Im Schatten des Euro

Vor den Pforten des 148 m hohen Eurotowers, dem Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB), hatten sie sich ihr Territorium erobert. Die Rede ist vom Kreis jener Kapitalismuskritiker, die sich der Occupy-Bewegung verschrieben haben. Im Herbst letzten Jahres schlugen sie hier ihre Zelte auf. Die Occupisten haben kein festes Programm, sondern prangern allgemein die Missstände des…


Vor den Pforten des 148 m hohen Eurotowers, dem Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB), hatten sie sich ihr Territorium erobert. Die Rede ist vom Kreis jener Kapitalismuskritiker, die sich der Occupy-Bewegung verschrieben haben.

Im Herbst letzten Jahres schlugen sie hier ihre Zelte auf. Die Occupisten haben kein festes Programm, sondern prangern allgemein die Missstände des Finanzsystems an, das mit seinen Spekulationsgeschäften schier undurchschaubar geworden ist. In so genannten Asambleas fand man sich täglich zu öffentlichen Diskussionsrunden zusammen.

Unter dem Namen „Occupy Wall Street“ verbreitete sich die Bewegung von New York aus in die ganze Welt, wie z.B. nach London, Paris, Rio de Janeiro und Sydney. Initiiert wurde sie von der konsumkritischen, kanadischen Stiftung Adbusters Media Foundation. Anlässlich des Arabischen Frühlings gründeten sie ihre Zeltstadt im September letzten Jahres im Zuccotti Park, den sie kurzerhand in Liberty Plaza umbenannten. Parallel dazu errichteten sie eine eigene Website, um Interessierte und Unterstützer zu erreichen sowie Spendengelder zu generieren. Jedes Camp hat unter anderem seinen eigenen Facebook- und Twitter-Account, teilweise gibt es auch Livestreams. Namenhafte Ökonomen, Politiker oder prominente Wissenschaftler sympathisieren mit der Occupy Wall Street-Vision – eine Welt ohne soziale Ungleichheit und spekulative Finanzgeschäfte.

Aufmerksamkeit wurde der deutschen Bewegung insbesondere an vier Tagen im Mai zuteil. Unter dem Namen Blockupy haben sie zu Protesten gegen die Macht der Banken und die europäische Sparpolitik aufgerufen. Schon im Vorfeld schlug die Aktion hohe Wellen. Das Camp wurde vorübergehend für vier Tage geräumt. Nach Einschätzungen der Polizei wurden bis zu 40.000 Teilnehmer erwartet, darunter befanden sich angeblich 2.000 gewaltbereite Aktivisten. Zahlreiche Proteste wurden verboten. Lediglich eine Demonstration am Samstag wurde genehmigt. Aus Sorge vor Ausschreitungen wurde die Frankfurter Innenstadt großräumig abgesperrt und es gab so gut wie kein Durchkommen. Taxis fuhren nicht, der öffentliche Nahverkehr war stark eingeschränkt.

Ein ungewöhnliches Bild auch auf der Frankfurter Goethestraße, wo sich die Nobelboutiquen aneinander reihen: Mit Brettern verbarrikadierte Schaufenster und leere Auslagen. Im Rheinland kennt man so was nur von Karneval, wenn auf der Düsseldorfer Königsallee die Jecken ausschwirren. Närrisch mutete das Geschehen in Frankfurt gewiss an. Eine Armada von Polizeieinsatzkräften legte für Tage die Stadt lahm, um vor den angeblich gewaltbereiten Demonstranten zu schützen. Filialen der Finanzinstitute wurden geschlossen. Vielen Bankangestellten wurde nahegelegt ihre Überstunden abzubauen oder sie bekamen frei. Wer es dennoch wagte zur Arbeit zu gehen, dem wurde geraten sich in Freizeitkleidung zu tarnen. Mitarbeiter der EZB wurden zeitweise an geheime Orte ausquartiert. Selbst Hochzeitspaare sollten ihre Pläne ändern und ihre Feierlichkeiten außerhalb der Innenstadt begehen.

Unterm Strich liefen die Proteste weitgehend friedlich ab. Während sich die Stadt zufrieden zeigte und den drastischen Polizeieinsatz gerechtfertigt sah, gab es heftige Kritik seitens Veranstalter, Politik, Organisationen und Presse. Als überzogen bewertete man die Maßnahmen und sprach gar von einer Blamage für die Stadt. In der Tat hatten viele Frankfurter grundsätzlich Verständnis für die Demonstranten, selbst wenn sie sich nicht mit ihrem Anliegen identifizieren konnten. So wurde doch das demokratische Recht auf freie Meinungsäußerung stark eingeschränkt.

Im Laufe der Zeit wurde das Camp zum Zufluchtsort für Sinti, Roma, Drogenabhängige und Obdachlose – soziale Missstände gerieten hier ins Blickfeld. Von schlechten hygienischen Zuständen war die Rede; Ratten und Ungeziefer hatten sich verbreitet. Nach wochenlangen Debatten zwischen den Bewohnern und der Stadt schien das Schicksal des Zeltlagers besiegelt. Markus Frank (CDU), Ordnungsdezernent der Stadt, kündigte an das Camp bis Ende Juli aufzulösen. Kampflos das Feld räumen wollten die Aktivisten nicht und beharrten auf ihr Versammlungsrecht. Am 7. August wurde das Zeltlager schließlich von der Polizei geräumt. Ihren Protest setzen die Occupisten in Form einer Mahnwache vor der EZB fort. Fraglich ist, was aus den Sinti und Roma geworden ist, für die es nirgendwo einen Platz zu geben scheint. Als Begleiterscheinung des Protests betrifft diese Problematik im Grunde ganz Europa.

Welche Bedeutung hatte das Camp wirklich noch für die Occupy-Bewegung? Ist es nicht vielmehr zum bloßen Symbol für den Widerstand geworden? Überwiegend interne Angelegenheiten gerieten unlängst in den Fokus, wie die Müllentsorgung und die Forderungen der Stadt. Gruppen außerhalb des Camps sind entstanden, wie Occupy Money, die ein Programm erarbeiten, das sich für einen Wandel des Geld- und Finanzsystems einsetzt. Sie liefern Ansätze von einem Schuldenschnitt, über Komplementär-Währungen und verändertem Zins-System bis hin zu einem Verbot von Finanzspekulationen. Occupy Public Space macht mit öffentlichen Kunstaktionen als Form des Protests auf sich Aufmerksam. Impulse wie diese lassen die Bewegung auch über das Camp hinaus bestehen. Ohnehin haben sie schon erreicht die Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren.

Foto von ollo – www.istockphoto.de