„Es wäre sehr unklug, wenn wir als zwei Wettbewerber nebenherlaufen würden“

Dr. Joachim Schmalzl ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Im Gespräch mit der BANKINGNEWS berichtet er über die Digitalisierung der Sparkassen, den aktuellen Stand der European Payment Initiative und was sie dem Digitalen Euro voraushat.


DSGV

BANKINGNEWS: Herr Dr. Schmalzl, 2016 hatten Sie in einem Interview gesagt, die Digitalisierung in der Bankbranche sei unumkehrbar. Manche Kritiker meinen, in den acht Jahren seitdem wäre zu wenig passiert.

Dr. Joachim Schmalzl: Deutschland ist in Sachen Digitalisierung allgemein kein Vorreiter. Das liegt auch an einer gewissen Skepsis hierzulande gegenüber neuen Technologien. Wir waren lange Zeit nicht auf digitale Lösungen angewiesen, weil es meistens irgendwie funktioniert hat. Was die Kreditinstitute betrifft, sind schon Schritte in die richtige Richtung unternommen worden. Und ich würde behaupten, die Sparkassen-Finanzgruppe liegt hier nicht ganz so weit hinten.

Aber wäre nicht noch viel mehr möglich?

Sicher, aber wir versuchen immer die Balance nach dem Grundprinzip „Sparkasse bleiben, digitaler werden“ zu halten. Und wir wollen dazu an unseren Säulen Nähe, Regionalität und Kundenbeziehungen sowohl stationär als auch digital festhalten. Es funktioniert nur, wenn man Mitarbeiter und Kunden mitnimmt und gut zuhört, wie viel Fortschritt sie überhaupt mitzutragen bereit sind. Uns geht es nicht darum, um jeden Preis zu digitalisieren und dabei in Kauf zu nehmen, dass der Komfort für die Kunden leidet. Es geht uns darum, Prozesse besser zu machen und echte Kundenmehrwerte zu schaffen. Die Kunst für uns Sparkassen bleibt es, unsere Strategien am echten Kundenbedarf auszurichten und nicht einen künstlichen Bedarf zu bedienen oder eine kleine Nische perfekt zu besetzen, die aber für die Breite der Kunden keinen Sinn macht.

Stichwort EPI, inzwischen hat in Deutschland und Frankreich die Pilotphase begonnen. Aber einige Länder und auch Banken sind ausgestiegen. Wie sind Ihre Erfahrungen aus der Pilotphase? Wie geht es weiter?

Wir liefern! Der Proof of Concept (PoC) im Dezember 2023 ist gelungen. Dieser wichtige Test hat gezeigt, dass EPI so, wie wir es uns vorstellen, realisiert werden kann. Wir müssen nun unsere Investitionen für dieses System bündeln, um wettbewerbsfähig zu sein.

Wer macht denn bisher alles mit?

In Deutschland sind die Genossenschaftsbanken, die Sparkassen und die Deutsche Bank dabei. Hinzu kommen viele relevante Institute aus den Nachbarländern. Damit sind 60 Prozent der Bevölkerung in Europa über diese Banken erreichbar. Das zu synchronisieren ist sehr anspruchsvoll, weil die Investitionszyklen der Banken aufeinander abgestimmt werden müssen. Aber wir sind alle von dem Willen getrieben, ein gemeinschaftliches europäisches Zahlungssystem zu erschaffen. Alle Institute, die mitmachen, stehen geschlossen dahinter und sie sind schlagkräftig.

Kriegen wir den deutschen Kunden von PayPal weg zu EPI?

EPI ermöglicht alle Zahlungswege über ein System und über ein verknüpftes Girokonto, mit vollständiger Transparenz und in Echtzeit. Das ist unser Leistungsversprechen. Kundenbefragungen bestätigen uns, dass sie nicht für verschiedene Zahlungszwecke verschiedene Bezahlmethoden mit verschiedenen Buchhaltungen und Salden nutzen wollen, bei denen man ständig hin und her disponieren muss. Der Handel begrüßt es, in Echtzeit Zahlungseingänge bestätigt zu bekommen. Und EPI bietet die Möglichkeit, ein einheitliches Bezahlsystem für alle Kanäle anzubieten – bis hin zum Thema online kaufen, im Laden zurückgeben oder umgekehrt. Diese Leistungsfähigkeit mit komplexen Zahlungssystemen kann nicht jeder, auch nicht PayPal.

