Prozessmanagement: „Unternehmen brauchen die richtige Kultur“

Der Name comdirect steht für Innovation. Das Unternehmen betreibt eine Startup-Garage für Gründer im Finanzbereich, kooperiert mit FinTechs bei der Entwicklung einer Foto-App für IBAN-Überweisungen und möchte im gleichnamigen Blog die Bank neu denken. Auch intern ist die Direktbank innovativ und setzt auf eine prozessorientierte Wissensfabrik für die operativen Einheiten. Wie genau das in der…


BANKINGNEWS: Frau Strecker, was zeichnet eine erfolgreiche Bank-Organisation aus?

Reni Strecker: Wir machen sehr gute Erfahrungen mit einem prozessorientiert aufgebauten Unternehmenshandbuch. Jeder Mitarbeiter kann im Intranet auf die Schriftlich fixierte Ordnung (SfO) zugreifen und sich über alle gültigen Anweisungen informieren. Das ermöglicht den Fachbereichen, sich selbst zu organisieren und Prozessänderungen aktiv mit allen Beteiligten abzustimmen.

Sie haben keine zentrale Steuerungseinheit dafür?

Eine eigenständige Abteilung Bank-Organisation gibt es bei uns tatsächlich nicht. Unsere Aufgabe besteht darin, das methodische Know-how im Unternehmen zu verankern und Kollegen aus den Fachbereichen gezielt zu schulen. Unternehmensweit verfügen wir inzwischen über 80-100 aktive Prozessmodellierer. Unser Grundsatz lautet: Zentrale Methodik, dezentrale Verantwortung. Die Kernfunktion meiner Abteilung besteht im Dokumentationsmanagement.

Wie gehen funktionale Aufbauorganisation und prozessorientierte Abläufe zusammen?

Entscheidend sind eine prozessorientierte Kultur im Unternehmen und eine aktive Kommunikation der sich ergebenen Vorteile. Dazu gehört vor allem Transparenz: Der prozessorientierte SfO-Aufbau legt sämtliche Schnittstellen offen. Das versetzt die Fachbereiche in die Lage, erforderliche Abstimmungsbedarfe selbst zu ermitteln. Sind die Prozesse fertigmodelliert und von den Prozesseigentümern fachlich geprüft, erfolgt die Veröffentlichung.

Bitte geben Sie uns doch mal ein praktisches Beispiel.

Stellen Sie sich die Einführung eines neuen Produkts vor. Ein Prozessmodellierer des federführenden Fachbereichs identifiziert die Schnittstellen zu anderen Bereichen, holt erforderliche Informationen ein und erstellt den Prozess. Anschließend folgt die technische Prüfung. Das umfasst die Freigabe der fachlich verantwortlichen Prozesseigentümer und eine zusätzliche Qualitätssicherung, bei der wir Kontrolltester, Interne Revision und auch das Risikomanagement einbeziehen.

Das Risikomanagement ist bei jeder Prozessentwicklung eingebunden?

Ja, das ist notwendig, da zum prozessualen Verständnis auch die Einsicht gehört, dass Prozessversagen mit einem operativen Schaden verbunden sein kann. Entsprechend bewerten wir die Risiken von Einzelprozessen, um zu einer Gesamtaussage kommen zu können. Dieses Vorgehen erleichtert uns auch den Umgang mit der aufsichtsrechtlich geforderten Plausibilisierung über die Wirksamkeit von internen Kontrollen.

„Ein modernes, vollelektronisches Anweisungswesen“

Wann haben Sie auf das prozessorientierte Organisationshandbuch umgestellt?

Das war ein zweistufiger Vorgang. 2005 haben wir Adonis eingeführt und zunächst das gesamte Anweisungswesen in einer zentralen Bibliothek konsolidiert. Wenn Sie so wollen, war das der Übergang von Excel-Tabellen und Word-Dokumenten zu einem modernen, vollelektronischen Anweisungswesen. Die Entscheidung brachte das Jahr 2009, als der Gesetzgeber das Bilanzrecht modernisiert hat. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass wir in der Lage sein müssen, jederzeit mögliche Auswirkungen regulatorischer Maßnahmen in unserer Prozesslandschaft zu wiegen und zu messen.

Bei einem Institut Ihrer Größe sicher keine leichte Aufgabe.

Insgesamt haben wir bislang rund 1.500 Prozesse in die heutige Form gebracht und mit Adonis nach- oder neumodelliert. Damit haben wir den methodischen Kulturwandel angestoßen und mit der Unterstützung des Managements diesen zu einem unternehmensweiten Prozessverständnis ausgebaut.

