Knapp 250.000 Kunden hat die Commerzbank im vergangenen Jahr hinzugewonnen, zwei Drittel davon vor Ort – und eben nicht übers Internet. Kein Wunder, dass den Geschäftsstellen eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Immerhin will man bis 2016 eine Milliarde Euro ins Privatkundengeschäft investieren. BANKINGNEWS sprach mit Bereichsvorstand Werner Braun über neue Konzepte, Gastgeberqualitäten und was man aus anderen Branchen lernen kann.
BANKINGNEWS: Sie nennen Ihre Filiale hier und in Stuttgart „Flagship-Filiale“. Eine solche Wortwahl treffen vor allem Markenhersteller wie Apple und Adidas. Banken wirft man immer vor, dass ihre Filialen im Vergleich damit zu wenig attraktiv wirken. Aber: Kann denn eine Bankfiliale wirklich so cool sein wie ein Apple-Shop?
Werner Braun: Das muss der Kunde beantworten. Er wird für sich entscheiden: Fühle ich mich hier wohl oder nicht. Der Flagship-Store, den wir nun eröffnet haben, ist ganz anders als normale Bankfilialen. Mit der offenen Architektur, der Lounge mit Infotainmentangebot und Kaffeebar verbreitet unser Flagship eine Atmosphäre, in der man sich gern aufhält.
Darüber hinaus gibt es verschiedene Konzepte, die wir hier testen. Dennoch gebe ich Ihnen in einem Punkt recht: Wir haben keine coolen und anfassbaren Produkte, wie z.B. Apple. Mit einer Ausnahme: Wir testen hier Kredit- und Debitkarten zum Mitnehmen. Die Kreditkarte können Kunden bereits kurze Zeit später einsetzen. Das gibt es in Deutschland nur bei uns! Es geht uns in der Flagship-Filiale aber vor allem auch um das Erlebnis des Kunden. Die Mitarbeiter sollen ihn im besten Sinne als Gastgeber empfangen. Den Unterschied macht bei Banken eben weniger ein bestimmtes Produkt, sondern vor allem das Verhalten der Mitarbeiter. Deswegen haben wir auch sehr viel in das Training unserer Mitarbeiter investiert.
Gastgeber ist ein gutes Stichwort. Das ist ja sehr amerikanisch. Auch andere Ladenlokale hier in Deutschland haben versucht, jemanden an die Tür zu stellen, der „Guten Tag“ sagt. Aber irgendwie scheint da der deutsche Kunde leicht überfordert.
Sie widersprechen sich gerade. Sie sagten doch, Apple würde angenommen. Schauen Sie sich mal an, wie offen die Kollegen dort stehen, und zwar ohne jeglichen Tresen. Es wird angenommen, weil es angenehm ist.
Ich glaube, das ist genau das, was Kunden wollen. Menschen kommen in eine Bank, zum Beispiel um Geld abzuheben. Jetzt ist der Grat zwischen einem guten Gastgeber und einem, der aufdringlich wirkt, sehr schmal. Genau das haben wir trainiert und werden uns noch weiter verbessern. Die Kunst ist es doch, aus einem einfachen Kontakt ein Gespräch zu machen, um dann festzustellen, ob es einen Anlass gibt, tiefer in den Dialog einzutauchen.
Wie haben Sie es trainiert?
Wir haben Wert auf den Blick von Außen gelegt und uns externe Unterstützung von Unternehmen geholt, die sich mit der Gastgeberrolle und dem Kundenservice sehr stark auseinandersetzen.
In Berlin war Block House unser Partner, eine international erfolgreiche Steakhouse-Kette aus Hamburg. In Stuttgart war es Lufthansa. Beide haben unseres Erachtens gute Konzepte, von denen wir bei der Ansprache als Gastgeber viel lernen konnten.
Jetzt gibt es in Berlin zwei normale Geschäftsstellen, die ins moderne Outfit der neuen Commerzbank-Philosophie übertragen wurden. Was findet der Kunde unter der Motorhaube einer Flagship-Filiale (technisch oder beratungstechnisch)?
