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“Wir müssen Regionalisierung mit einer intelligenten Kreislaufwirtschaft verbinden”

Als Genossenschaftsbank fördert die Berliner Volksbank Menschen und Unternehmen in Berlin und Brandenburg. Aktuell ist besonders der deutsche Mittelstand im Fokus, der durch die Energiekrise vor Herausforderungen steht. Im Interview spricht Vorstandsvorsitzender Carsten Jung über das Sicherstellen von Liquidität, Synergieeffekte durch natürliche Vernetzung und die Auswirkungen regionaler Produktion auf den “Logistik-Rucksack”.


Bild unten: Berliner Volksbank

BANKINGNEWS: DZ BANK und Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) haben im Herbst 2022 eine repräsentative Umfrage unter mehr als 1.000 mittelständischen Unternehmen durchgeführt. Welche Erkenntnisse lassen sich aus den Ergebnissen gewinnen? Wie fördern Sie konkret den Mittelstand in Ihrer Region?

Carsten Jung: Die Erkenntnisse der Studie sprechen eine eindeutige Sprache: Der deutsche Mittelstand kann sich den Auswirkungen der Energiekrise nicht entziehen. Die Geschäftserwartungen für die nächsten sechs Monate haben sich zum dritten Mal in Folge verschlechtert und rutschten im Herbst letzten Jahres auf ein Allzeit-Tief. Das muss uns sorgen. Wir sehen auch, dass die Krisen zuletzt in immer schnellerer Folge kamen: Coronapandemie, Lieferengpässe, Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Energiekrise sorgten auch im Mittelstand für immer größere Belastungen. Erschwerend kam hinzu, dass es dazwischen keine längeren Erholungsphasen gab. Und im Gegensatz zu den meisten vorangegangenen Krisen erfasst die Energiekrise alle Branchen und Größenklassen. Für uns bedeutet dies, noch enger an die Seite der Kunden zu rücken. Das Sicherstellen von Liquidität ist immer das A und O. Ohne funktioniert auch der regionale Wirtschaftskreislauf nicht. Je besser wir die finanzielle Situation unserer Kunden kennen, desto leichter fällt es, bereits in der Vorausschau Lücken zu erkennen und geeignete Finanzierungsmittel anzubieten. Ergänzend erweist sich das genossenschaftliche Modell hierbei als positiver Treiber. Als Volksbank gehören wir unseren Kunden, unseren Mitgliedern. Das sind derzeit rund 217.000 in Berlin und Brandenburg. Durch diese starke Vernetzung ergeben sich im Dialog Synergien, auf die rein kapitalmarktgetriebene Geschäftsmodelle kaum zugreifen können.

“Genossenschaften mit ihrem Grundgedanken der Beteiligung sind zutiefst demokratisch angelegt.”

Aufgrund von Lieferengpässen und der Abhängigkeit von anderen, mitunter totalitären Staaten werden die Rufe nach Regionalisierung lauter. Sollten deutsche Unternehmen umdenken und einige ihrer Geschäftsaktivitäten wieder nach Deutschland oder nach Europa verlegen?

Gegenfrage: Warum sollten Sie es nicht? Liegt nicht in regionaler Produktion nicht auch ein wichtiger Schlüssel des Klimaschutzes? Ich meine schon. Waren, die hier produziert und eben nicht um die Erdkugel verfrachtet werden, haben in ihrem „Logistik-Rucksack“ einen viel kleineren CO2-Fußabdruck. Zugleich reduzieren wir dadurch Abhängigkeiten durch lange Lieferketten und von nicht verlässlichen Systemen und bisher als sicher geglaubten Partnern. Beispiele gibt es reichlich, denken Sie nur an die Masken-Thematik aus der Pandemie, den Chip-Mangel aufgrund asiatischer Produktionsabhängigkeit oder den aktuellen Medikamentenmangel. Die Gas- und Energiethematik reiße ich hier gar nicht erst an. Verstehen Sie eine solche Rückbesinnung aber nicht als bloßen Rückschritt durch De-Globalisierung. Wir müssen vielmehr Regionalisierung mit einer intelligenten Kreislaufwirtschaft verbinden. Und das in ganz vielen Bereichen unseres Lebens. Hinzu kommen massive Investitionserfordernisse in emissionsfreie Energieträger. Positiv gesehen, ist das eine große Aufgabe, die für Deutschland und jede Region erhebliches Potential auf dem Weg zur Klimaneutralität bietet. Also – mein Fazit: Ausbau der Erneuerbaren Energien, konsequente Kreislaufwirtschaft, gepaart mit einer strategischen Regionalisierung, das ist der neue Weg, den wir gehen müssen.

