Schuldenbremse „Made in the EU“ 

Die Schuldenbremse steht zunehmend unter Beschuss, doch ihre Bedeutung für die Stabilität des Euros darf nicht unterschätzt werden, sagt Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.


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Es vergeht kaum eine Woche, in der die Schuldenbremse nicht von einem der rot-grünen Berliner Regierungskoalitionäre in Frage gestellt wird. In der Forderung nach ihrer Abschaffung schwingt oft die Unterstellung mit, dass die gesetzliche Vorgabe eines unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen ausgeglichenen Haushalts eine unsinnige deutsche Besonderheit sei. Doch dem ist nicht so. Im sogenannten Fiskalpakt aus dem Jahr 2012 haben sich die meisten EU-Länder dazu verpflichtet. Die Bremse musste in der nationalen Verfassung oder auf gleichwertig verbindlichem Niveau verankert werden und einen Korrekturmechanismus beinhalten, der im Falle einer Abweichung automatisch wirksam wird – und das aus guten Gründen. 

Schuldenbremse spielte keine Rolle

Der europäische Fiskalpakt war von der Eurokrise in den Jahren 2010 bis 2012 inspiriert worden. In dieser Zeit erreichten die Abstände („Spreads“) der Renditen italienischer und französischer Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit zu entsprechenden deutschen Anleihen bis zu 5,8 beziehungsweise 1,9 Prozentpunkte. Dank des am 28. Juli 2012 gegebenen Versprechens von EZB-Präsident Mario Draghi, zu tun „whatever it takes“, um den Euro zusammenzuhalten, und der massiven Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank, sanken die „Spreads“ in den Folgejahren wieder auf komfortable Niveaus. Ob die Schuldenbremse eingehalten wurde oder nicht, spielte für die Märkte wegen der EZB-Unterstützung keine Rolle mehr. 

Inzwischen bröckelt diese Unterstützung weg. Zwar hat sich die EZB ein Instrument geschaffen, mit gezielten Käufen dem Renditeanstieg von Anleihen hoch verschuldeter Staaten zu begegnen, doch würde eine solche Aktion nicht zu einer Geldpolitik passen, die zur Bekämpfung der hartnäckigen Inflation die gekauften Anleihebestände abbauen will. Dennoch blieben die Märkte für geraume Zeit ruhig – bis ihnen die Ankündigung des französischen Präsidenten, nach dem für ihn desaströsen Ergebnis der Europawahl das nationale Parlament vorzeitig zur Neuwahl zu stellen, einen Schreck einjagte. In den folgenden Tagen stiegen die „Spreads“ zu Frankreich und Italien stark an. Sollte es einmal zu größeren Verkäufen französischer oder italienischer Staatsanleihen über längere Zeit kommen, müsste die EZB den Markt stützen und die Inflationsbekämpfung aussetzen.  

Deutschland im EU-Vergleich

Denn außer Deutschland hat sich kein anderes großes Euroland an die Vorgabe des Fiskalpakts gehalten. Während seit 2012 das durchschnittliche Haushaltsdefizit des Staates in Deutschland 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betrug, kamen Frankreich und Italien auf 4,7 beziehungsweise 4,5 Prozent. In Deutschland sank die Staatsschuldenquote von 80,7 Prozent des BIP Ende 2012 auf 63,6 Prozent Ende 2023. In Frankreich stieg die Quote von 91,7 auf 110,6 Prozent, in Italien von 126,5 auf 137,3 Prozent. Diese Länder können sich höhere Zinsen über längere Zeit kaum mehr leisten. Würde in diesem fragilen Umfeld Deutschland die Schuldenbremse aufgeben, ginge der letzte Stabilitätsanker für den Euro verloren. 

Aus ökonomischer Sicht mag die Schuldenbremse kein besonders intelligentes Instrument sein, um die Politik dazu zu bringen, den Staat nicht finanziell zu ruinieren. Der Königsweg wäre die Aufstellung einer Bilanz für den Staat nach den Regeln der doppelten statt der veralteten „kameralistischen“ Buchführung. Solange die staatlichen Aktiva die Schulden übersteigen – und der Staat ein angemessenes Nettovermögen aufweist – könnten Investitionen auch durch Neuverschuldung finanziert werden.  

Doch die Bundesregierung verschleppt die Einführung einer ordentlichen Bilanzierung seit Jahren. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie das Ergebnis fürchtet. In ersten Versuchen wurden für ein paar Bundesländer negative Nettovermögen ermittelt. Solange die Überschuldung des Staates andauert, gibt es daher keinen guten Grund, die Schuldenbremse abzuschaffen. Ökonomisch mag sie fragwürdig sein, politökonomisch ist sie jedoch unverzichtbar. Denn sie zwingt die Politiker, ihre Ausgabenwünsche an die wirtschaftliche Realität anzupassen. 

Thomas Mayer

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