, ,

Detlef Zell und Michel Billon – der Weg zur agilen Bank

Detlef Zell und Michel Billon – Geschäftsführer der Hanseatic Bank | Agiles Arbeiten steht bei vielen Unternehmen hoch im Kurs. Die Hanseatic Bank hat die Transformation ihrer Organisation und Arbeitsweisen vor zwei Jahren eingeläutet. Detlef Zell und Michel Billon beschreiben im Interview, wie sie ihre Mitarbeiter von den Veränderungen überzeugen möchten und welche Rolle dabei…


Detlef Zell und Michel Billon: Geschäftsführer der Hanseatic Bank.

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

BANKINGNEWS: Herr Billon, Sie waren in drei verschiedenen Ländern bei Banken beschäftigt. Was sind die größten Unterschiede zwischen Frankreich, Italien und Deutschland?

Michel Billon (MB): Die Unternehmenskultur einer Bank wird einerseits von der Mentalität des Landes und andererseits von ihrer eigenen Geschichte und der ihres Gesellschafters geprägt. Die BNP Paribas lebt als Marktführer in Frankreich eine Entrepreneur-Kultur und vereint viele stark spezialisierte Gesellschaften. Die Fiditalia, eine Tochtergesellschaft der Société Générale, war stark von der italienischen Kultur und der Positionierung der französischen Muttergesellschaft am italienischen Markt geprägt. Bei der Hanseatic Bank ist der Einfluss der Société Générale auf die Unternehmenskultur zwar gestiegen, nichtsdestotrotz hat sie ihre ganz eigene Geschichte und ihre eigenen Werte.

„Deutsche Direktbanken sind Vorreiter“

Unterscheiden sich die Ansprüche der Menschen an ihre Bank?

MB: Die Ansprüche der Kunden sind relativ ähnlich. Im Kern legen sie alle Wert auf Sicherheit, Transparenz, günstige Konditionen und gute Beratung. Die Gewichtung kann jedoch variieren: Einem französischen Kunden ist in der Regel ein gutes Online-Banking-Angebot wichtiger als der persönliche Kontakt zum Bankmitarbeiter, während der italienische Kunde hingegen Wartezeiten am Schalter akzeptiert. Deutschland wird nachgesagt, dass es beim Online- und Mobile-Banking hinterherhinkt. Das glaube ich nicht. Mit dem großen Angebot an Direktbanken ist Deutschland in diesem Bereich ein Vorreiter. ING, comdirect und DKB haben deutlich mehr Kunden als die französischen Direktbanken.

Sie, Herr Zell, sind seit 1993 bei der Hanseatic Bank. Wie hat sich der strategische Kurs in diesen Jahren entwickelt?

Detlef Zell (DZ): In unserer 50-jährigen Geschichte ist die strategische Ausrichtung der Bank sehr stabil geblieben. Ein Grund dafür ist, dass diese Strategie immer recht erfolgreich war. Wir wurden 1969 gegründet, um den Otto-Kunden die Ratenfinanzierung ihrer Bestellungen zu ermöglichen. Das machen wir heute immer noch – zumindest indirekt durch das Factoring-Geschäft. Anschließend haben wir ab 1976 das Kredit- und Einlagengeschäft für Privatkunden aufgenommen. Dieser strategischen Grundausrichtung sind wir treu geblieben.

War die Übernahme von 75 Prozent der Anteile durch die Société Générale im Jahr 2005 ein Wendepunkt?

DZ: Bereits in den 1990er Jahren haben wir einige Nischen gefunden, auf die wir uns konzentriert haben. Mit dem Einstieg der Société Générale gewann das Konsumentenkreditgeschäft an Bedeutung. Wir haben die Absatzfinanzierung stärker forciert und die Vertriebskanäle gestärkt. Außerdem haben wir Kreditkarten angeboten – zunächst nur den Otto-Kunden, dann auch darüber hinaus. Die Folgen der Finanzkrise waren für unser Geschäft nicht direkt spürbar. Über unsere Mutter hat uns aber das sogenannte Deleveraging zur Verbesserung der Eigenkapitalquote betroffen. Dadurch haben wir uns auf wenige Produkte fokussiert, was uns damals etwas leidtat. Aus heutiger Sicht sind wir durch diese Entscheidung gestärkt aus der Finanzkrise herausgegangen. Wir setzen heute auf unsere Kreditkartenlösungen und sind parallel zum Immobilienmarkt in den letzten Jahren sehr stark bei den Eigentümerdarlehen gewachsen. Durch den neuen Gesellschafter hat sich in der Strategie also einiges verändert.

„Die Deutschen werden sich vom Bargeld verabschieden“

In welchen ihrer Geschäftsfelder – Konsumentenkredite, Einlagen, Versicherungen und Factoring – besteht das größte Wachstumspotenzial?

