es gibt auch keine verschiedenen Anbieter. Wir haben da keine Wettbewerbssituation. Der Handel ist aber durchaus gewillt, mehr zu zahlen, wenn er Mehrwerte bekommt. Heute ist es ja in der Regel so, dass er als anonymer Händler die versprochenen Leistungen einer Kreditkarte mitbezahlt, wie zum Beispiel die Versicherungsleistungen oder die Cash-Back-Optionen. Das finanziert der Händler, aber der Kunde führt das nicht auf ihn zurück. Wenn das auf sein Image einzahlen würde, hätten wir eine andere Situation.

So wie bei Payback?
Genau. Kundenbindungsprogramme gehen genau in diese Richtung. Aber wenn jemand den Versicherungsschutz der Kreditkarte in Anspruch nimmt, führt er das nicht auf seine Einkäufe beim Händler zurück. Aber wir sind mit den Banken im Gespräch, zum Beispiel über das In-App-Payment der Girocard monetarisierbare Vorteile zu schaffen. Da ist die Finanzbranche sehr interessiert an den Wünschen der Händler, was eine solche Lösung können muss. Da hört man zu, und wir sind auf einem richtigen Weg, um die vorhandenen Zahlungsmittel zu stärken. Auch auf europäischer Ebene ist man in Gesprächen – auch das ist ein positiver Ansatz.

Müssen wir Payment europäischer denken?
Ich bin da persönlich ein bisschen hin- und hergerissen. Wir haben hier tatsächlich noch immer einen sehr hohen Anteil an nationalem Denken. Der normale Kunde im stationären Handel geht meist nur in eine beschränkte Anzahl an Geschäften in seiner Nähe. Wenn er wegfährt, kann er sich vorbereiten. Aber natürlich sind Unternehmen inzwischen europaweit tätig und wünschen sich daher eine einheitliche Lösung. Technologie und Abwicklung muss man skalieren, aber nationales Branding kann erhalten bleiben. Daher kann auch die Girocard erhalten bleiben. So wie ich es verstanden habe, ist das auch das, was sich die Kreditwirtschaft vorstellt. Gleichzeitig sehe ich aber, dass wir es auf europäischer Ebene natürlich mit einer Vielzahl anderer Meinungsführer zu tun haben, die auch eigene Technologien durchsetzen wollen. Das zusammenzubringen ist eine große Herausforderung. Aber am Ende muss stehen, dass ein europaweit tätiger Händler eine homogene Infrastruktur in seiner Hard- und Software erhalten kann. Ich bin auch ein großer Fan von Instant Payment, also von SEPA Echtzeitzahlungen, das ja auch schon den Standard vorgibt und letztendlich auch viele Potenziale ermöglicht. Die sind aber noch gar nicht gehoben.

Ist Request-to-Pay eine Sehnsucht des Handels?
Das würde ich nicht unbedingt sagen. Letztendlich ist das noch kein Zahlungsverfahren, sondern eine Übertragungsmöglichkeit, wie der Händler seine Forderungen an den Kunden bringen kann. Hier ist es eine Option, die Infrastruktur der Banken zu nutzen. Verbunden mit einer Echtzeitzahlung über SEPA ist das auch okay. Aber es muss eine Option bleiben, denn der Händler kann auch seinen eigenen Übertragungsweg finden. Wer den einen nicht mag, kann den anderen nutzen. Deshalb setze ich mich auch dafür ein, dass offene Strukturen geschaffen werden.

Handel und Banken haben einen gemeinsamen Kunden, den sie etwa mit Zahlungsverkehr und Dienstleistungen zufrieden stellen müssen. Auf der anderen Seite ist der Handel aber auch Kunde der Banken. Wie gehen Sie mit diesem Spagat um?
Wir müssen Wege finden, wie sich die Akteure verbinden. Das ist nicht trivial. Da müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, die eine Vielfalt erhalten – das muss aber nicht protektionistisch sein. Am Ende des Tages könnten wir auch von einer Art Netzwerk sprechen, das in irgendeiner Art geregelt werden muss. Wir kennen das aus dem Mobilfunk oder dem Energiebereich. Ich denke, dass wir die Ansätze dazu mit EPI schon haben. Mit der EZB und der Bundesbank haben wir auch schon Unterstützer. Jetzt fehlt nur noch der richtige Schluss. Bis wir dann überholt werden vom digitalen Euro.

Welche Meinung haben Sie dazu?
Ich denke da eher in Generationen. Wir haben im Moment eine Welt, die sich gerade auf Instant Payment einstellt. Die nächste Generation wird sagen, dass wir dann aber auch ent-sprechende Formen von Bezahlungen brauchen, die ich programmieren und dann entsprechende Algorithmen anhängen kann. Das wäre dann mit dem Krypto-Euro auch möglich. Programmierbare Euros brauchen wir nicht sofort und können mit einfachen Krypto-Euros beginnen. Es wird dann eine Übergangszeit geben. Das heißt aber nicht, dass wir heute alle Altverfahren nicht mehr weiterentwickeln oder neue gestalten sollen, sondern wir haben da eine Generationenfrage. Bald fahren ja auf den Straßen auch noch Autos aus den 90ern zusammen mit modernsten autonomen Fahrzeugen. Ähnlich werden wir es mit Karten, Mobile Payment und vielleicht auch dem Krypto-Euro erleben.

Wie entwickelt sich die Verbindung zwischen Händler und Kunde in Zukunft?
Seamless ist da das Stichwort, kassenlose Märkte und Systeme, die wir natürlich auch aus Payment-Sicht betrachten. Wie wird der Check-Out in der Zukunft aussehen? Da tut sich eine Menge. Überlegungen gehen da in zwei Richtungen. Wir haben zunehmend Alltagskäufer im Supermarkt, die am liebsten gar nicht mehr groß an den Check-Out gehen möchten. Da muss Payment in den Hintergrund gelagert, vielleicht sogar nachgelagert werden.

Sie meinen das gute, alte Anschreiben im Laden?
Genau. Dann gibt es als zweites noch den Erlebnis- oder Spezialkauf, bei dem man alle Zahloptionen sehen möchte. Da muss es dann eben nicht seamless sein, sondern der Kunde will seine Optionen alle kennen. Und die sollten vielfältig sein – sowie für den Händler bezahlbar.

Interview: Ronja Wildberger und Thorsten Hahn

Sie möchten mehr aus der aktuellen Ausgabe lesen? Mit einem Klick kommen sie hier auf den Leitartikel „Vollgas voraus“ oder hier auf „Vortsände im Gespräch“ mit Dr. Sven Deglow von der Consorsbank. Darüber hinaus haben wir Herrn Binnebößel noch drei weitere Fragen im Video-Interview gestellt. Was er darauf geantwortet hat, sehen Sie hier.