BANKINGNEWS: Ihre Laufbahn bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall startete 1999 mit dem Studium und seit Mai 2022 sind Sie dort Vorstandsmitglied – eine solche Karriere ohne Zwischenstation bei anderen Instituten ist heute eher ungewöhnlich.
Kristin Seyboth: In der Tat ist es in der heutigen Zeit selten. Für die Bausparkasse Schwäbisch Hall ist es aber nicht ungewöhnlich. Wir haben eine Betriebszugehörigkeit von knapp unter 20 Jahren, konkret 19,2 Jahre.
Im Durchschnitt?
Ja, im Durchschnitt. Allerdings hätte ich selber, als ich hier angefangen habe, nie geglaubt, dass es mehr als zehn Jahre werden. Aber ich habe das Gefühl, aufgrund der verschiedenen Stationen durch viele unterschiedliche Unternehmen gegangen zu sein. Insofern fühlt es sich gar nicht lange an.
Welche Vorteile hat eine Karriere wie Ihre?
Ich habe vom ersten Tag an Bausparen und Baufinanzierung gelernt. Am Anfang habe ich Vertriebssoftware programmiert, Vertrieb also fachlich gelernt und war auch im Kundenservice. Und so habe ich in diesen 20 Jahren gewissermaßen alles schon miterlebt, was rund um Bausparen und Baufinanzierung passiert ist. Das hilft mir beruflich enorm weiter. Natürlich habe ich auch eine besondere Nähe zu den Menschen. Ich kenne hier so gut wie jeden und habe mit vielen bei Projekten zusammengearbeitet. Diese Nähe möchte ich mir beibehalten.
Und Nachteile?
Man hat den Blick von außen nicht. Das versuche ich mir systematisch zu erschließen, zunächst über Kontakte innerhalb der Branche. Noch wertvoller finde ich allerdings die „Ausflüge“ in Unternehmen aus anderen Branchen. In meiner Zeit im Processing habe ich mich beispielsweise intensiv mit Lean Management beschäftigt und dabei waren etwa Porsche oder Mercedes die Quellen der Inspiration. Von diesen Firmen konnte man wirklich etwas Neues für unsere Branche lernen. Ich lasse auch regelmäßig einen Externen „checken“, ob man einen Tunnelblick entwickelt hat. So lässt sich gut ein Gegenpol setzen.
Ich finde die ‚Ausflüge‘ in Unternehmen aus anderen Branchen sehr wertvoll.
Sie sind die erste Frau im Vorstand der Bausparkasse Schwäbisch Hall. In der Branche ist der Frauenanteil in Führungspositionen immer noch gering. Ein leidiges Thema, doch wie stehen Sie zur Frauenquote?
Vor nicht allzu langer Zeit war ich auch noch eine absolute Quoten-Gegnerin. Mir wäre es lieber, wenn wir keine Quote hätten. Denn ich finde, dass es diese Unterscheidung an sich nicht braucht. Es wäre schön, wenn es funktioniert, tut es aber nun einmal leider noch nicht in dem Maße.
Dabei sind die Qualifikationen ja vorhanden. Woran liegt es dann?
Richtig, Qualifikationen sind hier wirklich nicht ursächlich. Ich bin „im Osten“ groß geworden und in eine andere Gesellschaft hineingewachsen. In Schwäbisch Hall wurde plötzlich gesagt, dass es ungewöhnlich ist, dass ich als Frau in der IT bin oder Karriere mache. Hier hat man leider die Chance verpasst, aus der Wiedervereinigung noch mehr mitzunehmen von dieser – ich nenne es einmal – Nicht-Unterscheidung zwischen den Geschlechtern. Aber tendenziell geht es an vielen Stellen in die richtige Richtung.
Gibt es hier immer noch eine „Verhinderungskultur“?
Das glaube ich schon, auch wenn ich es hier keineswegs wahrgenommen habe. Nichtsdestotrotz braucht es Zeit, damit der weibliche Nachwuchs die oberen Führungsebenen erreichen kann. Denn auf der ersten Ebene ist der Frauenanteil hoch, auch auf der ersten Führungsebene haben wir den Anteil stark erhöhen können. Dann kommt der nächste Schritt. Dazu muss ich erst einmal eine stabile Basis haben. Aber Frauen gezielt zu fördern, halte ich für notwendig. Beispielsweise habe ich das erste Frauennetzwerk innerhalb der Schwäbisch Hall Gruppe gegründet, in dem man sich austauschen und Tipps geben kann.
Auch bei der Digitalisierung wird der Finanzbranche häufig vorgeworfen hinterherzuhinken. Sehen Sie das auch so?
