„Das A und O jeder Transformation sind regelmäßige Retrospektiven“

Der Transformationsgedanke ist in der Finanzbranche angekommen. Der Wille auch? Dennis Chan, Bereichsleiter People & Culture in der Hamburger Sparkasse, spricht im Interview über die Gemeinsamkeit von Transformation und HR, Notwendigkeit von Führung und auf welche Aspekte es bei der Umsetzung struktureller Veränderung wirklich ankommt.


Quelle: Sakorn Sukkasemsakorn via Getty Images

BANKINGNEWS: Sie sind gelernter Tischler und wollten ursprünglich einen ganz anderen Berufsweg einschlagen. Wie kamen Sie zur Hamburger Sparkasse (Haspa)?
Dennis Chan: Richtig, ich bin kein echtes „Sparkassengewächs“, habe aber über meine Frau, die damals schon bei der Haspa war, einiges mitbekommen. Und fand es spannend, was sie dort machen. So habe ich 2003 mit der Ausbildung begonnen und war anschließend im Vertrieb und als Vertriebs-Coach und Trainer tätig. Die Begleitung von Teams und vor allem ihren Führungskräften liegt mir und bereitet mir dazu auch noch viel Freude. Das kam – zum Glück – auch in der Organisation gut an.

Inwiefern traf dies auf Anklang in der Organisation?
2018 haben wir das bis dato größte Transformationsprojekt „Spring“ gestartet. Im Kern ging es darum, wie wir die Bank wirklich verändern können. Und damit meine ich keinen Change, indem wir einzelne Teile der Organisation anpassen, sondern grundlegende Strukturen und Abläufe, aber vor allem auch Facetten des Miteinander völlig neu und anders denken. Dazu haben wir einen eigenständigen Bereich gegründet, welcher durch ein großes Maß an Freiheit sehr wirksam war und klare Ziele verfolgt. Vernetzung, Vertrauen und Verantwortung sind dabei die zentralen Treiber im Wandel vor allem in der Art und Weise unserer Zusammenarbeit. Im Laufe des Veränderungsprozesses
haben wir gemerkt, dass die menschenorientierten Bereiche, sprich das Transformationsmanagement und HR, viel mehr Kraft entfalten können, wenn sie fusionieren. Und das haben wir dann auch gemacht. Heute heißt der Bereich People & Culture, weil es darum geht, für unsere aktuellen Kolleginnen und Kollegen sowie die von morgen attraktiv zu sein, sie zu entwickeln und gleichzeitig die Organisation im Wandel zu begleiten, sodass Strukturen und Prozesse aber auch das Miteinander eine wirkliche Transformation unterstützen.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe oder Rolle dabei beschreiben?
Ich bin derjenige, der das Team aus People & Culture auf dem Papier leitet. In unserer Gesellschaft ist meine Rolle als Chef des Ganzen sichtbarer als die meiner Kolleginnen und Kollegen. Dabei würde mein Job ohne dieses Team gar nicht funktionieren. Sie dagegen würden es ohne mich vermutlich sehr wohl schaffen. Das versuche ich mir jeden Tag demütig vor Augen zu führen. Meine Rolle besteht daher unter anderem darin, zu sortieren. Was sind die wichtigen Themen? Das sind für uns Arbeitgeberattraktivität, Recruiting und Ausbildung sowie das Thema Digitalisierung.

Warum priorisieren Sie speziell diese drei Themen?
In Zukunft wird es so sein, dass wir Banken uns mit allen anderen Playern duellieren müssen, und zwar um die Mitarbeitenden. Es geht nicht mehr nur um das Ringen um die Kundschaft, wir befinden uns im Wandel zum Arbeitnehmermarkt. Und deswegen sind die Themen wie Arbeitgeberattraktivität, kluges Recruiting, richtige Inhouse- Entwicklungen für uns so wichtig. Wir können die besten Produkte der Welt haben, aber es bringt nichts, wenn uns die Menschen fehlen, um diese zu entwickeln, zu verkaufen oder zu betreuen. Und auch wenn KI in Zukunft sicherlich viele Aufgaben übernehmen wird, eins wird sie nicht können. Sie kann die Verbundenheit und Emotionen, die durch echte menschliche Begegnungen entstehen, nicht ersetzen. Das können nur Menschen. Und bei uns als Sparkasse geht es nun mal um genau das: Um Menschen, Regionalität und Nachbarschaft. Das ist unsere DNA.

Ich glaube, dass die Bankenwelt in Gänze noch intensiver aus Fehlern oder Erfahrungen lernen könnte.

Thema Mensch: Die Rufe nach einem neuen Arbeitsmodell werden immer lauter. Wird sich New Work im deutschen Finanzsektor durchsetzen können?
Ich glaube, dass das Neue, in dem Fall New Work, morgen wieder das Alte ist – auch im Bankensektor. Es gibt Sektoren, in denen es gelingen kann, agil oder anders zu arbeiten. Ich glaube aber, dass in der Gesamtarbeitswelt Agilität oder New Work gerade häufig als Buzzwords genutzt werden, ohne zu definieren, was sie eigentlich bedeuten. Etwas, was in meiner Wahrnehmung eine zentrale Bedeutung innerhalb New Work hat, sind Führungsstrukturen. Dafür brauche ich nicht zwangsläufig Scrum oder Design Thinking, vielmehr brauche ich eine Haltung, bei der es darum geht, die Menschen „besser zu machen“ als sie es gestern waren. Die Methode ist dabei irrelevant. Es kommt darauf an, den Mitarbeitenden zu vertrauen und darauf zu setzen, dass sie den Mut haben, neue Ideen auszuprobieren. Wenn man also New Work vor allem mit einem anderen Mindset verbindet, betrifft es alle in der Arbeitswelt. Und ich glaube, das A und O jeder Transformation im Unternehmen sind regelmäßige Retrospektiven. Man muss bereit sein, aus Fehlern zu lernen und etwas zu verändern.

