Eine neue Kündigungskultur

Im Kampf um die Nachfolge Londons als Bankenhauptstadt Europas greift Hessens Finanzminister Thomas Schäfer zu ungewöhnlichen Mitteln: Er möchte den bisher gültigen Kündigungsschutz für Risikoträger bei Banken lockern. Das soll Frankfurt als neuen Standort für ausländische Banken interessanter machen.


Banken können sich möglicherweise bald viel einfacher von Risikoträgern trennen. Bildnachweis: iStock.com/yuoak

16.03.2020: Es ist ein regnerischer Morgen in Frankfurt und Stephan Mayer, Investment-Banker einer großen deutschen Bank, ist wie immer spät dran. Da keine Zeit mehr zum Frühstücken blieb, geht er noch schnell in einen dieser neuen Amazon-Supermärkte, die jetzt überall aus dem Boden schießen, um sich ein Schoko-Croissant und Kaffee zu holen. „Früher war das mal ein ganz normaler Supermarkt und dort, wo jetzt die Gurke-Minz-Smoothies stehen, reihten sich Kassenbänder und Kassierer auf“, denkt er sich noch, während er den Laden verlässt und sein Smartphone vollautomatisch den Einkauf bezahlt. Was als flüchtiger morgendlicher Gedanke beginnt, macht Herrn Mayer dann doch etwas nachdenklich. Plötzlich schiebt sich ein Wort in seinen Kopf, das ein Vorstandsmitglied neulich im Meeting verlor: Stellenabbau.

Er bleibt kurz stehen und hält inne. Der Regen klopft einen hektischen Rhythmus auf den Plastikdeckel seines Coffee-to-go-Bechers, vor ihm baut sich der imposante Glasturm auf, in dem er arbeitet. Wird bald jemand anders seinen Job machen? Oder wird er so enden wie die Kassierer im Supermarkt, ersetzt durch eine Software, die weniger Geld und keinen physischen Raum im Laden kostet, damit mehr Platz für überteuerte Obstpürees in stylishen Glasfläschchen vorhanden ist?

Natürlich befinden wir uns noch nicht im Jahr 2020 und auch Herr Mayer ist nur eine fiktive Person. Trotzdem werden seine Sorgen für eine kleine Gruppe Banker hierzulande bald möglicherweise Realität. Nach CDU und CSU hat nämlich nun auch die SPD-Basis mit rund 66 Prozent einer Neuauflage der großen Koalition zugestimmt.

Leichter kündbar ab 234.000 Euro Jahresverdienst

Und diese sieht im Entwurf ihres Koalitionsvertrags vom 7. Februar 2018 eine Lockerung des Kündigungsschutzes für „Risikoträger im Sinne von § 2 Abs. 8 Institutsvergütungsverordnung“ vor. Damit sind alle Mitarbeiter gemeint, deren Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil ihres Hauses auswirkt, also Geschäftsbereichsleiter, Leiter von Abteilungen wie Risikomanagement, Compliance oder Rechtsfragen sowie einfache Angestellte mit einem hohen Handels- und Kreditlimit. Verdienen diese 234.000 Euro brutto oder mehr, sollen Banken sich künftig jederzeit und ohne Vorlage von Kündigungsgründen, jedoch gegen Zahlung einer Abfindung, von ihnen trennen können. Abhängig von Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit können dies bis zu achtzehn Monatsgehälter sein.

Kritische Stimmen aus der SPD

Geldnot wird bei Betroffenen also sicherlich nicht aufkommen. Trotzdem sehen vor allem Gewerkschaften und Sozialdemokraten das Vorhaben kritisch. Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD Bundestagsfraktion, warnt: „Hier geht es nicht bloß um eine Lockerung des Kündigungsschutzes, sondern um dessen Aushebelung.“ Dem widerspricht Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU). Für ihn sind hochverdienende Investment-Banker „weniger schutzwürdig als einfache Sparkassen-Angestellte“. Er war maßgeblich daran beteiligt, das Vorhaben im Koalitionsvertrag unterzubringen, um so den Finanzstandort Deutschland nach dem Brexit für ausländische Banken interessant zu machen. Diesen war der straffe deutsche Kündigungsschutz bisher ein Dorn im Auge.

