BANKINGNEWS: Herr Voigt, Sie sind seit Mai 2019 Vorstandsvorsitzender der Sparkasse KölnBonn. Sie haben als Auszubildender im Unternehmen begonnen und sitzen schon eine Zeit lang im Vorstand. Gab es Überraschungen für Sie, als Sie den Chefsessel übernommen haben?
Ulrich Voigt: Inhaltliche Überraschungen gab es keine mehr, nachdem ich vorher schon eineinhalb Jahre die Vertretung innehatte. Etwas überraschend war, dass die Aufmerksamkeit deutlich zunimmt. Man wird von außen anders betrachtet, auch wenn man schon Vorstandsmitglied war. Diese Steigerung hat mich dann doch noch gewundert.
Und die Stufe davor, also vom Bereichsleiter zum Vorstandsmitglied?
Das waren dramatische Änderungen. Man kann sagen: Je weiter man in der Hierarchie aufsteigt, desto höher ist die Unsicherheit, unter der man starten muss. Daran muss man sich gewöhnen und natürlich steigt der psychische Druck. Ich bin im Jahr 2008 Vorstand geworden, kurz nachdem die Finanzkrise losging – da gab es aber keinen kausalen Zusammenhang (lacht). Insofern bin ich als Vorstand sofort in den Krisenmodus übergegangen und hatte damals den Beteiligungsbereich und das Treasury, die auch von der Krise betroffen waren.
„Es wird tatsächlich einen großen Mangel an Data Scientists geben“
Die gesamte Branche spricht über Nullzinsen. Womit verdient die Sparkasse ihr Geld, wenn Zinsen am Boden liegen und die Europäische Zentralbank Strafzinsen für Einlagen von Instituten verlangt?
Im Grunde gibt es zwei große Erlösquellen für Banken: zum einen die Fristentransformation, zum anderen das reine Kundengeschäft. Wir haben uns darauf konzentriert, was Kunden wollen und weniger auf die Fristentransformation, die wie eine süße Droge wirken und möglicherweise Probleme verdecken kann. Wir wollen in Zukunft weiter im Kundengeschäft wachsen und Geld verdienen. Das ist eine herausfordernde Situation, weil wir auf der Passivseite keine Margen mehr haben. Hinzu kommen die Zahlungen an die EZB. Aber man kann noch immer auf der Aktivseite verdienen, zum Beispiel durch Kredit- und Provisionsgeschäfte, den Ausbau des Wertpapiergeschäfts und durch gute Angebote für die Kunden.
Konkret?
Wir haben rund 20 Milliarden Euro Kundeneinlagen und hatten darauf vor zehn Jahren eine Marge von einem Prozent, also 200 Millionen Euro Erträge. Die sind fast komplett weg. Man sieht also, dass man an dieser Stelle strukturell eingreifen und sparen muss. Das haben wir in den letzten Jahren getan und das werden wir auch fortführen. Wir beobachten dasselbe auch bei anderen Banken.
Die Sparkasse KölnBonn hat als eine der größten in Deutschland über 3.900 Mitarbeiter. Überlegen Sie, wie andere Banken in Deutschland auch, die Zahl Ihrer Mitarbeiter zu reduzieren? Den Sach- und Personalaufwand hat Ihr Haus im Geschäftsjahr 2018 immerhin um gut 22 Millionen Euro gesenkt.
Wir Sparkassen verhalten uns an dieser Stelle wie ein ordentlicher Kaufmann. So prüfen wir die natürliche Fluktuation des Unternehmens und ob wir Mitarbeiter ersetzen müssen, die das Haus verlassen. Oder ob wir, etwa durch Digitalisierung oder verändertes Kundenverhalten, auf die Mitarbeiterkapazität verzichten können. Nach dieser Strategie sind wir in den letzten Jahren verfahren. Bei unserer Geschäftsgröße kann man gut abschätzen, wie diese Fluktuation aussieht, etwa durch Renteneintritte. Trotzdem stellen wir auch neue Mitarbeiter ein, wie zurzeit vor allem Berater, Data Scientists und Webdesigner. Außerdem schulen wir Mitarbeiter um und setzen sie in anderen Bereichen ein.
Haben Sie bei der Mitarbeitersuche auch Probleme mit dem Fachkräftemangel?
Verglichen mit Sparkassen in kleineren Geschäftsgebieten spüren wir den Fachkräftemangel in unserer Region zum Glück nicht so sehr. Von den umliegenden Universitäten stehen uns viele gut ausgebildete Leute zur Verfügung, die gerne in der Region bleiben möchten. Allerdings haben wir in manchen Bereichen natürlich auch Probleme. Es wird in den nächsten Jahren zum Beispiel einen großen Mangel an Data Scientists geben. Und wir haben Probleme damit, gute Auszubildende zu finden. Von den 60 Plätzen, die wir vergeben wollten, konnten wir nur 50 Stellen besetzen.
