BANKINGNEWS: Lange waren Sie in der Union Investment für das Personalwesen verantwortlich. Welche war dabei Ihre größte Herausforderung?
Sonja Albers: Ich war etwa 14 Jahre in diversen Personalfunktionen bei Union Investment tätig. Im Mai 2008 wurde ich dann zur Bereichsleiterin Personal ernannt. Kaum hatte ich das neue Amt angetreten, brach die Finanzmarktkrise mit dem Fall der Lehman Brothers im September 2008 aus. Diese Krise wurde zur bislang größten Herausforderung für die Finanzwelt, unsere Branche, Union Investment und auch für mich. Aus der Perspektive der Personalchefin war es das oberste Ziel, die Arbeitsplätze zu erhalten. Dies ist uns gelungen. Wir mussten, im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern, keinen einzigen Mitarbeiter entlassen, da wir vorausschauend und frühzeitig die richtigen Entscheidungen getroffen hatten.
Sie würden rückblickend also keine anderen Entscheidungen treffen?
Am Ende zählt immer, ob man seine Ziele erreicht hat. Wir haben in der Finanzmarktkrise zwar keinen Personalabbau durchführen müssen. In der Rückschau gibt es natürlich immer einzelne Dinge, die man hätte besser machen können. Aber im Ergebnis waren wir erfolgreich. Das allein ist entscheidend.
Wie ist die Situation heute im Vergleich?
Auch heute spitzen sich die Makrorisiken am Kapitalmarkt wieder zu, bedingt durch die zeitgleiche Überlagerung mehrerer Krisen. Derzeit gibt es bekanntlich etwa Probleme bei den Zuliefererketten, die während der Corona-Pandemie entstanden und durch den Überfall auf die Ukraine durch Russland verschärft wurden sowie die hohe Inflation mit steigenden Zinsen im Gefolge. Es gilt, in einem dynamischen und teilweise widersprüchlichen Umfeld die besten Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen, um auch zukünftig erfolgreich zu sein. Das ist herausfordernd, denn es gibt keine Sicherheit, wie sich die Zukunft gestaltet. Daher müssen wir zunehmend agil sein und auch unsere Mitarbeiter entsprechend fortbilden.
Was muss ein Vorstandsmitglied aus Ihrer Sicht mitbringen, um dieser Rolle nach heutigen Gesichtspunkten auch gerecht zu werden?
Generell muss ein Vorstand dafür sorgen, dass das Unternehmen auf Kurs bleibt. Das heißt, bei aktuellen Veränderungen schnelle Entscheidungen zu treffen, aber vor allem auch nach vorne hin die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Des Weiteren gilt es, Veränderungen voranzutreiben, agil zu bleiben und sich dabei immer wieder neu zu justieren. Man sollte eine positive Grundhaltung besitzen, indem man immer die Chancen sieht und nicht nur die Risiken. Der Bereich Personal ist per se eine strategische Aufgabe. Denn man muss die heutige Lage richtig beurteilen, damit das Unternehmen auch zukünftig die passenden Personalressourcen hinsichtlich Quantität, aber vor allem auch die Kompetenzen zur Erreichung der Geschäftsziele zur Verfügung hat. Diesen vorausschauenden Charakter haben die Rollen einer Personalchefin und eines Vorstands gemein.
Ich sitze nicht im Elfenbeinturm, Entscheidungen werden gemeinsam vorbereitet.
Welche Bedeutung hat Personalentwicklung aus Ihrer Perspektive für den Erfolg eines Unternehmens?
Unsere Branche ist geprägt von einem hochgradigen Expertentum, das aber nur begrenzt am Arbeitsmarkt verfügbar ist. Daher tätigen wir im Rahmen unserer Personalentwicklung hohe Investitionen in die Aus- und Weiterbildung. Das intellektuelle Kapital unserer Mitarbeiter ist dabei die entscheidende Ressource und eine positive Abgrenzung vom Wettbewerb ist nur mit den besten Spezialisten möglich. Insofern hat das Thema Personalentwicklung für unsere Organisation eine ganz entscheidende Bedeutung. Zielgerichtete Personalentwicklungsmaßnahmen erlauben es unseren Mitarbeitern, ihre Aufgaben effektiver sowie schneller zu erledigen und sich an verändernde Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen anzupassen. Eine erfolgreiche Personalentwicklung garantiert somit die Aufrechterhaltung nötiger Qualifikationen, stärkt individuelle Kernkompetenzen und den Aufbau neuer relevanter Fähigkeiten.
Wie definieren Sie Personalentwicklung in Ihrem Unternehmen?
