Die Architektur des Euro ist seit seiner Einführung mehrfach überarbeitet worden. Dabei waren finanzielle Krisen und wirtschaftliche Verwerfungen innerhalb der Eurozone maßgebliche Treiber dieser Veränderungen. Im Rückblick war der Dissens oft größer als die heutige Erinnerung daran. Einzelentscheidungen wie die Einführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stellten nicht nur die Konsensfähigkeit der Europäischen Union (EU) auf die Probe, sondern erhöhten dauerhaft die wechselseitigen Verpflichtungen und damit die kollektiven Risiken. Der Volkswirt Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg setzt mit dem Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ genau hier an.
Sein Werk, das er als eine „Art Kompendium zur Europäischen Währungsunion“ bezeichnet, umfasst zwei Bände. Die Einteilung ist jedoch nicht nur chronologisch zu verstehen. Beide Bücher beschäftigen sich mit einer separaten Fragestellung und entwickeln eine dezidierte Perspektive auf die Entwicklung des Euro. Während der Autor im ersten Band die bisherigen Richtungsentscheidungen samt Folgewirkungen zusammenfasst, widmet er sich im zweiten Band der Erarbeitung von Reformkonzepten. Hierzu erörtert Dirk Meyer Szenarien wie den möglichen Austritt eines Mitgliedsstaats aus dem Währungsraum oder die Einführung von Parallelwährungen.
Meyers Vorgehen ist sehr strukturiert und bietet dem Leser ein Höchstmaß an Orientierung. Die beiden Bücher enthalten sieben Kapitel, die ihrerseits in dreißig Unterkapitel gegliedert sind. Jedes Unterkapitel verfügt über eine Zusammenfassung, Fußnoten und eine Sammlung an Literaturempfehlungen. Das ist auch bitter nötig, denn der Euro ist im Wortsinn ein Themenkomplex. Insbesondere Leser, die mit begrenzten Vorkenntnissen ausgestattet sind, können sich schnell im Dickicht der Brüsseler, Straßburger und Frankfurter Entscheidungen verlieren. In Ergänzung zur hervorragenden Gliederung hilft hier auch die Stichwortliste. Mit ihrer Unterstützung kann gezielt nach Informationen gesucht, das Wissen aufgefrischt und vergessene Details zurück ins Bewusstsein geholt werden.
Gleichwohl muss man sich darauf einstellen, dass die zwei Bände aller Wahrscheinlichkeit nach nicht den Platz einer lockeren Feierabendlektüre einnehmen werden. Selbst eine starke inhaltliche Affinität wird vermutlich nicht dazu ausreichen, dieses Gesamtwerk am Stück durchzuarbeiten. Denn beide Bände sind von wissenschaftlicher Nüchternheit geprägt, die sich sprachlich und gestalterisch bemerkbar macht. Um den Zugang zu erleichtern, verzichtet der Autor auf jegliches Zierwerk und setzt äußerst selten auf grafische Darstellung oder Modelle. Stattdessen erhält der Leser Zugang zu umfangreichem volkswirtschaftlichem Hintergrundwissen hinsichtlich der Entwicklung des Euro beziehungsweise seinen Reformmöglichkeiten. Dieses Wissen ist auf insgesamt 752 Seiten (inklusive Literaturangaben) komprimiert, was für sich genommen eine bemerkenswerte Leistung ist.
Insgesamt sind die zwei Bände „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ eine absolute Leseempfehlung für jeden, der ein vertieftes Interesse am Grundgerüst der europäischen Finanzarchitektur besitzt. Meyers Entscheidung, sein Werk 2020 aufgrund der monetären Verwerfungen der Corona-Pandemie einer Revision zu unterziehen, macht sich infolge des Kriegs in der Ukraine gleich doppelt bezahlt. Alle bestehenden Probleme, von Liquiditätsengpässen bis zur Vergemeinschaftung von Schulden, erleben im Kontext der Energiekrise eine weitere Verschärfung.
Es ist anzunehmen, dass speziell die grundlegenden Konzepte und Lösungsansätze des zweiten Bands in der kommenden Phase der Europäischen Finanzpolitik an Bedeutung gewinnen werden. Die Kombination aus angebotsgetriebener Inflation, konjunktureller Rezession und steigenden Staatsschulden stellt Verantwortliche auf allen Ebenen vor schwierige Entscheidungen. Wer sich auf dieses intellektuelle Workout einlässt, der wird sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip, also den „Dreiklang geeignet – erforderlich – verhältnismäßig“, auf fiskalischer Ebene auch künftig nicht verheben.
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