BANKINGNEWS: Sie setzen seit einigen Jahren auf eine Best-of-Two-Strategie. Nun haben Sie einen Best-of-Multiple-Opportunities-Ansatz eingeführt. Was können wir uns darunter vorstellen?
Marcus Vitt: Best-of-Two ist ein auf Black-Scholes basierendes Modell, mit dem die Allokation in Portfolios optimiert wurde. Die Idee besteht darin, eine Art Referenzportfolio mit zwei Anlageklassen zu entwickeln und sich rückwirkend das Schönste aus zwei Welten aussuchen zu können. Schon 2002 haben wir dies als erste Bank in die Praxis überführt. Mittlerweile gibt es Best-of-Two-Fonds wie Sand am Meer. Das ist ein emotionsfreier, regelbasierter Ansatz, der gerade über längere Phasen einen sehr guten Track-Record hat. Auf der anderen Seite muss man lernen, dass sich die Welt ständig weiterentwickelt. Wir haben heute ganz andere Fragestellungen zu beantworten. Liquidität war für Banken früher ganz normal. Aber durch die Finanzkrise hat der Begriff von den Kennziffern bis zur Steuerung eine ganz andere Bedeutung bekommen. Wir waren immer auf der Suche nach einer Strategie, welche die Vorteile aus ganz vielen verschiedenen Assets gegeneinander optimiert, um für den Anleger mit weniger Risiko eine deutlich bessere Rendite zu erreichen.
Ziel erreicht?
Ziel erreicht! Unter den Mitarbeitern im Asset-Management-Team herrschte damals ein gewisser sportlicher Ehrgeiz. Sie wollten dem Chef zeigen, was sie können, und wir haben eine persönliche Wette aufgenommen. Daraus haben sie schließlich ein Best-of-n-Modell entwickelt, das besser als unser Best-of-Two war. Sie hatten gewonnen und wir konnten damit noch bessere Lösungen anbieten. Es war immer meine Vision, eine Umsetzung mit anderen Assetklassen zu erreichen. Man benötigt eine Optimierung der verschiedenen Möglichkeiten untereinander, um ein Optimum an Risk/Return zu erreichen. Dieses Produkt ist die richtige „Schlaftablette“, um Kostolany zu zitieren, mit dem in den nächsten zehn Jahren für den Kunden Geld angelegt und sicher in die Zukunft gefahren werden kann.
Hirn und Bauch in eine Balance bringen
Ist das noch so? Die Anleger, die etwas ins Depot legen und eine Schlaftablette nehmen, werden aufgrund der volatilen Märkte ja weniger.
Ja, das würde ich bestätigen. Bauch und Hirn diskutieren intensiver. Das Hirn war immer der bessere Ratgeber und der Bauch der Kontrapunkt. Dieser verführt den Anleger häufig dazu, das, was er sich lange und reiflich überlegt hat, wieder über den Haufen zu werfen, weil die Märkte mal etwas Verrücktes machen. Man muss abstrakter über die Dinge nachdenken und dies konsequent umsetzen. Ein Beispiel: Als mein Sohn auf die Welt kam, habe ich eine Fondssparplan komplett in Aktien erstellt, weil die Zeit bis zu seinem 18. Lebensjahr lang war. Die reine Lehre sagt: mündelsichere Anlagen. Der Fachmann mit Erfahrung sagt: alles in den Aktienfonds. Das zeigt: Gute Bankberatung erfordert anstrengende Gespräche. Du musst dem Kunden helfen, Hirn und Bauch in eine Balance zu bringen. Daher muss auch eine Dokumentation über die Entscheidungsmomente stattfinden, um den Kunden im Zweifel daran zu erinnern.
Jetzt kommen diverse Robo Advisor um die Ecke. Braucht es übermorgen auch noch diese anstrengende Beratung?
Ja, unbedingt. Die Digital Natives, also die Kunden von morgen, lernen natürlich ganz anders, mit der Technik umzugehen. Auch für uns als Privatbank besteht die Aufgabe in der Komplexitätsreduktion für den Kunden. Komplizierte Märkte und schwierige wirtschaftliche Zusammenhänge kann nicht jeder erschließen. Diese Dinge außerdem mit der eigenen Emotionalität in Einklang zu bringen, braucht schon fast einen examinierten Psychologen. Ich glaube, dass es Menschen geben muss, die einen dahin führen. Tanzen lernen Sie auch nicht ohne Tanzlehrer. Sie können zwar die Schrittabfolgen in den Büchern nachlesen, aber das sieht schrecklich aus. Unsere Dienstleistung ist nicht umsonst, aber das Investment in eine gute Beratung zahlt sich hinterher durch ganz andere Ergebnisse aus.