Was haben die Banken davon?

Wir glauben, dass neben Kunden und Einzelhandel auch die Kreditinstitute daran Interesse haben, die Abhängigkeit von Dritten zu reduzieren und ein eigenständiges Zahlungsverkehrsverfahren aufzubauen. Die Sparkassen haben damals mit der Anwendung Kwitt, heute Giropay, in Deutschland den ersten Schritt gemacht. Es geht aber nicht allein um Instant Payment, sondern auch darum, auf die Infrastruktur ein echtes Zahlungssystem zu legen. Sie können bereits jetzt Überweisungen tätigen und Großzahlungen anstoßen, aber es gibt kein Zahlungsverkehrssystem mit Rückgaben, Consent Management und wiederkehrenden Zahlungen. Das wollen wir mit EPI erstmalig bereitstellen.

Mit dem Digitalen Euro investieren wir in ein Parallelsystem, welches ebenfalls europaweiten Zahlungsverkehr ermöglichen soll. Liegt da nicht ein Fehler im System?

Der Digitale Euro befindet sich momentan an dem Punkt, an dem EPI bereits vor zwei Jahren war. Aktuell ist er nicht mehr als eine Idee im Planungsstadium. Und diese Idee muss demnächst einen Legislativ-Prozess durchlaufen. Da wird geprüft, ob das, was die EZB sich vorstellt, auch dem Willen des EU-Parlaments entspricht. Und danach müsste man sich noch überlegen, wie sich das Projekt in unser Ökosystem integrieren lässt und wie sich eine Win-Win-Situation schaffen lässt. Wir hingegen haben einen PoC, eine voll entwickelte Infrastruktur, ein fertiges Zahlungsverkehrsregelwerk und ein von der EU-Kommission unterstütztes und akzeptiertes Geschäftsmodell für Banken entwickelt, das für den Handel attraktive Konditionen bietet. Wir sind startklar.

Was hat der Verbraucher davon?

Es wäre sehr unklug, wenn wir als zwei Wettbewerber nebenherlaufen würden. Verbraucher würden sich fragen, was sie mit dem Digitalen Euro zusätzlich machen sollen, wenn sie dann die Vorzüge von EPI schon kennen. Wenn wir Menschen auf der Straße fragen, ob es schon einen Digitalen Euro gibt, dann würden sie wahrscheinlich sagen: „Ja, denn ich zahle ja schon lange digitalisiert in Euro an der Kasse“. Hinzu kommt: Das Projekt der EZB beschränkt sich nicht nur auf den Digitalen Euro als Währung. Es beinhaltet auch ein Zahlungsverkehrssystem mit Infrastruktur und massiven Investitionsnotwendigkeiten für die EZB, den Handel und die Kreditinstitute. Man sollte diskutieren, ob das in dem Ausmaß, und parallel zu den Lösungen der Privatwirtschaft, die es schon gibt, nötig ist. Was wird dadurch für den Kunden besser? Und da appellieren wir als Sparkassen- Finanzgruppe und Teil der deutschen Kreditwirtschaft an EZB und Politik, nicht in den Wettbewerb mit den Geschäftsbanken zu treten, sondern kooperative Lösungen zu finden.

Viele Banken fürchten auch ein zu hohes oder gar fehlendes Haltelimit beim Digitalen Euro.

Die Diskussion über das Haltelimit ist relevant, weil die Kernfrage lautet, ob der Digitale Euro ein Zahlungsmittel oder auch ein Wertaufbewahrungsmittel sein soll. Es stellt sich die große Frage, wie es mit dem Digitalen Euro in einem Krisenfall aussähe. Ein Krisenfall wäre zum Beispiel die Instabilität eines Marktes, siehe Griechenland oder Zypern, bei der es einen Run auf die Geldautomaten gäbe. Dieses Szenario, bei dem die Menschen aus dem Giralgeld ganz leicht ins Zentralbankgeld flüchten und damit die Krise verschlimmern könnten, treibt uns als Kreditwirtschaft um. Wir sorgen uns, dass die EZB das Haltelimit eigenständig festlegt und verändert. Wenn wir schauen, wie viel der durchschnittliche Bürger in seiner Brieftasche hat, dann sind wir eher bei 50 bis 200 Euro als bei den kolportierten 3000 Euro für das Haltelimit.