MB: Zunächst ist festzuhalten, dass wir diese Felder nicht erweitern werden. Wir sind erfolgreich, weil wir fokussiert sind und uns zu Spezialisten in unseren Kernthemen entwickelt haben. Weitere Potenziale schlummern überall. Einen stärkeren Schwerpunkt als in der Vergangenheit sehen wir beim Kreditkonto. Die Plastikkarte wird nicht zuletzt durch Apple Pay an Bedeutung verlieren. In Deutschland steht sie zudem in Konkurrenz zur girocard. Walletlösungen bieten ganz neue tolle Kundenerfahrungen. Die Karte wird erhalten bleiben, aber zunehmend digital auf dem Smartphone liegen. Bei der Kreditkarte gibt es Wachstumschancen für uns, da der Markt noch nicht gesättigt ist – anders als bei der girocard. Über das Kreditkonto können wir ein starkes Kundenverhältnis aufbauen. Wir stehen über unsere App mit dem Kunden in Kontakt und können weitere Produkte, wie etwa eine Versicherung, anbieten.

Sind Mobile-Payment-Lösungen nicht zum Scheitern verurteilt, solange sie für den Kunden keinen erkenntlichen Mehrwert zum Bargeld liefern?

MB: Natürlich helfen Rabatte, Zusatzvorteile und Loyaltyprogramme bei der Akzeptanz. Aber der Mehrwert zum Bargeld besteht bereits darin, dass es bequemer ist. Sie haben keine Cent-Stücke und kein Portemonnaie mehr, sondern nur noch ein Smartphone.

Aber nur wenn der Handel mitspielt und auch die Bäckerei um die Ecke es akzeptiert.

DZ: Das wird sich immer mehr einstellen. Bargeld ist teuer. Und der Handel merkt langsam, dass es sich lohnt, auf bargeldlose Zahlungen zu setzen – die Transaction Fees sind ja deutlich gesunken. Mit dem Start von Apple Pay in Deutschland ist jetzt der nächste Schritt erfolgt. Solch ein Wandel braucht Zeit. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich die Deutschen in den nächsten Jahren immer mehr vom Bargeld verabschieden werden.

Die Société Générale baut in Hamburg einen neuen Bürokomplex, in den die Hanseatic Bank einziehen wird. Ist dies mehr als ein räumlicher Schritt weg von der Otto Group hin zum französischen Gesellschafter?

DZ: Wir entfernen uns nicht bewusst von Otto. Die Verbindung wird geschäftlich und persönlich immer bestehen bleiben. Es hat eine große strategische Bedeutung für uns, mit mehreren Töchtern der Société Générale zusammenzuziehen. Wir können gemeinsame Einrichtungen aufbauen und alle Mitarbeiter unter einem Dach zusammenführen. Aktuell sitzen wir an zwei Standorten: In der Bramfelder Chaussee haben wir mittlerweile rund 170 und vier Kilometer entfernt weitere 250 Mitarbeiter. Dadurch geht mehr verloren als nur die Zeit, die es braucht, um hin- und herzufahren.

Steht der Neubau auch im Zeichen neuer Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen?

DZ: Auf jeden Fall. Wir können das Gebäude dort auf der grünen Wiese so bauen, wie wir es in Zukunft brauchen – von großen Gemeinschaftsflächen bis hin zu kleinen Einheiten und Rückzugsmöglichkeiten für die Mitarbeiter. Der offene Campus soll das Gefühl von Arbeit verändern. Man soll viel freier und ohne Schranken durch alle Ebenen und Gesellschaften gehen können. Auch hinsichtlich des Employer Brandings ist dies nicht zu unterschätzen. Das neue Gebäude wird schon optisch einen ganz anderen Eindruck erwecken als unser aktuelles. Wir bauen kein pompöses und luxuriöses, sondern ein modernes Gebäude mit Einflüssen eines klassischen Hamburger Klinkerbaus. Die Arbeitsweisen, die wir heute schon angestoßen haben, sollen durch die Architektur unterstützt werden.

„Das Ziel ist nicht, mit aller Macht agil zu werden“

Hinsichtlich Arbeitsweisen lautet das Stichwort der Stunde „Agilität“. Wie kann das gelingen?