US-Banken bereits vor Umzug nach Frankfurt

Und Schäfers Plan scheint aufzugehen: Allein vier der fünf größten US-Banken – Morgan Stanley, Citi, JP Morgan und Goldman Sachs – bereiten den Umzug nach Frankfurt vor oder expandieren dort. Die geplante Gesetzesänderung sei ein Schritt in die richtige Richtung, bekräftigte Thomas Schlüter, Sprecher des Bundesverbands deutscher Banken, jüngst gegenüber der Frankfurter Neuen Presse. Gerade ausländische Kreditinstitute seien die Flexibilität gewohnt, sich in Krisenzeiten unkompliziert von Spitzenverdienern trennen zu können.

Nach der Regierungsbildung müsse also schnell gehandelt werden, um das geplante Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Ob das mit dem Gegenwind der SPD jedoch möglich ist, bleibt abzuwarten. Immerhin bezeichnete der designierte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die wirtschaftliche Entwicklung hierzulande gerade noch als einen der zentralen Punkte seiner zukünftigen Arbeit, wozu der Zuzug einiger großer ausländischer Banken sicherlich positiv beitragen würde.

Abgeschwächter Kündigungsschutz bei Geschäftsführern bereits Realität

Dabei orientiert sich der Entwurf lediglich an der aktuell gültigen Rechtslage für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, für die ein abgesenkter Kündigungsschutz bereits Realität ist. Wenn man bedenkt, dass es Investment-Banker gibt, welche zu Spitzenzeiten mehr verdienen als der Vorstand, wirkt es gar nicht mehr so abwegig, diese auch kündigungsrechtlich gleichzustellen. Eine soziale Rechtfertigung für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wäre demnach seitens des Arbeitgebers nicht mehr nötig. Stelle sich die Kündigung eines leitenden Angestellten wegen einer ausbleibenden sozialen Rechtfertigung nämlich vor einem Arbeitsgericht als unwirksam heraus, könne der Arbeitgeber ohne weitere Begründung einen Auflösungsantrag stellen, welchem dann seitens des Gerichts stattgegeben werden müsse, heißt es in einem Brief der bedeutenden Wirtschaftskanzlei GGV. Wenn die grundlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtlich nicht mehr anfechtbar sei, so die GGV weiter, könne auf den Streit um einen Auflösungsvertrag auch verzichtet und direkt die Beendigung gegen eine Abfindung angeboten werden – die Entstehung einer neuen Kündigungskultur in der Bankbranche.

Ausweitung auf andere Beschäftigungsgruppen

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fürchtet indes eine Ausweitung der geplanten Gesetzesänderung auf andere Beschäftigungsgruppen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der stetig fortschreitenden Digitalisierung interessant. Sobald Kündigungen keinerlei Begründung mehr bedürfen, wird es Banken und Unternehmen erheblich erleichtert, auch in guten Zeiten Stellen zu streichen und ganze Abteilungen weitgehend zu automatisieren. Bereits jetzt sehen wir, was Digitalisierung im Bankensektor bedeutet: Filialen werden geschlossen, der langjährige Berater weicht einer App auf dem Smartphone.

Die Sorgen unseres Herrn Mayer aus der Zukunft kann man also durchaus nachvollziehen. Seine Präsentation läuft übrigens gut an jenem Montag im Jahr 2020. Als alle Teilnehmer den Raum verlassen haben, schaut er nochmal auf das Memo, welches ihn kurz vorher erreichte: Zwei seiner Kollegen müssen gehen, er darf bleiben. Müde stellt er sich vor die Fensterfront des Meetingraumes und schaut auf die Skyline seiner Stadt. Der Himmel ist mittlerweile aufgeklart und durch einige restliche Wolken legt sich zögerlich die Sonne auf Frankfurt am Main, die Bankenhauptstadt Kontinentaleuropas.