„Den typischen Sparkassenkunden gibt es doch gar nicht“
Stichwort Kunden: Ihr Haus hat, wie andere Institute auch, Filialen geschlossen. Verfolgen Sie den Trend weg von der Filiale und hin zur Online-Beratung?
Halt, halt, wir haben zwar Filialen geschlossen, aber auch eine neue eröffnet. Wir bedienen Kunden vermehrt über den telefonischen Vertriebskanal. Dieser Kanal wird aus meiner Sicht von der Branche noch unterschätzt. Man muss sich fragen: Was wollen die Kunden tatsächlich haben? Ein Modell der reinen Online-Beratung ist aus unserer Sicht heute noch keine Option. Das spiegeln uns unsere Kunden auch wider. Unsere Aufgabe ist es, allen ein passendes Angebot zu bieten, auch für Ältere oder sozial Schwächere, die sich vielleicht kein Smartphone leisten können oder nicht mehr ausreichend mobil sind. Und wir wollen in den Städten „fühlbar“ bleiben. Daher ist unser Geschäftsstellennetz eine wichtige Anlaufstelle. Es muss natürlich in allen Bereichen stetig weiter modernisiert werden.
Für 2019 hatte sich Ihr Haus drei größere Dinge vorgenommen: die Digitale Unterschrift per PenPad, den Anlagekonfigurator und das Thema BusinessCenter. Wie weit sind Sie gekommen?
Wir sind auf einem guten Stand. Das PenPad haben wir in allen Filialen eingeführt, allerdings noch nicht für alle Vertragsarten. Wir müssen erst dafür sorgen, dass wir alle Verträge in der EDV ablegen können. Doch das ist nur noch eine Frage der Zeit. Der Anlagekonfigurator ist ein Instrument, mit dem Kunden auf unserer Website eine Einschätzung vornehmen können, wie sich ihr Wertpapierportfolio je nach Risikoklasse entwickeln kann. Von dem BusinessCenter versprechen wir uns viel, da wir glauben, dass es die Erwartungen der Firmenkunden erfüllt, ähnlich wie die Direktfiliale im Privatkundengeschäft. Diese Produkte sind livegeschaltet.
Welche Projekte stehen 2020 an und wie gehen Sie mit dem Thema Digitalisierung um?
Wir beschäftigen uns zum Beispiel intensiv mit dem Thema Finanzplattform. Mit unserem Firmenkundenportal haben wir eigene Entwicklungen gemacht, die wir weiter ausbauen wollen. Es gibt viele Themen, an denen wir arbeiten. Dabei ist für uns wichtig, viel auszuprobieren, um zu sehen, worauf es ankommt. Denn faktisch haben die Banken noch nicht den Weg mit der Digitalisierung und hin zur Digitalisierung gefunden. Aus meiner Sicht kann noch niemand sagen: Genau so werden Banken in fünf Jahren aussehen und so muss man sich aufstellen. Dafür gibt es zu viele Schwankungen, neue Technologien und Entwicklungen. Wir können nur in die Richtung gehen, von der wir glauben, dass sie richtig ist. Aber wir werden immer wieder Kurskorrekturen vornehmen müssen.
Dann verfolgen Sie sicher auch aufmerksam das Projekt Libra von Facebook?
Wir wissen noch nicht, welche Auswirkungen Libra auf den Bankenmarkt haben wird. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir eine erratische und sprunghafte Entwicklung in unserer Branche haben. Sobald neue Faktoren hinzukommen, zieht dies andere Veränderungen im Umfeld nach sich, die alles umwerfen können.
Liegt das daran, dass die „Institution“ Bank in veralteten Strukturen denkt?
Ich bin überzeugt, Banken denken zu linear. Doch da steht die Bankbranche nicht alleine da. Man kann Ähnliches in der Automobilindustrie beobachten, etwa bei der E-Mobilität. Wir müssen damit umgehen, dass man nicht mehr wirkungsorientiert sagen kann, was genau passieren wird.
Hat ihr Unternehmen eine Strategie zum Umgang mit Disruptionen entwickelt?
Ja, wir haben uns seit 2017 intensiv damit auseinandergesetzt und eine Strategie erarbeitet. Teil davon ist, dass wir mit neuen Arbeitsweisen vorgehen. Wir setzen agile Arbeitsweisen und Design Thinking ein – Methoden, die gerade en vogue sind. Und wir entwickeln uns langsam aber sicher hin zu mehr Agilität, weniger Hierarchie und schnelleren Lösungen, solange es der Regulator zulässt. Das ist der Unterschied, der es uns schwerer macht als den Fintechs, die auf der grünen Wiese starten. Das, was die BaFin zu Recht fordert, müssen wir umsetzen. Ein Start-up genießt Welpenschutz, bis es sich so weit entwickelt, dass dort der Regulator eingreift.