Die Frage ist, was die Finanzbranche eigentlich ist. Es gibt eine ganze Reihe Fintechs, die innovative Services schaffen und auch neu entstandene Banken. Die Branche in Summe ist also nicht das Problem. Was sicherlich ein Problem ist, sind die traditionellen Häuser. Da würde ich mich den Kritikern anschließen. Hier in unserer Bank gibt es 50 bis 60 Jahre alte Programme. Sie wurden etabliert, als IT für den Normalbürger noch gar nicht greifbar war. Diese IT ist über Jahrzehnte gewachsen und muss abgelöst werden, um mit den neuen Technologien Schritt halten zu können und innovativ zu sein. Das muss man aber erst einmal hinbekommen. Und man sollte sich ganz genau überlegen, zu welchen Zeitpunkt man die Umstellung angeht. Deswegen entsteht manchmal der Eindruck einer Behäbigkeit.
Trotz veralteter Legacy-Systeme machen nur wenige einen Neustart. Sie und zwei andere Bausparkassen sind das Wagnis 2016 eingegangen, im „Programm NEXT“.
Ja, das Projekt läuft schon einige Zeit. Wir wussten aber auch, dass es nicht mit einem Fingerschnipp funktioniert. Zwischendurch gab es auch durchaus Entscheidungen, mit denen wir uns bewusst Zeit lassen wollten – zugunsten der Qualität. Es ist wichtig, manchmal innezuhalten, nochmal darauf zu schauen und dann auch wirklich einen Haken daran zu machen. Und es gibt genügend Beispiele in der Branche, bei denen man gesehen hat, was passieren kann, wenn man das nicht im Griff hat. Das wollten wir auf gar keinen Fall.
Erleichtert Ihr Produkt den Neuanfang?
Es wäre so schön, wenn das der Wahrheit entsprechen würde. In der Tat, von außen gesehen ist Bausparen trivial. Gleichzeitig ist das Bausparer-System, selbst ohne das Kreditsystem daneben, von der Anzahl an Lines of Code und der Logik, die darin steckt, komplexer als ein Wertpapiersystem. Warum? Weil Bausparen wahnsinnig viele Optionen hat. Was aus der Kundensicht gut ist, ist aus IT-Sicht natürlich die Herausforderung schlechthin: alle Optionen gleichzeitig abbilden zu müssen. Und das macht es jetzt spannend.
Wo stehen Sie jetzt?
Wir haben 2019 die erste Produktivsetzung gehabt, und das war für mich persönlich der Durchbruch. Seitdem läuft SAP mit der Erweiterung der Banking-Suite von der iBS AG im produktiven Einsatz. Das heißt, das komplette Kredit-Neugeschäft läuft inzwischen darüber. Wir haben die Kreditarten nach und nach umgestellt, inzwischen acht Releases und 2022 die ersten Bestandsmigrationen gemacht. Das heißt, unsere klassischen Baudarlehen sind „drüben“ und jetzt gehen wir langsam alle Bauspar-Modelle an. Wenn der Plan aufgeht, ist 2023 der Hauptkreditbestand migriert. Darauf liegt gerade der Fokus.
Vor nicht allzu langer Zeit war ich auch noch eine absolute Quoten-Gegnerin.
Was würden Sie entgegnen, wenn jemand auf eine Erneuerung verzichten und sein System nur über API-Schnittstellen ausbauen würde?
Es hängt stark davon ab, welche Technologie in der Kernbank steckt. Ich kann nur sagen: Für unser System wäre es katastrophal gewesen. Wir haben unter anderem Assembler und IMS-Datenbanken im Einsatz. Aber eine Kernbank läuft langsam aus dem Lebenszyklus heraus. Dann ist es zwar schön und gut, dass ich API- Schnittstellen habe, aber das hilft mir nicht weiter, wenn ich die Menschen nicht mehr habe, die die Technologie verstehen und die Technologie selbst veraltet ist.
„Wenn man einen schlechten Prozess digitalisiert, kommt ein schlechter digitaler Prozess dabei heraus.“ Bei der Umwandlung von alten Kernbankensystemen gilt dieses bekannte Zitat auch. Wie gehen Sie das an?
Wie schaffen wir es, eben nicht das Alte abzukupfern? Das war eine wesentliche Frage für uns. Die Gefahr ist immer groß, weil wir alle von dem geprägt sind, was wir jeden Tag hier tun, sowohl in der IT als auch in den beteiligten Fachbereichen. Eine Standardsoftware ist dabei eine große Chance, denn sie hat automatisch andere Prozesse und Definitionen im Bauch. Damit war klar, dass man nicht mehr alles so machen kann wie vorher, und das tut manchmal auch richtig weh. Darüber hinaus haben wir noch ein Joint Venture mit anderen Bausparkassen. Bausparen an sich ist schon nicht einfach, wenn dann noch drei Bausparkassen aufeinandertreffen, merkt man schnell, dass Zuteilung nicht Zuteilung ist, sondern in den Prozessen sehr unterschiedlich interpretiert wurde. Auch da ist man also wieder gezwungen, nach vorne zu denken. Spannend fand ich, dass wir alle eine neue Sprache gelernt haben, denn mit der Transformation hat auch die Bankensprache in die Bausparkasse Einzug gehalten.
