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„Grundsätzlich ist die beste Zeit am Kunden investiert“

Der Mittelstand wird in Deutschland großgeschrieben. Für Banken ein lukrativer Markt und entsprechend hart umkämpft. Wie die Hamburger Volksbank mit dem Wettbewerbsdruck umgeht, auf welche Assets das Kreditinstitut setzt und was deutsche von amerikanischen Banken lernen können, verrät Vorständin Rita Herbers im BANKINGNEWS-Interview mit Thorsten Hahn und Laura Kracht.


Rita Herbers

BANKINGNEWS: Die Themen Digitalisierung und digitales Onboarding sind in der Branche omnipräsent. Das betrifft aber meist eher den Privatkundenbereich. Was hat sich im Firmenkundenbereich in punkto Digitalisierung bei Ihnen getan?
Rita Herbers: Das hängt einfach mit der Art des Geschäftes zusammen. Die Hamburger Volksbank ist das Thema schon vor vielen Jahren angegangen. Und es ist tatsächlich erst einmal im Privatkundenbereich angekommen. Denn die Komplexität ist im Firmenkundenbereich im einzelnen Kundengeschäft höher. Da ist es schwieriger, Digitalisierung „draufzusetzen“.

Schwieriger oder unmöglich?
Ich glaube nur schwieriger. Sie haben auch Onboarding angesprochen. Wie viele Banken und Unternehmensberater haben versucht, das digitale Onboarding von Firmenkunden umzusetzen? Das gelingt mittlerweile bei kleinen und mittleren Firmen. Bei großen Firmenkunden hat das noch keiner richtig geschafft. Da sind wir im Übrigen gerade in der Überlegung, wie wir das machen können.

Die SaarLB hat aber zum Beispiel eine komplette digitale Kreditantragstrecke gebaut.
Das ist super. Auf so etwas wartet die Branche. Was im Firmenkundengeschäft aber immer bleiben wird, ist: Digitalisierung muss funktionieren, aber viel wichtiger ist der persönliche Kontakt. Ein Unternehmer überlegt sich ja morgens nicht, was er mit seiner Bank bespricht, sondern möchte sein Unternehmen nach vorne bringen. Es muss uns gelingen, der Lösungsgeber für den Kunden zu sein. Wenn er ein finanzielles Thema hat, muss er sofort an unsere Telefonnummer denken. Am Ende wird der persönliche Kontakt im Firmenkundengeschäft den Ausschlag geben.

Wie sind Ihre Firmenkundenberater durch die Corona-Krise gekommen, als die persönlichen Kontakte abgenommen haben?
Es gibt auch gute persönliche Kontakte über Telefon oder Video. Natürlich ersetzt das nicht ein persönliches Gespräch mit dem Unternehmer. Da liegt aber auch eine Stärke der Hamburger Volksbank. Viele bei uns sind schon lange auf ihrem Betreuerplatz. Wenn sie einen Kunden schon lange kennen, ist die Corona-Zeit nicht so gravierend.

Viele Kunden berichten von hoher Fluktuation bei den Beratern, da gibt es manchmal sieben Betreuer in zehn Jahren. Sie sagen aber, Sie haben viele langjährige Berater – weil sie verhindern, dass sie Karriere machen oder weil die Hamburger Volksbank etwas Besonderes macht, um diese zu halten?
Ich glaube einfach, weil es den Menschen Spaß macht. Wenn Sie in meine Vita gucken: Für mich war nach meiner Ausbildung klar, dass ich Firmenkundenbetreuerin werden wollte und ich habe das auch viele Jahre gern gemacht. Es gibt immer Menschen, die sich weiterentwickeln oder aufsteigen möchten. Es muss Karrieremöglichkeiten geben, und die gibt es ja auch.

Aber dann wechselt der Berater wieder.
Dann wechselt er, das ist richtig. Und in zehn Jahren sieben Betreuer – das ist zu viel.

Das wäre ein Todesstoß für die Bank.
Genau. Beim Thema Vertrauen in der Kundenbeziehung ist viel passiert. Vertrauen können Sie nicht auf Knopfdruck erzeugen. Sondern es entsteht durch persönliches Erleben, durch ein gutes Miteinander. Vertrauen ist die Basis für eine gute Kundenbeziehung.

Gerade im Firmenkundengeschäft.
Gerade im Firmenkundengeschäft. Bei Betreuerkontinuität gibt es kein Falsch oder Richtig. In zehn Jahren sieben Betreuer, da ist kein Kunde begeistert. Heute zu erwarten, dass jemand sich für einen Firmenkundenbetreuerjob entscheidet und das 30 Jahre lang macht, ist aber auch unrealistisch. War es vielleicht auch früher schon. Manchmal kann ein Betreuerwechsel sogar frischen Wind in eine Verbindung bringen.