Da hat die Branche in den letzten Jahren mit einigen Ausnahmen an den wichtigen Stellen zu wenig investiert.
Absolut. Da sind wir auch im kritischen Dialog.
Für wen ist ein Absolute-Return-Fonds mit regelmäßigen Ausschüttungen besonders interessant? Und für wen macht diese Option weniger Sinn?
Einige unserer Kunden sind in der Sportwelt zuhause, suchen den Reiz des Marktes, wollen Day Trading machen und individuelle Strategien ausprobieren. Da macht es natürlich keinen Sinn. Aber um in der Portfoliostrukturierung einen individuellen Mantel für den Kunden zu entwickeln, sind diese Lösungen prädestiniert. Das heißt nicht, alles liquide Vermögen in diese Lösung zu stecken, sondern in den richtigen Mix. Es ändern sich Dinge: Wenn beispielsweise Gold irgendwann nicht mehr attraktiv ist, sondern Palladium, ist es doch für den Anleger am Ende des Tages egal, ob er die Rendite mit Gold oder Palladium gemacht hat. Unser Steuerungsansatz trägt zu einer Verstetigung der Erträge bei und hat eine vernünftige Ausschüttung.
Niedrig- und Nullzinsen stellen ein Problem auch für institutionelle Anleger dar. Wie reagieren Sie auf dieses Umfeld?
Erst recht für institutionelle Anleger. Denn sie sind die ersten, die von den Negativzinsen etwas gemerkt haben. Im professionellen Markt orientiert man sich an Zinskurven und das Verständnis dafür ist ausgeprägter. Wir hatten das erste Mal die Umlaufrendite im negativen Bereich. Das ist ein vollkommen anderes Denken. Gerade im letzten Jahr konnten wir den Kunden z.B. durch unsere Steuerungsmodelle durch diese schwierige Phase bringen. Nicht durch „If you are in trouble, double“, also die Risikosituation deutlich auszubauen, sondern durch Disziplin – ein wichtiges Erfolgsmodell an der Börse.
Wir sind Bezieh-ungsbanker
Ihr Haus kann auf eine positiv zu bewertende Bilanz des Jahres 2015 zurückblicken. Was waren die Erfolgsfaktoren?
In der tagtäglichen Arbeit brauchen wir die besten Kundenversteher, weil wir langfristige Partnerschaften mit unseren Kunden haben möchten. Die Akquisitionskosten für Kunden – ob institutionell oder privat – sind immens hoch. Aber wir investieren in eine Beziehung und nicht in einen Produktkäufer. Wir sind Beziehungsbanker. Wir möchten den Kunden in guten und schlechten Zeiten der Märkte begleiten, sein Vermögen stabilisieren und ausbauen. Deswegen ist die Nähe zum Kunden der wesentliche Kernpunkt. Dieses Tagesgeschäft wird vom Vorstand vorgelebt. Wir sind in der Regel täglich in zwei bis drei Kundengespräche involviert und sitzen nicht in irgendwelchen Elfenbeintürmen. Dadurch hat man schnellere Entscheidungswege. Unser Rendite-Risiko-Radar ist aus einem Gespräch mit einer sehr sensiblen Kundin entstanden, die zum falschen Zeitpunkt Aktien verkaufen wollte – aus reiner psychologischer Panik. Wir haben dann das Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts um zusätzliche Anlageklassen erweitert. Diesen Impuls hat uns eine Kundin frei Haus geliefert. Am Anfang waren es PowerPoint-Präsentationen, aus denen wir dann die App „myReturn“ entwickelt haben.
Und wie sieht es bisher im Jahr 2016 aus?
Wir haben einige positive Botschaften: neue eigene Lösungen, eine große Nachfrage und weitere Innovationen, die wir in den Markt bringen. Wir spüren im Moment, dass das Zinsergebnis drückt. Wir haben vor etwa drei Jahren eine mittelfristige Planung gemacht, bei der wir von einer verlängerten Niedrigzinsphase ausgegangen sind. Aber wenn ich Ihnen heute diese Kurve zeigen würde, wäre das peinlich. Die liegt deutlich über der heutigen Zinskurve. Was da passiert ist, haben wir nicht geahnt.
Verlässlichkeit und Kalkulierbarkeit
Da sind Sie ja in guter Gesellschaft.