Personalentwicklung richtet sich bei Union Investment an zwei Grundsätzen aus. Erstens orientieren wir uns im Zuge der Bedarfszentrierung an den Wünschen unserer Mitarbeiter in Bezug auf ihre aktuelle Funktion. Bei der Potenzialorientierung geht es zweitens um das Finden der Leistungsträger von morgen und deren zielgerichtete Entwicklung darüber hinaus. High Potentials werden so identifiziert und nachhaltig gefördert. In Zukunft wird der Wettbewerb vor allem über Kompetenzen entschieden. Durchdachte Personalentwicklungsmaßnahmen sind zudem essenziell, um auch die Zufriedenheit und Motivation von Mitarbeitern signifikant zu erhöhen und diese langfristig an das Unternehmen zu binden.
Haben Sie den Eindruck, dass nach wie vor Förderbedarf weiblicher Mitarbeiter besteht oder ist jetzt in der Finanzbranche ein Punkt erreicht, an dem sich eine „Normalisierung“ einstellt?
Durch eine Reihe spezifischer Fördermaßnahmen, wie beispielsweise unsere Karrierewerkstatt, die Frauen eine bewusste Karriereplanung ermöglicht oder andere gezielte Formate in diesem Bereich, konnten wir die Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen in den vergangenen Jahren verbessern. Auch unsere Teilnahme am Karrierenetzwerk „Fondsfrauen“, die Finanzierung von Studien zur Förderung von Frauenkarrieren und die Unterstützung des „YOUNG WOMEN-LEADERSHIP“-Stipendiums in Kooperation mit der SYNK Business School konnten hier einen positiven Beitrag leisten. Aber auch wenn wir uns bei dem Anteil von Frauen in Führungspositionen in die richtige Richtung bewegen, sind wir noch deutlich von einer gleichmäßigen Verteilung entfernt.
Inwiefern werden Sie hier aktiv?
Um eine gleichmäßigere Verteilung zu erreichen, haben wir aktuell eine neue Position zu den Themen Diversität und Inklusion geschaffen und erfolgreich besetzt. Auch haben wir mit dem Diversity Council ein übergreifendes Gremium etabliert, das sich unter anderem auch den spezifischen Entwicklungsbedürfnissen sowie Karriereerwartungen und -anforderungen unserer Mitarbeiterinnen widmet. Es gilt hierbei, zukünftig verstärkt Vielfalt zu steigern und Frauen in Führung zu bringen, die in der Organisation vorhandenen Potenziale entsprechend zu nutzen und die Zukunftsfähigkeit von Union Investment sicher zu stellen.
In Zukunft wird der Wettbewerb vor allem über Kompetenzen entschieden.
Gibt es andere Probleme oder Entwicklungen, die Sie von Ihrer neuen Position heraus weiter im Blick behalten?
Da ist zum einen der Fachkräftemangel, der sich auch in der Asset-Management-Branche sehr bemerkbar macht. Der Kampf um Talente ist längst im Gange. Das Thema Diversität spielt eine immer prominentere Rolle. Dabei geht es nicht nur um die Geschlechterfrage, sondern zum Beispiel auch um Generationenvielfalt. Wir glauben daran, dass Teams mit einem hohen Diversitätsgrad bessere Ergebnisse erzielen. Zum anderen sind zukunftsorientiertes Kompetenzmanagement und die Prinzipien von Leadership für unsere Führungskräfte Kernthemen der Personalarbeit, die mich auch als Vorstand weiter beschäftigen. Und diese kann ich auf oberster Managementebene noch stärker zusammen mit dem Personalbereich vorantreiben.
Zu Ihren Geschäftsbereichen zählen unter anderem auch Recht und Compliance. Wie haben Sie sich auf diese neue Rolle im Unternehmen vorbereitet?
Richtig, neben Personal bin ich zuständig für Recht und Compliance sowie Fondsdienstleistungen. Da ich schon lange im Haus bin, sind mir die Geschäftsbereiche sehr vertraut. Fachlich sind die beiden letztgenannten Bereiche natürlich eine Erweiterung meines bisherigen Aufgabenfelds. Ich habe mich auf die Übernahme dieser Verantwortung vorbereitet, indem ich mich durch Hospitationen, Workshops und viele Gespräche mit den Teams eingearbeitet habe. Ohnehin verfolgen wir bei Union Investment einen teamorientierten Ansatz, wenn es darum geht, Lösungen zu entwickeln. Ich sitze nicht im Elfenbeinturm, Entscheidungen werden gemeinsam vorbereitet. Die Verantwortung dafür trage natürlich ich für meinen Verantwortungsbereich beziehungsweise das gesamte Vorstandsteam für das Unternehmen.