Ob Commerzbank oder HypoVereinsbank – die überwiegende Zahl der Banken möchte das Geschäft mit mittelständischen Unternehmen ausweiten. Reicht der Kuchen dann noch für alle?
Die deutsche Wirtschaft lebt vom Mittelstand. Und natürlich ist dieser für eine Bank attraktiv. Nun reicht aber ja „der“ deutsche Mittelstand von einem Unternehmen mit zwei Angestellten bis hin zu Unternehmen kurz vorm MDAX. Daher muss man schauen, welches Unternehmen in welcher Nische im Mittelstand tätig ist. Alle Unternehmen, die hier in Hamburg sind, können wir gut bedienen. Da gibt es andere Banken, die eher auf internationale Kunden ausgerichtet sind. Und ja, wenn man alles zusammenrechnet, könnte da vielleicht mehr rauskommen als das, was der Kunde eigentlich hergibt. Aber das Klappern gehört auch zum Handwerk an der Stelle.

Man sagt, die Banken seien bisher gut durch die Corona-Krise gekommen. Dabei hat etwa die Insolvenzaussetzung für einen kleinen Puffer gesorgt, die seit Mai wieder in Kraft ist. Steht das Schlimmste also noch bevor?
Was nach den aktuellen Geschehnissen folgt, ist immer noch recht nebulös. Ich glaube an diesen Zeitversatz, weil natürlich aktuell noch viele Liquiditätshilfen greifen. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Wir haben Vorsorge getroffen und im Moment sehen wir noch keine vermehrten Insolvenzen. Aber in der Tat kann ich nicht glauben, dass das spurlos an einer Wirtschaft vorbeigeht. Das wird im letzten Quartal 2021 oder im ersten Quartal 2022 erfolgen.

Was glauben Sie, kommt da noch?
Es kommt darauf an, was sie finanziert haben. Wenn die Immobilie finanziert ist, hat sie, selbst wenn sie leer ist, noch einen Wert. Beim Warenlager wissen wir alle, wie lange das einen tatsächlichen Wert hat. Insofern muss man da auch genau schauen. Wir hoffen alle, dass nichts Großes passiert. Aber wir haben nun mal leider gesehen: Ladenlokale und Restaurants waren geschlossen.

Die Frage ist, ob Insolvenz angemeldet wird.
Ja, da gibt es sicherlich noch die eine oder andere. Aufgrund der aktuellen Begebenheiten lese ich auch öfter, dass Leute nicht mit 65 aufhören, sondern schon mit 63. Die werden dann keine Insolvenz anmelden, sondern machen nachgeordnete Schließungen. Solche Effekte gibt es auch.

Auch der Fintech-Bereich ist seit einigen Jahren in Bewegung. Manche Fintechs konnten sich als Anbieter im Markt nicht richtig durchsetzen. Dann gibt es Plattformen wie Compeon, die über 200 Banken im Portfolio haben und mit Krediten bedienen. Wie sehen Sie diese Konkurrenz?
Die können Konkurrenz sein, sind gleichzeitig aber eine Ergänzung. Hier liegt auch die Betonung. Denn wir sind Kooperationspartner von Compeon. Das Plattformgeschäft wird sich auch im Firmenkundengeschäft weiter ausbreiten. Natürlich müssen vernünftige Konditionen hinterlegt werden, sonst kommt es zu keinem Geschäft. Auch wenn es noch kein Massenphänomen ist, kann dies der Einstieg in eine lukrative Geschäftsverbindung sein. Äquivalent dazu setzen wir im Privatkundenbereich BAUFINEX ein. Das ist ein Portal, in dem Kunden ihre Baufinanzierung anfragen und wir die Konditionen zur Verfügung stellen können. Das machen wir, weil wir glauben, dass es nicht nur den einen Weg nach vorne gibt. Kunden sind hybrid. Sie wollen auf verschiedenen Kanälen mit uns kooperieren. Das versuchen wir auch zu bedienen – und zwar so, dass sowohl unsere Kunden als auch wir einen Nutzen daraus ziehen. Dabei halten wir uns auch hier an unsere Metropolregion Hamburg.

Hier in „Ihrer Region“ haben sie die größte Sparkasse und die Hamburg Commercial Bank als Wettbewerber. Bleibt da genug für Sie, um Geschäfte zu machen?
Der Bankenmarkt Hamburg ist immer umkämpft gewesen.

Inwiefern?
Hamburg ist ein verhältnismäßig großer Bankenplatz. Auch internationale Banken sind immer hier gewesen, eine BNP oder HSBC. Die Frage ist ja immer, wie gehen Sie mit einer Wettbewerbssituation um? Schießen Sie gegen den Wettbewerb oder versuchen Sie, was völlig anderes zu machen?