Wir setzen in der Flagship-Filiale an der Gedächtniskirche und der kleineren City-Filiale in der Uhlandstraße genau das gleiche Konzept um. Im Flagship gibt es einfach noch mehr Angebote. Aber das Grundkonzept ist das Gleiche. Wir kombinieren hier drei Dinge. Erstens haben wir ein neues und modernes Design.
Zweitens: Wir haben ein neues Betreuungskonzept. Berater bewegen sich frei in der Filiale. Es gibt keine Schreibtische mehr. Stattdessen gehen wir auf die Menschen zu, nehmen sie in Empfang und führen sie zum richtigen Ansprechpartner – am Express-Service, im Beratungsraum oder im Premiumbereich. Und der dritte Punkt ist die Verbindung von Online- und echter Welt. Hier bieten wir den Kunden vieles zum Test.
Wir haben zum Beispiel Tablets mit Bank- und Infotainmentangeboten sowie Computern mit großen Bildschirmen. Dort können Kunden allein oder mit Anleitung durch unsere Berater Onlinebanking ausprobieren. Und wir testen die Videokasse, wo wir Kunden innerhalb und außerhalb der Öffnungszeiten bei Kassengeschäften mit persönlicher Ansprache bedienen.
Die Videokasse im Flagship gibt es seit heute, in der Uhlandstraße schon ein paar Tage länger. Wird das von Kunden angenommen?
Ja, auch wenn wir nach so kurzer Zeit natürlich noch nicht sagen können, ob wir das Angebot in allen Filialen einführen werden. Sicher ist: Hier wird es angenommen. Wir sehen bereits einige Kunden jeden Tag und auch Gewerbetreibende, die mitunter mehrmals am Tag hier einzahlen und Geld wechseln.
Und wir stellen fest: Auch über Video entsteht eine persönliche Beziehung zwischen den Mitarbeitern und den Kunden.
Jetzt wollen wir nicht allen Kritikern, die den Untergang der Filiale sehen, Wasser auf die Mühlen kippen. Es gibt Filialen, da ist wenig los, die sind tot. Es gibt jedoch noch viele Filialen mit einer relativ hohen Besucherfrequenz. Wie lockt man denn einen Kunden mit einem neuen Filialkonzept in eine neue Geschäftsstelle? Die sehen ja nicht, was sich drinnen so verändert hat.
Zum Schaufensterbummeln geht niemand an einer Bank vorbei, das ist richtig. Aber viele Menschen gehen sehr wohl in eine Bank – zum Beispiel zum Geldabheben.
Und jetzt schauen Sie sich die Selbstbedienungszonen an, sie sind meist abgetrennt vom Filialinnenraum. Wir wissen aus der Marktforschung, dass zwei Drittel der Kunden, die eine Filiale betreten, ohne persönlichen Kontakt zu den Betreuern bleiben. Nur bei etwa einem Drittel kommt es zu persönlichem Service oder Beratung – und nur etwa 8% der Kunden führen ein Beratungsgespräch. Das wollen und müssen wir ändern, denn persönlicher Kontakt ist die Aufgabe der Filiale.
Deshalb haben wir unsere Pilotfilialen eröffnet. Mit dem neuen Konzept wollen wir die Zahl der Beratungsgespräche verdoppeln. Das macht die Sache ökonomisch interessant. Wenn es uns gelingt, aus den vielen vorhandenen Kontakten – durchaus auch im Selbstbedienungsbereich – eine signifikante Anzahl an zusätzlichen Beratungsgesprächen zu machen, führen wir die Diskussion über Filialen ganz anders.
Sie wollen das. Sie wissen aber nicht, ob die anderen Kunden, die hier keine Erfahrung gemacht haben, das auch wollen.
Deswegen testen wir das Konzept jetzt, denn das ist ja der Zweck eines Piloten. Wir lassen uns Zeit und setzen das Konzept eben nicht auf einen Schlag in ganz Deutschland um. Bei 1.200 Standorten geht Präzision vor Schnelligkeit.
Aber natürlich haben wir im Vorfeld über Kunden- und Marktbefragungen unsere Erkenntnisse gesammelt. Die zeigen uns, dass Kunden persönliche Ansprache und Gespräche als Mehrwert empfinden. Und genau dies gilt es zu transportieren. Der Kunde muss hier eben nicht in eine Verkaufsaktion getrieben werden, sondern in ein für ihn sinnvolles Beratungsgespräch. Auch deshalb haben wir unsere Beratung komplett verändert und den „KundenKompass“ eingeführt. Damit analysieren wir in kurzer Zeit die Finanzen des Kunden und geben individuelle Handlungsempfehlungen.
