Cooling-Off-Phase für Restschuldversicherungen: Ein eklatanter Verstoß gegen Europarecht

Ab 2025 dürfen Verbraucher in Deutschland sich frühestens eine Woche nach Abschluss eines Kreditvertrages gegen Zahlungsausfälle absichern. Diese Neuregelung steht im eklatanten Widerspruch zur jüngst verabschiedeten Verbraucherkreditrichtlinie und ist – wie neue Untersuchungsergebnisse der BaFin bestätigen – überdies verfehlt.


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Die EU-Verbraucherkreditrichtlinie (Consumer Credit Directive, CCD) ist nach einem über zweijährigen Gesetzgebungsprozess am 30. Oktober 2023 verkündet worden und am 19. November 2023 in Kraft getreten. Die novellierte CCD regelt, dass die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine Bestimmungen aufrechterhalten oder einführen dürfen, die von den Bestimmungen der Richtlinie abweichen. Die CCD erlaubt dabei explizit Produktbündelungen, also den Vertrieb von Krediten und optionalen Zusatzprodukten, wie etwa einer Restschuldversicherung, und dies ohne zeitliche Einschränkungen. Hiervon abweichend hat der Bundestag am 17. November 2023, zwei Tage vor Inkrafttreten der CCD, mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz eine einwöchige Cooling-Off-Phase im RSV-Bereich beschlossen. Danach darf ein Versicherer eine Restschuldversicherung, die sich auf einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag bezieht, nur dann abschließen, wenn der Versicherungsnehmer die Vertragserklärung frühestens eine Woche nach Abschluss des Darlehensvertrags abgegeben hat. Diese Wartefrist gilt ab dem 1. Januar 2025 in Deutschland – im Gegensatz zu den anderen EU-Staaten.

Europarechtswidriger und unnötiger Markteingriff

Mit der in Rede stehenden Cooling-Off-Regelung wird ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition umgesetzt. Die Regelung stellt einen erheblichen Eingriff in den Markt und in die verfassungsrechtlich geschützte Vertrags- und Gewerbefreiheit dar. Ungeachtet dessen verstößt sie in eklatanter Weise gegen Europarecht. Spätestens im Zuge einer richtlinienkonformen Umsetzung der CCD in nationales Recht, die bis spätestens bis zum 20. November 2025 zu erfolgen hat, muss der deutsche Gesetzgeber die europarechtswidrige Regelung daher wieder zurücknehmen. Leider wurde die Neuregelung auch weder im Koalitionsvertrag noch im Gesetzgebungsverfahren inhaltlich fundiert begründet. Dass in der Praxis kein Handlungsbedarf für einen derart weitgehenden Markteingriff besteht, zeigen allerdings die jüngsten Untersuchungsergebnisse der BaFin, die Ende vergangenen Jahres bekannt gemacht wurden.

Untersuchungsergebnisse der BaFin

Am 29. Dezember 2023 hat die BaFin die lang erwarteten Ergebnisse ihrer Marktuntersuchung zur Restschuldversicherung und ihres „Mystery Shoppings“ bei Kreditinstituten veröffentlicht. Ziel der Untersuchungen war es unter anderem die Auswirkungen des Mitte 2022 für die RSV eingeführten Provisionsdeckels in der Praxis zu untersuchen. Im Ergebnis kommt die Aufsicht zu dem Schluss, dass die Provisionsdeckelung ihre gesetzgeberisch intendierte Wirkung erfüllt haben dürfte.

Die Höhe der von Verbrauchern für eine RSV gezahlten Prämie ist demnach signifikant gesunken. Zudem ist der prozentuale Anteil der Provision an der Prämie bei den Kreditinstituten stark zurückgegangen. Die BaFin kommt ferner zu dem Schluss, dass die Freiwilligkeit der Restschuldversicherung sich grundsätzlich aus den Vertragsunterlagen ergab. Bei drei Vierteln ihrer Testkäufe erfolgte ein mündlicher Hinweis auf die Freiwilligkeit. Sechs von hundert Testkäuferinnen und Testkäufern hatten den Eindruck, sie müssten die Versicherung abschließen. Es darf davon ausgegangen werden, dass die BaFin diesen Einzelfällen im Rahmen ihres aufsichtlichen Mandats nachgehen wird.

„Bärendienst“ für Verbraucher

Insgesamt lässt sich Folgendes festhalten: Die Bundesregierung war in das Richtliniensetzungsverfahren auf europäischer Ebene eng eingebunden und hat die verabschiedete CCD mitgetragen. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz wurde zwei Tage vor Inkrafttreten der CCD durch den Bundestag verabschiedet. Die jüngste Marktuntersuchung der BaFin ergab keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Praxis des RSV-Vertriebs. Indem in eklatanter Weise gegen den Willen des europäischen Gesetzgebers verstoßen wurde, drängt sich stark der Eindruck auf, dass dem im Koalitionsvertrag kodifizierten politischen Willen ein höheres Gewicht beigemessen wurde als einem europarechtskonformen Agieren. Aufgrund der Europarechtswidrigkeit der eingeführten Cooling-Off-Regelung wird die Bundesregierung diese im Zuge einer richtlinienkonformen Umsetzung der CCD binnen eines Jahres nach deren Inkrafttreten wieder zurücknehmen müssen. Mit der Einführung des faktischen Verkaufsverbotes für Restschuldversicherungen hat der Gesetzgeber in der Zwischenzeit vielen Verbrauchern, die ein Absicherungsbedürfnis haben, einen „Bärendienst“ erwiesen.

Jens Loa

Bild: Die Hoffotografen

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