Haben Banken und Versicherungen eine Zukunft?

Die Bankbranche konnte sich vor Jahrzehnten noch als stolze Branche bezeichnen und war Vorbild für viele andere Player. Nun hat sich das Rad jedoch gedreht. Jetzt gilt es, von anderen Branchen zu lernen.


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Ja, Banken haben eine Zukunft. Aber dafür müssen sie etwas tun! Banken und Versicherungen schauen in Deutschland auf eine sehr große Tradition zurück und – zumindest vor der Finanzkrise – auch auf eine teils sehr erfolgreiche Vergangenheit. Aus dieser Vergangenheit rührt auch überwiegend das Denken und Handeln. Die grundsätzliche Frage ist jedoch, ob das tradierte Geschäftsmodell einer Bank oder Versicherung überhaupt noch tragfähig ist. Das und wer tatsächlich die Wettbewerber sind, ist kritisch zu hinterfragen. Sind es andere Banken oder Versicherungen? Oder sind es Unternehmen wie etwa Google, Amazon oder Apple? Oder ist es ein Start-up, das mit einer guten Idee das tradierte Geschäftsmodell aufs Fundamentale zerstört und neu definiert? Der Zwang, fokussierte Geschäftsmodelle zu entwickeln, wird sich weiter beschleunigen. Noch wird zu wenig darüber nachgedacht, wie ich meine Kunden begeistern kann. Was ist Sinn und Zweck meines Unternehmens, und wie kann ich mein Unternehmen vor dem Hintergrund der Digitalisierung, Globalisierung und der demografischen Entwicklung in die Zukunft transformieren? Dazu muss ich im Unternehmen frei denken, kritisch hinterfragen und infrage stellen dürfen. Das umfasst auch das Überdenken von Führung, Zusammenarbeit und eine zielgerichtete Organisationsentwicklung – gerade bei Banken und Versicherungen.

Transformationsprozesse scheitern in Unternehmen weniger an fehlenden Ideen oder guten Konzepten, sondern am Faktor Mensch. Besonders die Führungskräfte und mit ihnen das Führungsmodell und die Kultur des Unternehmens sind von zentraler Bedeutung. Führung und Zusammenarbeit müssen und werden sich ändern. Hier setzt auch das Positionspapier des Bundesverbands der Personalmanager e.V. (BPM) an. Hier heißt es, dass die Organisation der Zukunft auf Zusammenarbeit basiert. Hierarchie, Führung und Aufgabenzuschnitt sollen neu gedacht werden. Zwei Beispiele aus der Praxis verdeutlichen dies.

Und dann ist da plötzlich nichts mehr

Die EnBW ist einer der größten Stromversorger Deutschlands. Mit der Energiewende und dem politisch motivierten Atomausstieg sowie der Fukushima-Katastrophe brach die Sparte der Kernenergie quasi über Nacht weg. Das Unternehmen hatte dieses unterschätzt. Die Gewinne sanken. Es musste schnell gehandelt werden. Dr. Frank Mastiaux, Vorstandsvorsitzender der EnBW, stand vor einer Herkulesaufgabe. Mastiaux war aber auch klar, dass Veränderung in kleinen Schritten nicht den gewünschten Erfolg bringen würde. In einem kompakten Team hat er innerhalb von sechs Monaten ein neues Konzept für die Zukunft der EnBW aufgestellt: klare, einfache Eckpunkte, ambitionierte Zielsetzungen bis 2020, konsequent und unumstößlich. Die Inhalte sahen eine umfangreiche Strukturveränderung vor. Damit sollte ein radikaler Kulturwandel zur Förderung von Austausch und Zusammenarbeit einhergehen. Der zentrale Auftrag an alle Führungskräfte war: Mitarbeiter für die Veränderung mobilisieren und sich in den ersten 100 Tagen selbst prüfen, ob man mitzieht.

Mit Effizienzmaßnahmen für den Erfolg wurden 40 Prozent der beeinflussbaren Kosten eingespart, 1.800 Stellen gestrichen und zugleich 900 neue Mitarbeiter eingestellt. Um auch den fortlaufenden Prozess der Umstrukturierung nicht zu gefährden, musste zudem in Innovation investiert werden. Der entscheidende Erfolgsfaktor für jede Transformation ist nach Meinung von Frank Mastiaux eine wertschätzende und authentische Kommunikation. Diese soll verlässlich, verantwortungsvoll, vertrauensvoll, verständlich und verzugslos, also schnell sein. Das Beispiel von der EnBW zeigt deutlich, dass der Auftrag von HR zu einem erfolgreichen Turnaround klar ist: HR muss ab sofort ein Kulturveränderer sein!

Banken dürfen nicht im eigenen Saft schmoren

Auch im Bereich der Lebensversicherungen muss vieles auf den Prüfstand. Bei der VPV Lebensversicherungs-AG war in diesem Zusammenhang die Entwicklung einer digitalen Agenda unumgänglich. Im Rahmen der HR Strategie@2020 wurde dazu 2016 ein agiles Projekt der besonderen Art aufgesetzt. Zwar war Design Thinking im Unternehmen bereits bekannt und angewandt worden, aber eben nicht für ein unternehmensübergreifendes, strategisches Projekt. Auch die Zusammensetzung des Projektteams war anders, nämlich hierarchie- und ressortübergreifend. Dazu hat sich die Geschäftsführung der VPV entschieden, keinen Berater hinzuzuziehen, sondern einen sogenannten Advocatus Diaboli aus einer anderen Branche (Sensorenhersteller) eingeladen. Dieser kannte die Branche der Versicherungen nicht und hatte auch nie etwas damit zu tun. So konnte kritisch hinterfragt werden: Warum macht ihr das so? Wozu ist das gut? Was nützt das dem Kunden? Anhand der Advocatus -Diaboli-Haltung sollten verschiedene Sichtweisen zu einem Target entwickelt werden. Die Teilnehmer wurden dazu aufgefordert, Standpunkte zu ändern und auch bewusst zu wechseln. Ein bestehendes Problem wurde dadurch bewusst kontrovers diskutiert. Das hat zum Vorteil, dass man nicht im „eigenen Saft schmort“, sondern effizient nach neuen Wegen sucht.

Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung war eine veränderte Art der Zusammenarbeit, in der viele Beteiligte umfangreich eingebunden wurden: im hierarchie- und ressortübergreifenden Projektteam, über die laufende und offene Kommunikation ins Haus, beim Testen der Prototypen mit Kunden, Vermittlern und Mitarbeitern oder indem auch konstruktiv-kritische Stimmen von innen und außen zugelassen wurden. Der Human-Resources-Bereich sorgte für die strategischen Grundlagen, die agile Methode, das Projekt-Design und schaffte die notwendigen Rahmenbedingungen. Dieses Projekt hat gezeigt, dass auch in einem sehr traditionellen Haus agil, zukunftsorientiert und mit neuen Ansätzen gearbeitet werden kann.