Es werden gerade einige spannende Dinge gemacht, um aus dieser Situation herauszukommen. Aber in schwierigen Phasen ist es wichtig, dass man seine konservativen Ansätze nicht über Bord wirft. Verlässlichkeit und Kalkulierbarkeit sind immens wichtig. Zufriedene Kunden sind für uns in der Akquise das wichtigste Moment. Vor einigen Jahren dachten wir als Teil der Signal Iduna, dass keine anderen Versicherer zu uns in die Betreuung kommen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind Versicherungsversteher. Im letzten Jahr haben wir recht viele Krankenkassen dazu bekommen, die keine Berührungspunkte zu unserer Mutter haben, aber unserem Team eine gute Expertise bescheinigen. Dadurch haben wir ein sehr gutes Akquisitionsfundament.
In welchen Bereichen sehen Sie Nachholbedarf und die größten Herausforderungen für die Zukunft?
Es wird anstrengend. Wir sind eine Bank mit Beratungskonzept aber keine, die ihren Kunden ständig neue Vorschläge macht, um Provisionen zu generieren. Die Kür wird sein, die Kunden sicher durch diese Schwerwetterfront zu bringen. Erfahrungsgemäß sind Zinswechsel auch für die Banken immer hochkomplex. Darauf liegt der Fokus.
Welche Philosophie vertreten Sie in der Diskussion Provisions- vs. Honorarberatung?
Wir haben 2004 als erste Bank auch eine Honorarberatung eingeführt, die heute noch existiert. Der Gedanke war, dass der Kunde selbst über sein Betreuungskonzept entscheiden soll. Er kann uns als Transaktionsbank nutzen, Vermögensverwaltung in Anspruch nehmen und sich schlafen legen oder sich mit uns im Dialog beraten lassen. Er bekommt wie beim Handwerker einen Kostenvoranschlag und wir rechnen die Stunden ab. Wenn man dem Kunden dienen will, muss man ihn da abholen, wo er ist, und mit ihm erarbeiten, welches Betreuungskonzept nachhaltig ist. Da sind wir anders aufgestellt als andere Häuser.
Das erinnert mich an den systemischen Beratungsansatz: „Wer Wege kennt, kann wählen.“ Der Gesetzgeber denkt jedoch darüber nach, Provisionsberatung zu verbieten.
Wenn es keine hochqualifizierten Finanzplaner, Bankfachwirte, Anlageberater und Kreditspezialisten mehr geben kann, weil die keiner finanziert, ist das Land im Ausnahmezustand. Die braucht man und daran wird kein Weg vorbei führen. Die Situationen sind immer sehr individuell und komplex. Deswegen halte ich von dieser pauschalen Regulierung nichts. Mir wäre lieber, man hätte Spielregeln für den Verbraucherschutz definiert, würde aber nicht alle Wege zu Ende regulieren. Das führt in die falsche Richtung. Wir haben viele Manager großer Aktiengesellschaften oder Vorstände als Kunden, die seit 30 Jahren Aktieninvestments fast als Sport betreiben. Die müssen jetzt zu jedem Anlageprozess durch die ganze Formalmühle. Das geht vollkommen an den Bedürfnissen vorbei. Man kann auch nicht sagen: Die sind alle „Execution only“.
Der Kunde wird vollkommen unterschätzt
Ich habe vor kurzem mit Gerd Billen [Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz; Anm. d. Red.] gesprochen, der sich dabei auch nicht ganz wohl in seiner Haut fühlt. Er weiß, dass einige Leute das nicht brauchen, ist aber dazu gezwungen, Regeln mit einem festen Korsett aufzustellen – und zwar ohne tausende Ausnahmeregelungen.
Das ist das Schwierige in solchen Strukturen wie in Europa. In einem Arbeitsausschuss des Bundesverbandes wurden wir damit konfrontiert, dass fast alle außer Deutschland dafür waren, dass Immobilienfinanzierungen nur noch mit variablen Zinsen angeboten werden können. Der Deutsche aber legt zehn oder fünfzehn Jahre fest und will Planungssicherheit für sein Häusle. Stellen Sie sich vor, wir würden dem Kunden, weil wir nur noch variable Kredite machen dürften, einen SWAP geben, Derivate – um Gottes Willen! Die Libor- oder Euribor-Finanzierung gemeinsam mit dem SWAP ist nichts anderes als eine Langfristfinanzierung, die der deutsche Kunde wiederum kennt und schätzt. Wir konnten die von den Angelsachsen getriebene Ideologie im Immobilienfinanzierungsbusiness zum Glück verhindern. Solche Diskussionen haben wir häufig, und diejenige zur Honorarberatung gehört dazu. Der Kunde wird vollkommen unterschätzt. Wenn er einen vernünftigen Preis für eine adäquate Dienstleistung bezahlt, ist er geschützt und zufrieden. Wenn er zu wenig bezahlt, wird es im Markt keine Anbieter mehr geben. Oder ein Markt wird manipuliert. Diejenigen, die solche Konditionen anbieten, versuchen auf anderem Wege ihre Infrastruktur zu finanzieren. Das ist verlogen. Es gibt einen Trend des Gesetzgebers, die Branche in Fehlentwicklungen zu treiben. Am Ende sind die bösen Banken Schuld, dass etwas passiert, was zuvor von den Politikern durch ihre Entscheidungen gefördert worden ist.