Mit 772 Instituten und 8.074 Bankstellen bilden die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken eines der dichtesten Bankservicenetze Europas. Worin sehen Sie hier die größten Vorteile? Und gibt es auch Nachteile?

Eine hohe Dichte ist das Synonym für Nähe. Wir kennen unsere Wirtschaftsräume. Wir kennen unsere Kunden, Mitglieder und Partner. Das sichert eine „natürliche Verbundenheit“, die in einem schwierigen Umfeld hilfreich ist. Das Agieren im Verbund schont auch Ressourcen und verleiht uns zugleich Stärke bei gemeinschaftlichen Projekten oder dem Zugang zu knappen Ressourcen, die man Stand-Alone und ohne Skalierung nur schwer realisieren kann. Diese privilegierten Marktzugänge geben wir an unsere Mitglieder weiter. Auch das ist ein klarer Vorteil von Genossenschaften. Zugleich sind Genossenschaften mit ihrem Grundgedanken der Beteiligung in ihrem Wesen zutiefst demokratisch angelegt. Das kostet manchmal auch mehr Zeit, als uns lieb sein kann – meist dann, wenn wir im Verbund Großprojekte noch vorne treiben. Hier sollten wir Acht geben und insbesondere darauf fokussiert sein, unsere Transformationsfähigkeit zu bewahren.

“Allfinanz funktioniert im genossenschaftlichen Sektor vielleicht sogar noch am besten.”

Volks- und Raiffeisenbanken sind gemäß ihrer Gründungsidee Allfinanzinstitute. Warum halten die Genossenschaftsbanken bis heute an diesem Gedanken fest? Und was bedeutet das für die Berliner Volksbank?

Der Gedanke ist bei uns ja nicht statisch angelegt, sondern entwickelt sich im Verbund laufend weiter. Wir denken Allfinanz sozusagen immer wieder neu. Ich nenne Ihnen dafür konkrete Belege: Bei der Berliner Volksbank öffnen wir uns externen Partnern, sowohl im Kreditgeschäft als auch bei der Vermögensanlage, wir nutzen Plattformgeschäft mit transparenten Marktvergleichen und einem konsequenten Best-in-Class Ansatz. Wir setzen auf „Best-Sourcing“, wenn es um die Auswahl neuer Partner und Leistungen geht. Allfinanz funktioniert im genossenschaftlichen Sektor vielleicht sogar noch am besten – weil der Verbund in seiner Vielfalt ja darauf ausgelegt ist, passende Lösungen für viele Themen bereitzustellen.

2005 hat die Berliner Volksbank als erste deutsche Volksbank die Grundsätze des Corporate Governance Kodex (DGRV-Kodex) für Genossenschaften umgesetzt. Dieser sieht neben anderen auch den Schwerpunkt Transparenz vor. Welchen Stellenwert hat dieses Thema in der aktuellen Zeit?

Ganz klar einen hohen Stellenwert. Und dieser nimmt aus meiner Sicht noch weiter zu. Auch im Hinblick auf die ESG-Kriterien. Warum? Transparenz schützt. Etwa vor Ressourcenverschwendung, Misswirtschaft oder gar bewussten Missbrauch. Transparenz schützt nicht nur Kapitalgeber, Kunden und Mitarbeiter, sondern auch Unternehmen selbst. Sie haben mit mir einen klaren Verfechter des DGRV-Kodex und wenn ich mich entscheiden muss, dann immer für eine transparente Lösung.

Interview: Thorsten Hahn und Laura Kracht

Das komplette Interview mit Carsten Jung lesen Sie in der BANKINGNEWS-Ausgabe Nr. 294.