So gelingt es uns, den Kunden schnell einen konkreten Nutzen zu vermitteln. Nach inzwischen über zwei Millionen geführten Kundenkompass-Gesprächen wissen wir, dass die Zufriedenheit dadurch signifikant steigt. Und zufriedene Kunden machen nun einmal mehr Geschäft. Zudem entstehen so am Ende des Tages weitere Ansatzpunkte, an denen wir anknüpfen können.
Wir bewegen uns hier ein Stück weit in der alten Welt. In der neuen Welt experimentieren Sie ja mindestens mit einer Tochtergesellschaft auch sehr erfolgreich, der Comdirect. Da heißt es: Kontoeröffnungen online, Transaktionen online, Wertpapiergeschäfte online. Ich kann als Kunde mittlerweile sogar eine komplette Baufinanzierung online abschließen. Ist da die Filiale noch ein Konzept des 21. Jahrhunderts?
Sie werden überrascht sein: Das können die Kunden größtenteils auch heute schon bei der Commerzbank. Filialen und Online zu verbinden, ist genau unser Konzept. Es gibt kein Entweder-Oder. Wenn Sie zum Beispiel in Asien das Privatkundengeschäft ansehen, stellen Sie fest, dass es dort keine reinen Direktbanken gibt. Und auch hierzulande erwartet ein Großteil der Menschen beides: Einen perfekt funktionierenden Online-Kanal und Filialen, in denen ich ein persönliches Gespräch dann bekomme, wenn ich es möchte – und das ich auf dem gleichen Standard und auf der gleichen Datenbasis führen kann.
Deshalb entwickeln wir uns zu einer modernen Multikanalbank. Vier von sechs Kunden in Deutschland wollen genau das. Für den kleineren Teil der Kunden, die nur eine Direktbank nutzen wollen, ist und bleibt unsere Tochter Comdirect eine der besten Banken am Markt.
Unsere Wahrnehmung ist, dass dieses Konzept des Multikanalbanking (manche sprechen schon von „Omnikanalbanking“) momentan viele Banken auf der strategischen Seite noch nicht im Griff haben. Die Kanäle Filiale, Telefonbanking, Postversand, Marketing laufen im höchsten Maße aneinander vorbei. Wie wollen Sie das denn in den Griff bekommen?
Alle Kanäle so miteinander zu verbinden, dass der Kunde am Ende überall die gleichen Daten findet, ist eine technische Herausforderung. Ein Beispiel: Am Sonntagnachmittag findet der Kunde auf seinem Tablet in einem Immobilienportal eine Wohnung, googelt schnell die Konditionen, spielt dann online bei der Bank die Baufi durch, klärt Fragen am Telefon und vereinbart dann einen Termin in der Filiale, um dort alles nochmal durchzugehen: Das ist doch heute kaum noch Zukunft, da sind wir doch schon mittendrin…
…wenn die Daten auch in den jeweiligen Kanal übergehen.
Das ist die Kunst. Wir investieren deshalb bis Ende 2016 insgesamt eine Milliarde Euro in das Privatkundengeschäft. Ein signifikanter Teil davon geht in ein hoch modernes Direktbanking. Und bereits Ende 2014 werden wir in der Filialbank das Leistungsangebot einer Direktbank haben – mit all den Produkten, die Sie eben aufgezählt haben, plus der umfangreichen Filialangebote.
Der Selbstbedienungsbereich ist also nicht mehr von der Hauptfiliale getrennt. Das ist ein offener Bereich, den die Mitarbeiter einsehen können. Das ist jetzt – kritisch formuliert – das „Zuger Modell“ oder auch „Ein-Zonenkonzept“, „Bediente Selbstbedienung“. Hierfür gibt es etliche Bezeichnungen, die im Grunde genommen vor zehn, fünfzehn Jahren schon das Licht der Filialwelt erblickt haben. Auch Ihr Wettbewerber, die Deutsche Bank, hat hier in Berlin eine Vorzeigefiliale eröffnet, die aber nie nennenswert ausgerollt worden ist. Kann es passieren, dass Ihr Experiment hier gegen Ende des Jahres die einzige Flagshipfiliale sein wird?
