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„Die Revolution ist ausgeblieben”

Dr. Sven Deglow, Co-CEO der Consorsbank, blickt auf ein sehr erfolgreiches Jahr 2020 seiner Bank zurück. BANKINGNEWS wollte von ihm wissen, warum die Direktbanken die Neobanken nicht verhindern konnten und was sie heute von ihnen lernen.


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BANKINGNEWS: Direktbanken sollten von der Corona-Krise profitieren können – so die gängige Meinung. Fangen wir bei den Mitarbeitern an: Ohne Filialnetz ist die Einführung von Homeoffice kein Problem. Oder?
Dr. Sven Deglow: Die gesamte Bank hat eine Glanzleistung hingelegt. Wir haben an einem Freitagvormittag zusammengesessen und beschlossen: Wir schicken jetzt alle nach Hause. Natürlich waren wir vorbereitet, denn es gab schon vor dem März 2020 bei uns eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten. Die Mitarbeitenden waren technisch entsprechend gut ausgestattet. Aber es ist natürlich noch einmal etwas ganz anderes, wenn man von heute auf morgen eine ganze Bank nach Hause schickt.

Viele Themen und Fragen, die wir ansonsten sehr ausführlich diskutiert hätten – wie zum Beispiel, ob man ein Kundencenter von zu Hause aus betreiben kann – stellten sich in der Situation nicht. Vielmehr mussten konkrete rechtliche Fragen gelöst werden. So sind wir zum Beispiel verpflichtet, gewisse Gespräche aufzuzeichnen. Dafür brauchen wir entsprechende Software. Binnen weniger Tage waren wir komplett remote – und es funktionierte ausgesprochen gut.

Gleichzeitig explodierte das Börsengeschäft. Wir haben an manchen Tagen das fünffache Tradingvolumen des bisherigen Durchschnitts abgewickelt. Und wir haben zeitweise auch das Fünffache an Neukunden an Bord genommen. Unsere Mitarbeitenden haben da einen fantastischen Job gemacht! Die Stimmung war: Wir bekommen das hin, wir halten zusammen und schaffen das! Dieser Spirit war ganz klar ein Erfolgsfaktor, warum wir die Situation so gut gemeistert haben.

Wie sieht es jetzt aus? Wollen alle zurück in die Bank oder zu Hause bleiben?
Zuletzt waren zwischen 15 und 20 Prozent der Mitarbeitenden im Büro. Eine Mitarbeiterbefragung hat gezeigt, dass die meisten in Zukunft zwei bis drei Tage von zu Hause aus arbeiten möchten. Wir diskutieren das natürlich im Moment und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir langfristig mit einer Quote zwischen 50 und 70 Prozent der Mitarbeitenden im Büro operieren. Ich möchte das aber nicht von oben vorgeben, sondern in die Hände der Teams geben, die sich selbst nach ihren Bedürfnissen organisieren sollen.

2020 war eines der besten Jahre, was das Neukundengeschäft betrifft.

Wie sind die Führungskräfte klargekommen?
Relativ gut. Wir haben recht schnell Trainings angeboten, wie man Dinge ausgleichen kann, die durch Remote-Arbeit verloren gehen, etwa das klassische Kaffeetrinken im Pausenraum, aber auch, wie man auf Distanz ein Team führt. Natürlich gibt es da immer Kolleginnen und Kollegen, die am liebsten alle um sich herum haben. Aber auch die haben jetzt gemerkt, dass es auch mit einem Mix aus Präsenz- und Remote-Arbeit sehr gut funktioniert.

Sie sagten vorhin, dass Ihr Neukunden- und Börsengeschäft explodierte. Woran lag das genau?
Auf der einen Seite war da der Börsenboom, auf der anderen Seite die Corona-Situation. Man sitzt zu Hause und hat plötzlich viel Zeit. Der eine räumt den Keller auf und der andere entdeckt die Börse für sich. Viele Kunden haben sich dabei eine Bank gesucht, die im Online-Geschäft erfahren ist und daher haben wir sehr, sehr gut profitiert. 2020 war eines unserer besten Jahre, was das Neukundengeschäft betrifft.

Was sind die großen Themen?
Der absolute Renner waren und sind immer noch Sparpläne. Da können Kunden auch mit kleinen Beträgen investieren, ab 25 Euro im Monat. Wir bieten hier die ganze Bandbreite: Aktien, ETF, Fonds und Zertifikate. Über das Jahr 2020 ist der Bestand an Sparplänen um mehr als 40 Prozent gewachsen.