Müsste man nicht, wenn man über digitale Transformation spricht, auch komplett neue Dinge denken?
Digitalisierung ist ja eigentlich Technisierung. Das haben die Banken schon immer gemacht. Eigentlich ist die Digitalisierung aber nur ein Katalysator für Trends. Und die heißen heute Convenience, Geschwindigkeit, Mobilität und Vernetzung. Diese Trends werden jetzt durch Digitalisierung ermöglicht.
Was folgt daraus für die Banken?
Wir müssen überlegen, was wir tun müssen, um diese Trends zu bedienen, und wie Digitalisierung da helfen kann. Das heißt, Investition in Technik, aber auch in Mitarbeiter. Denn auch wir sind nicht alle digital. Die Mitarbeiter der Sparkasse sind die Normalverteilung aller Menschen und von denen haben wir digital-affine, aber auch Kollegen, die sagen: „Will ich eigentlich nicht“. Das ist die Herausforderung, klar zu machen, Digitalisierung geht jetzt nicht mehr weg, du musst dich damit auseinandersetzen. Und nicht nur das, sondern du musst es auch Kunden erklären können oder den Kunden sagen können, warum sie gut ist. Das ist der Unterschied zu Fintechs mit Kunden, die digital-affin sind. Deswegen ist Marketing für sie kein Problem. Die Dienstleistung, die sie bereitstellen, zieht nur die an, die genau diese Dienstleistung wollen.
Und die Sparkassen?
Wir wollen alle Bevölkerungsschichten bedienen. Vor diesem Hintergrund ist Marketing für uns schwieriger, und unsere Herausforderung ist ungleich größer als die einer reinen Digitalbank.
Sie bieten Apple Pay auch für die Girocard an. Will der typische Sparkassenkunde das?
Den typischen Sparkassenkunden gibt es doch gar nicht. Da ist die Herausforderung, für alle passende Angebote zu haben. Wir können nicht sagen, wir machen nur noch Apple Pay und alles ist super. Aber ja, viele Kunden wünschen diese Zahlungsmethode.
„Wir sind schon andere Schritte Richtung Modernisierung gegangen“
Überlegen Sie wieder mehr auf persönliche Beratung zu setzen und Teams auszubauen, weil sonst manche Geschäfte vielleicht gar nicht erst angebahnt werden können?
Nein, diese Überlegung stellt sich für uns nicht, weil wir die persönliche Beratung nie heruntergefahren haben. Unsere Strategie war immer, persönlich zu beraten, wo dies gewünscht ist. Und dasselbe gilt für die mobile Beratung. Das ist unser Markenkern, wir können beides. Wir sind eine Omnikanal-Bank. Das heißt, man kann uns immer erreichen – und das ist unser Alleinstellungsmerkmal.
Man sieht Sie immer öfter ohne Krawatte. Ist das nicht eine Art Etikettenschwindel in der Branche? Die Krawatte verschwindet, aber sonst ändert sich kaum etwas?
Da hat sich die Gesellschaft geändert. Auch in großen Anwaltsbüros kommen Partner und Anwälte ohne Krawatte. Als Organisation fragt man sich: Bleibt man Ewiggestriger? Gehört das zur Arbeitskleidung oder ist es Zeit, sich an die Kunden anzupassen? Wir hatten den Eindruck, dass ein krampfhaftes Festhalten an der Krawatte bei Kunden zunehmend zu Irritation und Distanz geführt hat.
Wo haben Sie es bemerkt?
Wenn Sie als Vorstand zum Kunden kommen und er sagt, er habe seine Krawatte nur für den Termin angezogen, dann merkt man, da läuft was schief. Man will ja, dass der Kunde sich nicht verkleiden muss. Das war einer der Gründe, warum wir unsere Kleiderordnung angepasst haben und mehr Freiraum lassen. Und so ein inszenierter Tabubruch hat auch kulturelle Auswirkungen. Diese Arbeitsanweisung war die erste, die in einem Tag komplett umgesetzt wurde. Das hat auch bei den Kollegen den Eindruck hinterlassen, dass sich etwas tut. Man kann nicht sagen, ihr müsst anders arbeiten, digitaler und kundenorientierter werden und auf der anderen Seite sagen, alles bleibt beim Alten. Wir sind vorher schon andere Schritte Richtung Modernisierung und Digitalisierung gegangen. Wir haben den Schritt weg von der Krawatte also nicht vorweggenommen, um Agilität nur zu vermitteln.
Tipp: Hier finden Sie weitere Vorstände im Gespräch, wie Dr. Reinhard Krafft, Geschäftsführer Rothschild & Co Vermögensverwaltung, der im Interview über stürmisches Wachstum, langfristiges Denken und Disruptionen spricht und erklärt warum er nicht auf Twitter ist.