Das ist ja im Banking nicht ganz leicht, oder?
Das nicht, aber es kommt darauf an, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren. Und das ist auch das, was wir tun. Wenn jemand mit dem Bereichsleiter Firmenkunden oder mit der Bereichsleiterin Privatkunden sprechen möchte, ist das relativ schnell hergestellt. Auch wenn jemand mit mir sprechen möchte. Grundsätzlich ist die beste Zeit am Kunden investiert. Was die Konkurrenz betrifft, die Hamburg Commercial Bank macht nichts im Privatkundenbereich. Die direkte Konkurrenz ist sicherlich die Haspa. Aber der Kunde hat sich irgendwann für eine Bank entschieden. Entweder, weil das Zufall war, weil das Geschäftsmodell gepasst hat oder weil der Berater gepasst hat. Es gibt verschiedene Gründe dafür. Wir gewinnen Kunden für uns, die sich für das genossenschaftliche Geschäftsmodell entscheiden.

Wie machen Sie das konkret?
Wir als Unternehmen sowie unsere Mitarbeiter sind regional verwurzelt. Und die wollen auch in Hamburg bleiben. Auf der anderen Seite haben wir aber eben die Stärke des genossenschaftlichen Verbundes. Wir arbeiten eng mit der DZ Bank in Hamburg zusammen. Wir haben die R+V, die Union Investment und die Schwäbisch Hall. Das ist ja alles miteinander verwoben. Wir bieten die komplette Palette an Produkten, die ein Kunde braucht. Dies, gepaart mit der regionalen Verwurzelung ist schon ein großes Asset, das wir mitbringen, um erfolgreich am Bankenmarkt bestehen zu können.

Im Genossenschaftsmodell gibt es eine Mitgliedschaft, die nicht jeder Kunde hat. Könnte man aus dieser Mitgliedschaft nicht mehr Potential heben, vor allem, wenn man sie bundesweit und übergreifend treibt?
Ich glaube, das überregional zu heben wird eher schwer.

Weil jede Bank und jeder Bankvorstand doch sein eigenes Süppchen kochen möchte?
Die Unabhängigkeit der einzelnen Banken ist Fluch und Segen zugleich. Ich glaube, da eine Einigkeit herzustellen, wäre schwer. Aus dem genossenschaftlichen Prinzip wiederum lässt sich viel mehr machen. Und wenn Sie heute auf den Megatrend Nachhaltigkeit gucken, dann steht kaum etwas so sehr für Nachhaltigkeit wie das genossenschaftliche Prinzip. Es ist genau das, was viele Menschen in der heutigen Zeit bewegt.

Sie waren eine Zeitlang in New York tätig. Wo sind die größten Unterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Banken?
Ich war zweieinhalb Jahre in Amerika und die kulturellen Unterschiede sind größer als wir, oberflächlich gesehen, wahrnehmen. Der Bankenmarkt ist ganz anders strukturiert. Wenn Sie die großen Banken nehmen, beispielsweise Citi oder Wells Fargo, die haben insgesamt einen Marktanteil von rund 40 Prozent.

Haben wir mit den Sparkassen nicht auch eine große Gruppe mit 50 Prozent Marktanteil, zumindest was den Privatkundenbereich angeht?
Das kann man so sehen. Trotzdem handelt ja jedes Institut für sich. Und in den USA verhält sich auch die Kundenseite anders. J.P. Morgan, Wells Fargo oder die Bank of America haben Riesen-Geschäfte gemacht im Investmentbanking. In Deutschland ist das Herzstück der Mittelstand. Insofern ist die ganze Wirtschaftsstruktur einfach eine andere, denn ein deutscher Mittelstand fragt andere Produkte und andere Bankdienstleistung nach. Und sie haben auch eine ganz andere Berater-Kunden-Beziehung. Hier sprechen wir mit den geschäftsführenden Gesellschaftern und mit dem kaufmännischen Leiter. In einem Weltkonzern sprechen sie nicht den ganzen Tag mit dem CEO. Das ist eine andere Art des Bankings.

Könnten hiesige Geldhäuser sich vielleicht von den Amerikanern noch etwas abschauen?
Wir sind ja als Deutsche meist gründlich und planen sehr ordentlich, bevor es zur Umsetzung kommt. Amerikaner sind schneller bereit, eine Idee zu verwerfen und etwas anderes auszuprobieren. Diese Freude und dieses „Einfach mal machen“ funktioniert vielleicht bei uns nicht so. Planen ist immer gut und gehört auch dazu – aber wenn wir da manchmal vielleicht ein bisschen schneller in die Umsetzung gehen und ausprobieren würden, wäre es auch gut.

Aber hier gibt es etwa Regulatorik. Kann man im Banking so viel ausprobieren?
Sie können etwa ausprobieren, wie Sie einen Kunden beraten. Da steht auch keine Regulatorik entgegen. Es gibt viele Wege mit Menschen in Kontakt zu treten.

Interview: Thorsten Hahn, Laura Kracht

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