Waren es von Anfang an drei Bausparkassen?
Gestartet sind in der Tat wir. Eigentlich mit einem anderen Fokus, denn wir haben eine Lösung für unsere Auslandstöchter gesucht. Damals wollten wir nicht mit dem alten Host-basierten System in einen neuen Markt gehen. Nachdem wir ausreichend Erfahrung gesammelt und die Software verstanden haben, waren wir so weit, das auch fürs Inland anzugehen. Dann sind die Kollegen aus Wüstenrot und von der BHW dazugekommen und haben für anderen Schwung gesorgt.
Und trotzdem sind die beiden Bausparkassen Ihre Wettbewerber. Welche Faktoren waren neben den Kosten ausschlaggebend für die Zusammenarbeit?
Die Hoffnung, dass wir nicht in die Falle tappen, das Alte abzukupfern. Das war für alle ein Treiber. Die Kosten haben Sie angesprochen, aber auch Zeit ist ein Faktor. Drei Bausparkassen können Mitarbeiter und Kompetenzen parallel einbringen.
Muss man sich dabei nicht manchmal „auf den kleinsten gemeinsamen Nenner“ einigen?
Das Risiko besteht, aber wir können da schon gut streiten, und das meine ich im positiven Sinne. Das war sicherlich entscheidend, denn es waren ja viele überrascht, dass wir das Projekt gemeinsam gestartet haben. Als wir in die ersten Gespräche gegangen sind, waren wir selber ein bisschen skeptisch. Und gleichzeitig wussten alle: Es kann auch eine unglaubliche Energie geben. Wir haben schnell Herzblut entwickelt, und das vom Top-Management an. Damit waren sehr gute Rahmenbedingungen geschaffen.
Eine Kernbank läuft langsam aus ihrem Lebenszyklus heraus.
Nach längerer Zeit steigen die Zinsen wieder. Einige Kritiker sagen, dass sich Bausparen selbst überholt hätte. Wo steht das Thema derzeit aus Ihrer Sicht?
Es gibt einen absoluten Bausparboom. In der Tat haben viele das Bausparen schon fast für tot erklärt. Wir nicht. Wir haben immer geglaubt, dass es eine wichtige Säule für die private Immobilienfinanzierung ist, erst recht mit Blick auf Eigenkapitalbildung, denn das ist ja ein zentrales Element. Bausparen ist im letzten Jahrzehnt und gerade in der Niedrigzinsphase mit den steigenden Immobilienpreisen immer wichtiger geworden. Dass es in einem künstlich geschaffenen Niedrigzinsumfeld zurückhaltender war, ist auch logisch. Mit Blick auf Zinssicherung und die steigende Unsicherheit ist es derzeit beliebt bei den Kunden. Gleichzeitig ist das Thema Eigenkapitalbildung weiterhin relevant und es ist gut, wenn man früh mit dem Aufbau anfängt. Rund 20 Prozent Eigenkapital ist die Richtlinie für den Erwerb einer Immobilie. Aber 85 Prozent der Mieterhaushalte verfügen laut IW Köln über Eigenkapital von weniger als 60.000 Euro und können sich damit nur eine Immobilie bis 300.000 Euro leisten – das ist derzeit für Familien am Markt kaum zu finden.
Immobilienkredite haben im Herbst 2022 mit etwa vier Prozent den höchsten Wert seit über zehn Jahren erreicht. Wie wirkt sich das auf den Markt aus?
Auf der Baufinanzierungsseite ist erkennbar, dass der Markt einbricht. Auch wenn wir, was die eigenen Marktanteile angeht, in Summe gut dastehen. Nichtsdestotrotz, der Gesamtmarkt wird auch 2023 weiter einbrechen, insbesondere mit Blick auf die gleichzeitig hohe Inflation und die gestiegenen Baukosten. Da passt der Markt gerade nicht zusammen. Es hängt viel davon ab, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt. Was macht er mit der Finanzmarktstabilität? Gibt es eine Rezession? In welchem Ausmaß? Der Bedarf an Wohnraum ist weiterhin steigend. Die Regierung hat 400.000 neue Wohnungen pro Jahr ausgerufen, von diesem Ziel sind wir noch weit entfernt. Das ist die eine Seite und die andere ist die energetische Modernisierung. Der Fokus liegt zurzeit auf autarkem und nachhaltigem Wohnen. Ich schaue hier aus dem Fenster auf eine Reihe alter Villen, es ist also Modernisierungsbedarf vorhanden. Wir sind mit Bausparen und Baufinanzierung gut aufgestellt. Da mache ich mir in unserem Markt überhaupt keine Sorgen.
Interview: Thorsten Hahn und Laura Kracht
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