Das zweite große Thema war natürlich Trading. 2020 war das intensivste Jahr der letzten zwei Dekaden. Und der Boom hält quasi bis heute an. Die Treiber sind vielfältig: Zum einen die Niedrigzinsen, die Wertpapiere attraktiv machen. Dann haben die Menschen zur Zeit weniger Möglichkeiten, Geld auszugeben, das sie dann lieber investieren.
Und auch das mobile Trading auf dem Smartphone hat stark zugenommen. 2020 kletterte bei der Consorsbank der Anteil der Nutzer, die überwiegend oder ausschließlich zur App griffen für Wertpapierkäufe und -verkäufe, im Vorjahresvergleich um mehr als 50 Prozent

Ein weiteres großes Thema sind schließlich nachhaltige Anlagen. Das wird ja auch breit in den Medien diskutiert. Wir sehen hier – wenn auch ausgehend von einem niedrigen Niveau – eine deutlich steigende Nachfrage.

Bleiben wir zunächst beim Thema digitale Anwendungen: Sie haben eine Customer-Affinity-Matrix entwickelt, die Affinitätsmodele aus 1.500 Merkmalen erzeugt und daraus Produkt- und Serviceempfehlungen generiert. Können Sie uns darüber mehr berichten? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Daten sind für uns ein ganz großes Thema. Es geht darum, die Customer Experience insgesamt deutlich zu verbessern und die Customer Journey besser zu gestalten. Da lernen wir viel von Verhaltensdaten. Wir nutzen diese zum Beispiel für Produktempfehlungen im Gespräch mit unseren Kunden am Telefon. Künftig wollen wir Daten auch verstärkt dazu nutzen, um unsere Wissens- und Informationsangebote rund ums Thema Geldanlage stärker zu individualisieren und mit relevanten Produktangeboten zu verbinden. Das läuft bei uns unter dem Begriff „smart guidance“.

Welchen Stellenwert wird Künstliche Intelligenz (KI) im Finanzwesen in fünf Jahren haben?
KI ist ein Thema, das aus meiner Sicht nicht mehr so heiß gehandelt wird wie noch vor drei oder vier Jahren. Am Ende braucht man Anwendungsfälle. Mit Hilfe von KI kann man zum Beispiel gut Betrugsfälle und deren Muster erkennen und aufspüren und dann entsprechend darauf reagieren. Das gleiche gilt bei Cyber-Angriffen. Oder man kann die Kreditwürdigkeit von Kunden durch KI-Systeme automatisiert bewerten. Im Einsatz direkt am Kunden und im Dialog mit ihm sehe ich dagegen noch Entwicklungsbedarf. Viele Kunden schätzen ja auch immer noch den persönlichen Kundenservice. Da kann KI unterstützen, aber ist noch keine wirkliche Alternative. Aber natürlich schreitet die Technik auch an dieser Front voran. Auch wir beschäftigen Data Scientists, die aus Daten Anwendungsideen entwickeln.

Es geht darum, die Customer Experience insgesamt deutlich zu erhöhen.

Bei unserem letzten Zusammentreffen hatte ich Sie zum Thema Fintechs befragt. Damals hatten Sie auch in einem Artikel aus dem Jahr 2017 die Fintech-Revolution bezweifelt. Nun sind wir vier Jahre weiter. Wie blicken Sie heute auf diese Technologieunternehmen mit Finanzschwerpunkt?
Lassen Sie es mich so sagen: Es gibt sehr erfolgreiche Fintechs wie N26, Trade Republic oder Bitpanda. Die sind in ihren jeweiligen Bereichen sehr erfolgreich und verstehen ihr Handwerk. Aber stellen sie eine echte Revolution dar? N26 ist ausschließlich auf dem Smartphone gestartet. Trade Republic bietet Aktienhandel zu einem sehr niedrigen Preis. Am Ende handelt es sich aber immer noch um eine Bank und einen Broker.

Die Fintechs insgesamt haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Banking immer digitaler wird. Und auch dazu, dass die Customer Journey einfacher wurde, wie zum Beispiel bei der Kontoeröffnung. Da ist sehr viel passiert, und das war und ist gut so. Aber viele Fintechs sind auch als „Monoliner“ stehen geblieben und haben sich nicht in die Breite entwickeln können. Kurzum: Die große Disruption sehe ich nicht wirklich.

Neobanken sind im Prinzip nur Direktbanken, sagen wir mal „neuerer Prägung“. Alles, was die machen, könnten sie auch. Wie wehren Sie sich gegen die neue Konkurrenz? Hätten Sie eine N26 nicht verhindern müssen?
Die Ausgangssituationen sind doch recht unterschiedlich. Wir sind mit unseren 27 Jahren zwar auch noch eine recht junge Bank, haben aber natürlich eine andere IT-Geschichte und -Entwicklung hinter uns als ein Wettbewerber, der jetzt quasi auf der grünen Wiese neu entsteht. Und wir haben mit mehr als 1000 Mitarbeitenden natürlich auch eine andere Größe als ein Start-up. Aber wir haben viel gelernt von den neuen Mitspielern. Umgekehrt musste aber auch das ein oder andere Fintech-Unternehmen einen Lernprozess durchmachen etwa in Sachen Regulierung oder Kundenservice. Da lief ja nicht alles rund in der Vergangenheit. Wir beobachten, dass der ein oder andere Kunde, gerade wenn es um höhere Anlagesumme geht, dann doch recht schnell wieder zu einer „traditionellen“ Direktbank zurückkehrt