Nein, denn wir haben auch in Stuttgart eine Flagship-Pilotfiliale eröffnet! Aber im Ernst: Ihre Beispiele zeigen doch, dass die Zukunft der Filiale die gesamte Branche bewegt. Übrigens weltweit: Wir haben uns im Vorfeld Filialkonzepte in Europa angeguckt, in Asien und Amerika. Wir haben dabei sehr viele neue und unterschiedliche Ansätze entdeckt.
Die Videokasse haben wir zum Beispiel in der Türkei gesehen, mit hohem Nutzungsgrad. Am Ende geht es um die Frage, wie Kunden ihre Bankgeschäfte praktischerweise abwickeln wollen. Und da wird der Selbstbedienungsbereich eine der am häufigsten genutzten Schnittstellen zu einer Bank bleiben. Wir testen die Wirkung unserer Veränderung jetzt erst einmal, und 2015 entscheiden wir über die weiteren Investitionen ins Filialnetz.
Wir können ja mal in zwölf Monaten ein Updategespräch führen.
Herzlich gern, denn bei uns verändert sich gerade sehr viel. Wer hätte vor drei Jahren gedacht, dass die Commerzbank 2013 die am stärksten wachsende Filialbank in Deutschland sein wird? Wir haben netto letztes Jahr 245.000 Kunden gewonnen – 2/3 davon in der Filiale. Auch deshalb glauben wir in Zeiten des Internets und des Mobilebanking an die Zukunft der Filiale.
Ist diese Erfolgsgeschichte der Neukundengewinnung der Teil, der dazu beigetragen hat, dass manche der Kritiker rund um die Commerzbank ruhiger geworden sind?
Ich glaube, es wird in der Branche wahrgenommen, dass wir uns in die richtige Richtung entwickeln. Dafür gibt es Gründe: Wir haben 2012 damit begonnen, unser Geschäftsmodell grundlegend umzubauen und haben dabei keinen Stein auf dem anderen gelassen.
Erstens haben wir Steuerung und Führung des Vertriebs verändert und massiv in die Weiterbildung der Mitarbeiter investiert. Zweitens haben wir bei der Qualität geliefert, ein Beispiel ist der „KundenKompass“. Im Ergebnis ist die Weiterempfehlungsbereitschaft um über 30 Prozentpunkte gestiegen.
Und wir haben 2013 den größten Test im Privatkundengeschäft, den „City Contest“, gewonnen. Mit immerhin 69 Städtesiegern – das war ein Sprung vom letzten auf den ersten Platz in nur einem Jahr! Das zeigt, dass unsere Maßnahmen greifen.
Drittens wachsen wir wieder – bei Kunden, Konten und Assets. Bei Baufinanzierungen haben wir unseren Neugeschäfts-Marktanteil in zwei Jahren verdoppelt! Im Ergebnis sind wir trotz Investition schneller als erwartet wieder profitabel.
Im vergangenen Jahr haben wir im Segment Privatkunden ein operatives Ergebnis von 225 Millionen Euro erzielt. Erwartet hatten wir aufgrund der Investitionen eine schwarze Null. All das verbessert natürlich auch die Stimmung – extern, aber vor allem auch intern. Das Vertrauen ist massiv gestiegen. Wenn ich heute mit Mitarbeitern spreche, merke ich, dass sie über mehr Selbstbewusstsein verfügen und einen anderen Stolz empfinden, bei der Commerzbank zu arbeiten, als dies vor drei Jahren der Fall war.
Rechnen Sie nicht mit Kritikern, die jetzt sagen: Da ist eine Bank, die mal gerettet werden musste, die investiert jetzt Millionen in Filialen. Oder dürfte das jetzt nicht passieren?
Kritiker hatten wir immer und werden wir immer haben. Ich konzentriere mich deshalb auf die Dinge, die ich beeinflussen kann. Und das ist der erfolgreiche Umbau des Privatkundengeschäfts der Commerzbank.