Die Digitalisierung ist für alle Geschäftsbereichen der Finanzbranche ein relevantes Thema. Wo sehen Sie hierbei den größten Handlungsbedarf?
Ich sehe aktuell vor allem in drei Bereichen Handlungsbedarf. In der Digitalisierung von bestehenden, teils manuellen Prozessen, wodurch wir nachhaltig Effizienzen heben. In der Weiterentwicklung unserer Geschäftsmodelle, um die steigenden Kundenbedarfe zu befriedigen und neue Zielgruppen zu erschließen. Und letztlich in der Modernisierung der Infrastruktur, wo wir etwa durch moderne Cloud-Technologien unsere Entwicklungsgeschwindigkeit erhöhen können.
Ein weiteres wichtiges Stichwort ist Nachhaltigkeit. Glauben Sie, dass sich ESG-Kriterien langfristig als Standard durchsetzen können? Und wie lässt sich die Nachhaltigkeit von Kapitalanlagen messbar machen?
Es stimmt, dass es bislang keine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit gibt. Die Europäische Union ist derzeit dabei, mit ihrer Taxonomie einen Rahmen zu schaffen, um nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten innerhalb der EU allgemeingültig zu klassifizieren. Dabei setzt der Beschluss des EU-Parlaments vom 5. Juli 2022, Atomenergie und Gas als nachhaltig zu deklarieren, die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie aufs Spiel. Bei Union Investment schließen wir Atomstromproduzenten seit vielen Jahren aus unseren Nachhaltigkeitsfonds aus. Und daran werden wir festhalten. Über Umweltaspekte hinaus – also das „E“ in ESG – gibt es für das „S“ und das „G“ bisher noch keinen Kriterienkatalog der EU. Dies sind herausfordernde Fragestellungen.
Wie begegnen Sie bei Union Investment diesen Fragestellungen?
Wir sind vor mehr als 30 Jahren mit nachhaltigen Fondslösungen gestartet und haben dafür einen klaren Investmentprozess etabliert. Wertpapiere bestimmter Unternehmen sind bei unseren nachhaltigen Fonds von vornherein ausgeschlossen. Wir verfolgen einen Best-in-Class-Ansatz und investieren nicht nur in Unternehmen, die bereits sehr nachhaltig sind, sondern auch in solche, die sich glaubwürdig im Sinne von „manage to green“ auf den Weg einer nachhaltigen Transformation begeben haben.
Atomenergie und Gas als nachhaltig zu deklarieren, setzt die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie aufs Spiel.
Wie bewerten Sie Rüstungsfragen im Kontext der ESG-Kriterien?
Wie wir durch den Überfall auf die Ukraine durch Russland leider wieder erleben mussten, können Waffen notwendig sein, um Frieden, Freiheit und Demokratie zu schützen. Waffen sind also notwendig, aber unserer Ansicht nach nicht nachhaltig. Für nachhaltige Investitionsentscheidungen gilt weiterhin die Maxime, dass die Schäden und das Leid, die mit Waffen erzeugt werden können, ein direktes Investment in die Aktien von Rüstungsunternehmen unter ESG-Gesichtspunkten nicht zulassen. Der Einsicht in die Notwendigkeit, wehrhafte Demokratien zu stärken, stehen ESG-Strategien aber dennoch nicht grundsätzlich im Weg. Denn durch den Kauf von ausgewählten Staatsanleihen werden staatliche Rüstungsinvestitionen indirekt ermöglicht.
Wo sehen Sie das derzeitige Verhältnis von Angebot und Nachfrage im Bereich nachhaltiger Anlagemöglichkeiten?
Das Angebot an nachhaltigen Fonds erweitert sich am Markt stetig und die Nachfrage ist ungebrochen, wie wir an unseren eigenen Zahlen sehen können. Während nachhaltige Investments früher lediglich ein Thema für institutionelle Anleger waren, steigt seit ein paar Jahren auch die Nachfrage von Privatanlegern stark an. Unser Neugeschäft mit Privatkunden betrug 2018 in diesem Bereich gerade einmal neun Prozent des gesamten Privatkundenabsatzes. Im Jahr 2021 waren es bereits 65 Prozent der Privatkunden, die sich für nachhaltige Fonds entscheiden.
Insgesamt sind Sie seit 1998 für Union Investment tätig. Welche Rolle spielt für Sie Kontinuität, beruflich und auch privat?
Sei es beruflich oder privat: Ich strebe nach Kontinuität in einem Umfeld, das mir Spaß macht, mir positive Energie gibt, in dem ich persönlich wachsen kann, immer Neues lerne und in dem ich etwas bewirken kann. Bei Union Investment war diese Kontinuität für mich immer gegeben.
Interview: Laura Kracht
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