DZ: Um als Bank agil zu werden, muss ich die Mitarbeiter agil machen. Sie sind der Schlüssel zum Erfolg. Nur wenn es mir gelingt, dass sich die Denkweise der Mitarbeiter verändert, kann ich das Unternehmen verändern. Dazu muss ich ihnen die theoretischen Grundlagen agilen Arbeitens vermitteln und sie trainieren. Sie brauchen eine Spielwiese, auf der ihnen viele verschiedene Möglichkeiten geboten werden, neue Dinge auszuprobieren. Crossfunktionale Teams, Labs und Infopoints für den Austausch untereinander sind Teilaspekte. Die Mitarbeiter müssen merken, dass sie Fragen stellen und Fehler machen dürfen. Gerade bei der Fehlerkultur spielen die Führungskräfte eine ganz entscheidende Rolle. Auch sie müssen ihr Verhalten ändern und den Mitarbeiter einfach mal machen lassen.

Und das fängt bei Ihnen beiden an.

DZ: Absolut. In einigen Gremien sind wir nur zwei von vielen und können überstimmt werden. Es muss in der Geschäftsführung anfangen und ins mittlere Management weitergetragen werden. Dort bestehen die größten Befürchtungen, etwas zu verlieren. Die Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter ermutigen, fördern und begleiten. Wir haben zwei agile Coaches eingestellt und bilden eigene aus. Wenn die Mitarbeiter dadurch lernen, anders zu denken, können die Arbeitsweisen auf das gesamte Unternehmen übertragen werden.MB: Das Ziel ist nicht, mit aller Macht agil zu werden oder die Organisation unbedingt ändern zu wollen. Das Ziel ist, noch viel kundenorientierter zu arbeiten. Wir müssen den Kunden in den Fokus stellen und für ihn arbeiten – und nicht das tun, was nach unserer Vorstellung das Beste für den Kunden sein könnte. Viele Fintechs können das besser als die Banken. Sie lösen ein Problem aus Sicht der Kunden und nicht aus Sicht des Produktes oder der Abwicklung.

Sind vor allem die Führungskräfte auf den unteren Ebenen, z.B. Teamleiter, gefordert, da dort die größten Berührungspunkte zu den ausführenden Mitarbeitern bestehen?

DZ: Bei einem Kulturwandel sind alle Führungsebenen gefordert. Ich glaube aber, dass vor allem das mittlere und das Top-Management seine Vorbildfunktion wahrnehmen muss. Wie geht die Geschäftsführung mit den Mitarbeitern um? Da ist zu recht viel im Umbruch. Man muss den Mitarbeiter, egal wo er steht, viel respektvoller behandeln, seinen Beitrag wertschätzen und ihm das auch vermitteln. Offene Gebäude und Co-Working-Spaces tragen dazu bei. Es fängt schon bei so banalen Dingen wie der Kleidung an: Wir sind zwanzig Jahre lang immer in Anzug und Krawatte herumgelaufen, dann kam der Casual Friday und heute kann man im Grunde so kommen, wie man will. Dieser Kulturwandel ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen ist. Wir haben uns entschieden, den Mitarbeitern das „Du“ erst an einem Punkt anzubieten, an dem wir davon überzeugt waren, dass es passt und sich richtig anfühlt.

„Es reicht nicht, zu sagen: ,Ab morgen dürfen Sie mich duzen‘“

Wie nimmt man die Mitarbeiter bei diesem Kulturwandel mit?

DZ: Man muss miteinander reden. Wir sind ein erfolgreiches Unternehmen, das nie Verluste geschrieben hat. Da fragen sich natürlich einige, warum sich überhaupt etwas ändern muss. Das müssen wir den Mitarbeitern erklären: Der Markt ändert sich, die Technologien, die Medien und die Erwartungen der Kunden. Außerdem erhöht sich die Frequenz der Veränderungen. Die Vorhersehbarkeit ist nicht mehr so stark gegeben. Auf diese Dinge müssen wir Antworten finden. Wie wir das schaffen, ist zunächst völlig offen. Wir können als Leitbild vorgeben, dass wir unsere Kunden begeistern wollen. Wir haben aber keine Musterlösung, wie wir das schaffen können. Das müssen wir mit unseren Mitarbeitern gemeinsam erarbeiten und auch diejenigen mitnehmen, die anfangs zögerlich sind. Das ist ein langer Prozess. Es reicht nicht, zu sagen: „Ab morgen dürfen Sie mich duzen.“

Besteht die Gefahr, dass niemand mehr Verantwortung übernimmt, wenn es den klassischen Abteilungsleiter als Kontrollinstanz nicht mehr gibt?

DZ: Das glaube ich nicht. Die Veränderung beginnt im Kopf. Wenn sich alle Mitarbeiter bewusst machen, dass sie immer an ihren Kunden denken müssen, werden sie Verantwortung übernehmen, um den besten Weg zu finden. Dazu bedarf es einer Fehlerkultur. Wenn man sich auf neues Terrain begibt, macht man automatisch Fehler. Wenn wir jeden Fehler bestrafen, ziehen sich die Mitarbeiter zurück.