Wird diese regelmäßige Reflektion von Banken aus Ihrer Sicht auch schon umgesetzt?
Für die Haspa kann ich die Frage klar mit „Ja“ beantworten. Gleichwohl können wir natürlich noch besser werden. Wir arbeiten unter anderem nach dem Konzept von Coverdale. Nach unseren Meetings versuchen wir uns darüber auszutauschen, was wir gut oder förderlich fanden, was hinderlich war und was wir uns für das nächste Meeting vornehmen. Allein das bringt signifikante Veränderung, weil man so Stück für Stück ein anderes Muster erlernt. Wenn man das verinnerlicht, kann jede Transformation gelingen. Ich glaube, dass die Bankenwelt in Gänze noch intensiver aus Fehlern oder Erfahrungen lernen könnte, und sich stärker fragen darf, wie es gelingt, Mensch, Entwicklung und Leistung in Einklang zu bringen.

Es sollte viel mehr Führung geben, dafür aber weniger Hierarchie.

Was muss eine Führung konkret mitbringen und kann man diese Kompetenzen erlernen? Kann eine Organisation auch ohne Führung auskommen?
Das Erfolgsrezept, dass es keine Führung braucht, ist aus meiner Sicht falsch. Eher noch sollte es viel mehr Führung geben, dafür aber weniger Hierarchie. Die zentrale Frage ist, was wir unter Führung oder vielmehr Leadership verstehen. Führungsverantwortung zu übernehmen, bedeutet nämlich nicht mehr bloß Entscheidungen zu treffen, sondern Menschen miteinander zu vernetzen und sich in den Hintergrund zu stellen. So lässt sich ein Rahmen schaffen, in dem Mitarbeiter wirksam sein und wachsen können. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir uns eher in Richtung selbstführende Teams entwickeln. Gleichzeitig bin ich ein Riesenfan von flachen Hierarchien. Alles nur selbstführend zu machen, wird auch nicht funktionieren. Wenn man in eine Sackgasse kommt, braucht es eine Hierarchiestufe – ganz gleich, ob es dann eine Führungskraft, ein Gremium oder ein anderer Entscheider ist. Trotzdem braucht es vorher deutlich mehr Schleifen in Teams. Ich bin mir sicher, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis das gelingt. Derzeit steht in vielen Themen ein Wechsel an und da braucht es einiges an Führungsarbeit, vor allem weil Banken noch nie von so einer Geschwindigkeit des Wandels betroffen waren.

Welche aus Ihrer Sicht überholten Prozesse und Strukturen sind besonders schwer zu transformieren?
Da gibt es viele dicke Bretter. Uns ist eine strukturelle Veränderung gelungen, nämlich der Shift vom finanzwirtschaftlichen Ergebnis als einzige Kennzahl zur Betrachtung von vier gleichberechtigten Zieldimensionen. Für uns zählt die Unternehmensenergie der Organisation, sprich die Energie der Mitarbeiter. Dies ermitteln wir zusammen mit der energyfactory St. Gallen AG. Dann gibt es den Net Promoter Score (NPS), wo uns unsere Kunden spiegeln, wie kundenorientiert sie uns denn wahrnehmen. Darüber hinaus bewerten wir natürlich das finanzwirtschaftliche Ergebnis sowie die Digitalisierung und Innovationskraft. Wir betrachten alle vier Zieldimensionen gleichrangig, weil wir an ihr Zusammenspiel und ihre Wirksamkeit glauben. Zudem war uns wichtig, flachere Hierarchien auszugestalten, für mehr Geschwindigkeit und besseren Informationsfluss. Deshalb haben wir eine Hierarchieebene abgebaut. Und wenn man auf Strukturen und Prozesse guckt, sind wir schnell wieder beim Thema Retrospektive. Das heißt, immer wieder zu reflektieren, ob die Strukturen und Prozesse noch zeitgemäß sind.

Warum fällt es aus Ihrer Sicht trotzdem vielen so schwer, strukturelle Veränderungen durchzubringen?
Strukturen und Prozesse sind über die Zeit und vor allem aufgrund der beteiligten Personen so gewachsen, wie wir sie heute vorfinden. Sie haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen. Das bedeutet, wir treffen bei Veränderungsprozessen oft auf viele „Heilige Kühe“, die man nicht so einfach „schlachten“ kann. Die heilige Kuh ist das Sinnbild aller Entscheidungen, die in der Vergangenheit zu Erfolgen geführt haben, die heute aber nicht mehr den gleichen Effekt erzielen. Wenn man also die heilige Kuh zur Schlachtbank führt, ändert man nicht einfach nur einen Prozess oder eine Struktur. Vielmehr radiert man etwas aus, was Menschen mit Herzblut aufgebaut haben. Für sie war die heilige Kuh mal ein Kälbchen, mit dem sie emotional verbunden sind. Die Kunst ist es, die heilige Kuh und damit auch die Kälbchen der Zukunft zu schlachten, weil sie nicht mehr zeitgemäß sind, dabei aber die Vergangenheit zu würdigen. Denn nicht zuletzt verbirgt sich in jeder heiligen Kuh ein Set-up an (Verhaltens-) Mustern, die helfen, für die Zukunft zu lernen. Um etwas Größeres zu schaffen, braucht man beides: den Willen, Dinge neu zu machen und die Erfahrung der Vergangenheit.

Interview: Fiona Gleim

Dennis Chan

Hamburger Sparkasse

Dennis Chan ist Bereichsleiter People & Culture in der Hamburger Sparkasse.