Was macht Sie noch skeptisch beim EZB-Projekt?

Die Frage des Haltelimits ist die eine Diskussion, die andere Frage lautet, wie viel Giralgeld fließt aus dem normalen Geschäftsbankensystem in eine andere Sphäre ab und steht uns dann nicht mehr für unsere Kernaufgabe, die Wirtschaft mit Krediten am Laufen zu halten, zur Verfügung. Aber trotz aller Appelle werden die Banken wahrscheinlich in zwei parallele Infrastrukturprojekte investieren müssen. Man muss uns Banken darum gut erklären, welchen Zweck das hat, wem das hilft und wie es zum Verhältnis zu all den anderen Initiativen steht. Es ist grundsätzlich zu hinterfragen, ob da, wo die Privatwirtschaft bereits investiert, der Staat auch noch investieren muss. Wir sind uns einig in dem Ziel, dass wir einen erfolgreichen Digitalen Euro wollen, aber er muss einvernehmlich und in Zusammenarbeit mit der Kreditwirtschaft kommen. Und da suchen wir noch den richtigen Grad der Zusammenarbeit.

Könnte man die beiden Systeme nicht zusammenlegen?

Die EPI-Wallet „wero“ kann auch Zahlungen mit dem Digitalen Euro ermöglichen, so wie sie auch eine digitalisierte girocard oder andere Zahlverfahren enthalten kann. Es gibt Ansätze für Kooperationen, über die wir mit der EZB auch bereits sprechen.

Gibt es außer bei Krisen noch weitere Konstellationen, bei denen Menschen Ihr Geld aus dem Giralgeldsystem abziehen könnten?

Das könnte täglich völlig unbewusst passieren. Im offiziellen Rulebook der EZB zum Digitalen Euro steht, dass auch ein so genannter „Wasserfall“ für Zahlungen oberhalb des Haltelimits etabliert werden soll. In der Praxis bedeutet das: Wenn eine Zahlung durchgeführt wird, die über dem Haltelimit liegt, werden die fehlenden Digitalen Euro noch während des Kaufvorgangs automatisch durch die Hausbank „nachgefüllt“. Die Kosten für die Umsetzung und Anbindung dieses Wasserfalls muss die Kreditwirtschaft tragen, europaweit. Nicht zu vergessen: Jeder Händler wird verpflichtet, die Annahme zu ermöglichen. Diese Kosten kommen noch hinzu. In der laufenden Ausschreibung der EZB kann man nachlesen, wie viele Milliarden an Ausschreibungsvolumen im Topf sind. Und da muss die Frage erlaubt sein: Wofür das alles?

Thema: eID: Warum brauchen wir digitale Identifikationsverfahren?

Weil in unserer zunehmend digitalisierten Welt immer mehr Verträge online abgeschlossen werden. Und dabei gibt es einen großen Unsicherheitsfaktor: Nämlich die Frage, wer derjenige ist, der da gerade etwas bestellt oder kauft. Hier schaffen digitale Identitäten wie der digitale Personalausweis Abhilfe. Das zweite Thema: Wenn Sie heute zum Beispiel ein Auto anmelden, müssen sie meist immer noch zu einem Amt gehen, weil es nicht so einfach möglich ist, das digital zu machen. Unter anderem eben, weil die digitale Identifikation von Personen in Deutschland nicht so einfach möglich ist, wie in anderen Ländern. Dabei haben wir mit dem elektronischen Personalausweis längst die theoretische Möglichkeit dazu. Über 80 Prozent der deutschen Personalausweise sind digital und mit einer PIN versehen.

Aber die wenigsten Menschen kennen diese PIN noch, haben sie verfügbar oder jemals genutzt. Warum ist das so? Weil es keine Anwendungsfälle gibt. Wir tragen als Sparkassen zu einem „Ökosystem Digitale Identitäten“ bei und haben Anwendungsfälle geschaffen wie die digitale Kontoeröffnung und das digitale Entsperren des Kontos. Als Nächstes planen wir, die pushTAN-Freischaltung zu digitalisieren – alles ohne Wartezeit und von zuhause aus mit dem digitalen Personalausweis. Es liegt jetzt an der Wirtschaft und der Verwaltung, ebenfalls neue Anwendungsfälle zu schaffen. Denn nur, wenn die Kundinnen und Kunden einen Mehrwert in seiner Nutzung erkennen, werden sie den digitalen Personalausweis einsetzen. Und auch die Verwaltung muss digitale Anwendungsfälle anbieten.