MB: Verantwortung zu übergeben ist ebenso wichtig, wie Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig muss ich einen klaren Rahmen definieren. Wir helfen unseren Mitarbeitern und Führungskräften nicht, wenn wir ihnen nicht mitteilen, auf welches Ziel sie hinarbeiten. Man kann es auch übertreiben. Das Motto „Ihr seid vollkommen frei, überlegt euch, was ihr macht“ funktioniert nicht.

Immer mehr Banken setzen auf eigene Labs – Sie auch?

MB: Wir haben unsere Transformation vor zwei Jahren begonnen. Und zwar in einem Workshop mit Führungskräften und Mitarbeitern namens „Disrupt us“. Daraus entstand unser Solution Lab. Das erste vierwöchige Projekt war die Entwicklung eines Prototyps, anhand dessen für die Mitarbeiter visuell aufbereitet werden sollte, was gerade in der Bank geschieht: Kennzahlen, KPIs etc. Das Ergebnis, ein Informationsservice für die Mitarbeiter, sehen Sie heute überall hier im Haus auf Bildschirmen. Weitere Projekte sind inhaltlich offen. Die Mitarbeiter können Ideen einreichen und an einem „Pitch Day“ präsentieren. Die crossfunktionalen Teams setzen sich eigenständig zusammen und werden für vier Wochen in Vollzeit von ihren eigentlichen Aufgaben für das Projekt freigestellt. Wir stellen ihnen agile Coaches zur Seite. Seit April 2017 gab es sieben Iterationen und sieben Prototypen. Einige davon sind schon in die Produktion gegangen. Die Mitarbeiter, die daran teilgenommen haben, kehren wie mit einem Virus infiziert zurück ins Unternehmen – im positiven Sinne. Sie schlagen ihren Kollegen und Führungskräften vor, bestimmte Methoden in die alltägliche Arbeit zu übernehmen. Dieses Virus verbreitet sich immer weiter im Unternehmen. Das ist eine starke Folgewirkung des Solution Labs. Zusätzlich zum Lab haben wir uns überlegt, wie wir das „Ping-Pong-Spiel“ zwischen zwei Fachabteilungen vermeiden können. Daraus entstand der sogenannte Acceleration Hub. Für diese neue Einheit können sich Mitarbeiter intern bewerben, qualifizieren und Teil von mittlerweile vier festen crossfunktionalen Teams werden. Die Mitarbeiter sind in sogenannten Solution Lines organisiert, es gibt Product Owner, aber keine klassischen Führungskräfte.

Gibt es Fachabteilungen, die sich besser auf agile Methoden einstellen können als andere?

DZ: Wir haben die ersten Schritte im Marketing und der IT gemacht. Dort sind agile Methoden mitunter schon bekannt. Risikocontrolling und Buchhaltung können mit Design Thinking und Scrum im ersten Moment vielleicht weniger anfangen. Dort müssen nicht zwingend agile Methoden zum Einsatz kommen. Aber es gibt Verbesserungspotenzial. Und man muss sich fragen: „Wer sind meine Kunden? Und was muss ich ihnen bieten, um sie zu begeistern?“ Dann suche ich mir mutige und kreative Menschen in diesen Abteilungen, die etwas bewegen wollen. Ich kann nicht eine Abteilung verändern und eine andere weitermachen lassen wie bisher. Am Ende muss alles zusammenpassen.

Infos zur Hanseatic Bank

Sitz: Hamburg
Rechtsform: GmbH
Gründung: 1969
Bilanzsumme (2017): 2,86 Mrd.
Cost-Income-Ratio (2017): 36,1%
Mitarbeiter (31.12.2018): 494
Kunden: 428.000
Geschäftsführung: Michel Billon, Detlef Zell

Die Hanseatic Bank wurde 1969 als Teilzahlungsbank des Otto Versandhandels gegründet, um dessen Kunden die Finanzierung der bestellten Waren zu ermöglichen. Seit 1976 verfügt sie über eine Vollbanklizenz. Im Jahr 2005 erwarb die französische Großbank Société Générale 75 Prozent der Unternehmensanteile. Die Otto Group hält weiterhin die übrigen 25 Prozent. Die Hanseatic Bank hat sich auf die Geschäftsbereiche Konsumentenkredite (Kreditkarten und Privatkredite), Einlagen, Versicherungen und Factoring spezialisiert. Sie ist bundesweit tätig und verfügt über zehn Geschäftsstellen in Hamburg, Berlin, Erfurt, Köln, Leipzig, Nürnberg, Rostock, Stuttgart, Schwerin und Würzburg. Als eine der ersten deutschen Banken bietet das Hamburger Institut seit Dezember 2018 den Zahlungsdienst Apple Pay an.

Lesen Sie auch

Fachbeiräte