Revolut bietet den Kunden via App über 70 Features an, N26 immerhin 51, die gerade erst gegründete C24 ganze 41. In Deutschland liegt die Consorsbank Ende 2020 bei 36, dass ist zwar besser als eine Santander mit 17, aber nur 50 Prozent von Revolut. Wo klemmt es? Oder brauchen ihre Kunden das alles nicht?
Ich zähle nicht die Anzahl der Features. Es muss doch darum gehen, dass die Features einen Kundennutzen haben. Wir haben zuletzt die Self-Services in unserer App ausgebaut. Kunden können da zum Beispiel die Funktionen und Limiteinstellungen ihrer Kreditkarte einfach und schnell selbst ändern. Das sind Sicherheits- und Convenience-Funktionen mit echtem Mehrwert, die auch sehr gut angenommen werden. Die blanke Zahl an Funktionen kann ich schlecht interpretieren, denn mein Eindruck ist: Banker neigen zu „Featuritis“. Da ploppt hier nochmal eine tolle Idee auf und dort nochmal ein tolles Tool – aber hilft das dem Kunden am Ende auch wirklich und wird es von der breiten Basis angenommen? Da habe ich doch öfter Zweifel.

Unsere Stärke liegt  genau in dieser Diversifizierung.

Zum Abschluss hätten wir noch ein persönliches Thema. Sie waren Vertriebscontroller einer Landesbausparkasse, über fünf Jahre bei McKinsey und nach neun Jahren Comdirect Bank sind Sie jetzt seit 2018 beim deutschen Direktbankableger Consorsbank der BNP Paribas. Was ist anders, wenn die Mutter nicht in Frankfurt, sondern in Paris sitzt?
Ich habe übrigens auch noch drei Jahre Telekommunikationserfahrung. Ich bin zu BNP Paribas gewechselt, weil ich wieder stärker international arbeiten wollte. Da hat die Bank viel zu bieten, denn das Netzwerk mit seiner vielfältigen Retailwelt birgt ein enormes Know-how. Deutschland ist für die Gruppe ein äußerst wichtiger Markt. Wir haben eine tolle Wachstumsstory mit den zwölf verschiedenen Geschäftseinheiten von der Dirketbank über Leasing bis zu Versicherungen vorzuweisen hierzulande. Da bin ich natürlich sehr gerne dabei.

Stört sie die Fragmentierung innerhalb des Konzerns? Kaum jemand weiß, dass die BNP die größte Auslandsbank in Deutschland ist.
Unsere Stärke liegt genau in dieser Diversifizierung, über die keine andere Bank in Deutschland so verfügt. Wir können eventuelle Schwächephasen gegenseitig ausgleichen, viel voneinander lernen und eng miteinander arbeiten. Das ist ein sehr großes Asset, das von außen vielleicht gar nicht so wahrgenommen wird, aber in Summe eine große Schlagkraft entfaltet.

Profitieren Sie von Ihrer Erfahrung in der Beratung?
In einer Welt, die sich ständig verändert, hilft die Ausbildung zum Berater schon. Auf der einen Seite ist da das Best-Practice-Learning. Sie haben bei McKinsey so viele Teams, sei es international oder industrieübergreifend, die voneinander lernen. Dieser Blick über den Tellerrand ist Bankern eigentlich gar nicht eigen, die denken eher an „meine Bank“, „mein Bereich“ und „meine Kunden“. Das ist etwas, was ich immer wieder einfordere und was uns auch erfolgreich macht.

Gleiches gilt für das Thema Kundenperspektive. Ich habe sehr lange an Vertriebs- und Marketingthemen gearbeitet und die trage ich praktisch immer mit mir. Auch wenn sich die Welt in dieser Beziehung schon etwas verbessert hat, muss man die Kundenperspektive in Projekten immer wieder einfordern. Und natürlich hilft am Ende auch Strategie-Erfahrung. Aktuell bauen wir bei der Consorsbank am langfristigen Plan bis 2025. Da schöpfe ich auch viel Wissen aus meiner Beratervergangenheit.

Vorstände im Gespräch: Sie möchten weitere interessante Interviews lesen? Hier sprechen wir mit Christian Rhino von der Helaba. Und wenn Sie wissen wollen, welche Rolle Dr. Deglow den Neobanken im Aktienhandel zuschreibt, erfahren Sie das hier im Videointerview.

Interview: Ronja Wildberger und Thorsten Hahn