Wie passt es dazu, dass die Bundesregierung den PIN-Rücksetzungsdienst einstellt?

Die große Hürde bei der Nutzung des digitalen Personalausweises ist es, dass die meisten Menschen ihre PIN nicht kennen. Die Hälfte unserer Kundinnen und Kunden bricht den digitalen Kontoeröffnungsvorgang aus diesem Grund ab. Seitdem es keine Möglichkeit mehr gibt, eine neue PIN nach Hause zu erhalten, kann man das Problem nur lösen, indem man auf sein Bürgeramt geht und dort eine neue beantragt. Je nach Kommune kann das sehr zeitintensiv sein. Die Bundesregierung sucht jetzt nach einem adäquaten Ersatz für die Rücksetzung. Wie da der Stand ist derzeit, kann ich Ihnen aber nicht sagen. Wir haben als Sparkassengruppe angeboten, mitzuhelfen, um diesen einfachen Service wieder für die Menschen sicherzustellen.

Filialschließungen führen gerade bei den Sparkassen zu Kritik. Verlieren die Sparkassen dadurch nicht ihre regionale Nähe und damit ihr größtes Differenzierungsmerkmal gegenüber Digitalbanken?

Unser Selbstverständnis ist: Wir schließen die Geschäftsstellen nicht, weil wir Kunden dazu zwingen wollen, ihr Verhalten zu ändern, sondern wir reagieren auf ein geändertes Kundenverhalten. Diese Reihenfolge unterscheidet uns von manchen Mitbewerbern am Markt. Aber trotz einiger Schließungen ist unser Filialnetz noch sehr dicht. Wir haben mehr Filialen als Aldi und Lidl zusammen. Die durchschnittliche Entfernung zu einem Kontaktpunkt zu Fuß oder mit dem Auto beträgt je nach Ort sechs bis sieben Minuten. Unsere Sparkassen-App hat über 16 Millionen aktive Nutzer.

Viele Kunden nehmen also unser digitales Serviceangebot an. Dadurch steht die Filiale mehr im Fokus für Beratungsgespräche. Dafür braucht es in den Geschäftsstellen dann eine Beratungsqualität, die breit gefächert ist. Dazu müssen Sie auch eine gewisse Kompetenz vorhalten und das führt wiederum zu größeren zentraleren Einheiten. Bei dieser Verdichtung orientieren wir uns aber immer an den Bedarfen der Kunden. Wenn wir aber grundsätzlich darüber diskutieren, wie die Infrastruktur in den Orten aufrechterhalten wird, kann das nicht nur die Aufgabe der Sparkassen sein. Da bedarf es einer breiteren Debatte.

Interview: Thorsten Hahn

Dr. Joachim Schmalzl


Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV)

Dr. Joachim Schmalzl ist seit März 2016 geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DSGV in Berlin. Davor war er fast zwanzig Jahre für die Stadtsparkasse Köln und deren Nachfolgerin, die Sparkasse KölnBonn tätig – zuletzt als Vorstand für Organisation, Prozess- und Produktmanagement Controlling, Finanzen und Risikomanagement. Schmalzl studierte in Mannheim Betriebswirtschaft und promovierte am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität Göttingen. Seine berufliche Laufbahn startete er bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company in Düsseldorf. Beim DSGV verantwortet Schmalzl den Bereich Geschäfts- und Digitalisierungsstrategie.


Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV)

Gründung: 1924
Unternehmenssitz: Berlin und Bonn
Mitarbeiter: über 190.000
Institute: 353
Geschäftsstellen: Circa 11.000

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) ist der Dachverband der Sparkassen-Finanzgruppe. Er vertritt die Interessen der 353 Sparkassen, der sechs Landesbanken-Konzerne und der DekaBank sowie von fünf Landesbausparkassen, neun Erstversicherergruppen der Sparkassen und zahlreichen weiteren Finanzdienstleistungsunternehmen. Der DSGV organisiert die Willensbildung innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe und ihre markt- und betriebsstrategische Ausrichtung – von der Produktentwicklung und -abwicklung, über Risikomanagement und Gesamtbanksteuerung bis zum Karten- und Zahlungsverkehr und ganzheitlichen Beratungsansätzen für alle Kundensegmente.

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