Das sehe ich ähnlich. Es gab aber auch viel Fehlberatung und Berater, die sich die Taschen vollgemacht haben. Bei Maklern steht die Kernleistung in vielen Fällen auch in keinem Verhältnis zur Provision.
Man kann mit der Politik reden, gesunde Selbstverpflichtungen eingehen und Spielräume festlegen. Eine Fehlentwicklung ist, dass dies alles für den regulierten Markt geschieht. Auf dem grauen Markt wird der Verbraucher dann wirklich ausgenutzt und geschädigt. Darum kümmert sich die Politik zu wenig.
Ich bin ein Innovation Leader
Das Buzzword der letzten Zeit ist „Digitale Transformation“. Wie hat sich Ihr Haus in diesem Zusammenhang aufgestellt?
Ich würde mich selbst als Innovation Leader bezeichnen und probiere alles Neue aus – privat und im Unternehmen. Auf der letzten Betriebsversammlung stand ich mit einer Virtual-Reality-Brille. Wenn Sie ein Asset wie Luxusimmobilien in Amerika haben, der Kunde aber in Hamburg oder München sitzt, kann ich ihn mit dieser Technik in sein neues Appartement führen. Man muss die Technik als Enabler von Erfahrungen und Unterstützungsdienstleistungen für den Kunden verstehen. Der Manger, der auf der ganzen Welt unterwegs ist, möchte zwischendurch wissen, wie sich sein Portfolio entwickelt. Er braucht ein modernes Reporting, das sexy aussehen muss. Außerdem müssen alle Informationen management-orientiert und verdichtet dargestellt werden.
Wir sind eine Community
Das heißt, die digitalen Prozesse müssen mehr auf den Kundennutzen ausgerichtet sein?
Richtig. Wir reduzieren die Komplexität für den Kunden. Ein anderer Fall ist, dass ich beispielsweise in Hamburg bei einem Kunden zu Hause einen Portfolio-Manager aus München auf einem Screen hinzuschalten kann. Das ist die Beratung der Zukunft. Und ich habe Lust darauf, diese Technik für unsere Kunden nutzbar zu machen. Aber an der Mensch-Mensch-Schnittstelle wird kein Weg vorbei führen. Ich möchte nicht in einem kühlen abstrakt-modernen Raum mit Vollversorgung leben. Menschen wollen mit Menschen zu tun haben und soziale Kontakte pflegen. Sie brauchen Wertschätzung, Zuneigung und das persönliche Gespräch. Wir sind keine Bank im engeren Sinne, sondern eine Community. Wir vernetzen Kunden mit anderen Kunden.
Es gibt mittlerweile sehr viele Kooperationen zwischen Banken und Fintechs. Wie sieht Ihre Schnittstelle in diese volatile Welt aus? Überlegen Sie, ein Fintech zu kaufen, zu kooperieren oder etwa ein Geschäftsmodell kopieren?
Mit Fintechs zu kooperieren, nur um seinen Aktionären zeigen zu können, dass man auch dabei ist, ist nicht mein Qualitätsanspruch. Man muss sehr genau schauen, was die Menschen brauchen. Wir haben Medien – Apps, Podcasts oder CDs – immer so eingesetzt, dass der Kunde sie genießen kann. Sie müssen Sinn machen und einen Mehrwert stiften. Wir prüfen gerade eine Kooperation mit einem Fintech, das unsere Kapitalmarktexpertise für seine Transaktionen nutzen möchte. Zwei weitere Fintechs sind Teil unseres Future Labs und denken mit uns gemeinsam über die Zukunft nach. Am Ende kann ein Joint Venture stehen, oder wir investieren und sie setzen es um. Auch als relativ kleine Privatbank versuchen wir, vor dem Trend und vorne mit dabei zu sein. Im Fintech-Bereich kommen noch lustige Sachen auf uns zu. Die Blockchain beispielsweise hat über den Zahlungsverkehr hinaus sehr viele mächtige Möglichkeiten, die noch nicht breit genug gedacht werden. Da stehen wir noch am Anfang.