„Der Vorteil: aktive Vernetzung“

Hat das reibungslos geklappt?

Wie bei allen Veränderungsprozessen zahlt sich aus, allen Beteiligten den konkreten Mehrwert für das Unternehmen und die Fachbereiche zu erläutern. Der Nutzen in diesem Fall: aktive Vernetzung. Prozesse, IT und Fachbereiche sind inzwischen so eng miteinander verwoben, dass ein bereichsübergreifender Blick auf die Dinge unumgänglich ist. Denken Sie allein an das „Channel-Hopping“, bevor Kunden ein Bankprodukt tatsächlich erwerben. Kontaktkanäle unterscheiden sich etwa bei Komplexität und technisch erforderlicher Unterstützung. Das Denken in Prozessen und eine SfO-Software, die diese Zusammenhänge grafisch darstellt, erleichtert den Kollegen, sich im Unternehmen zu vernetzen, schnell die richtigen Ansprechpartner zu finden und so Veränderungen zielgerichtet anzutreiben.
Nutzen Sie auch analytische Funktionen von Adonis?

Natürlich nutzen wir die gewonnenen Erkenntnisse für Analysen und das Aufspüren von Optimierungspotenzialen. Die grafische Darstellung von Abhängigkeiten und Prozessfolgen erlaubt dabei eine besonders einfache Strategie: Abkürzungen finden und Umwege vermeiden. Wir leben einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und motivieren die Fachbereiche, sich daran zu beteiligen, falls dort Optimierungsmöglichkeiten ins Auge springen.

Unterstützen Sie die Kollegen auch beim Ausformulieren der Anweisungen?

Selbstverständlich unterstützen wir die Kollegen, auch wenn es sich vornehmlich um Linienaufgaben handelt, Richtliniendokumente zu erstellen und Anweisungen zu verfassen. Dafür zeichnen Prozesseigentümer verantwortlich, die auch für die fachliche Korrektheit der Abläufe geradestehen. Kundennahe Prozesse erfordern beispielsweise eine andere Detailtiefe als weniger standardisierte Vorgehensweisen. Nach unserer Erfahrung kann die Bewertung über das erforderliche Maß nur aus den Fachbereichen selbst stammen.

Gibt es so etwas wie Mindestanforderungen an das Anweisungswesen?

Unsere Idealvorstellung geht davon aus, dass fachkundige Kollegen mit Hilfe der SfO die Aufgaben an ihrem Arbeitsplatz erfüllen können. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Das ist ein Qualitätsanspruch und kein Handlungsersatz. Neue Kollegen werden nicht mit einem Link zum Portal alleingelassen, sondern bekommen eine persönliche Einarbeitung im Team.

Wie gewährleisten Sie eigentlich die Prozessaktualität ohne zentrale Kontrolle?

Jeder Prozess durchläuft nach 18 Monaten eine Aktualisierung. Prozessverantwortliche bekommen die zur Überprüfung anstehenden Prozesse automatisch vorgelegt. So halten wir die SfO auf dem Laufenden, ohne in die Prozesshoheit der Fachabteilungen hineinzuregieren.

Eine aktuelle Studie zeigt, dass Bank-Organisatoren immer häufiger auch ins Projektmanagement einsteigen. Machen Sie das auch?

Unsere Projektleiter stammen entweder aus den Fachabteilungen selbst oder aus der Consulting-Einheit. Unterstützt werden sie je nach Anforderungen von Kollegen aus unterschiedlichen Fachbereichen. Wir kommen ins Spiel, sobald neue Prozesse als Ergebnis eines Projekts feststehen und in die SfO aufgenommen werden sollen.

Die von Procedera Consult und Steinbeis-Hochschule Berlin vorgelegte Studie über „Aufgaben und Wandel von Organisationsabteilungen“ fasst die Ergebnisse von Interviews mit Entscheidern in Regionalbanken zusammen. Nur eins der 30 befragten Institute verzichtet auf eine eigenständige Bank-Organisation. Das Modell der Comdirect eines zentralen Dokumentationsmanagements und Prozessverantwortlichkeit ausschließlich in den Fachbereichen findet sich bei keiner dieser Banken wieder. Die Studie kostenfrei anfordern: office@procedera.de

Reni Strecker ist seit 2015 Prozessdokumentationsmanagerin bei comdirect und treibt vor allem die Themen Methodik und Software voran. Die gelernte Bürokauffrau gewährleistet zusammen mit ihrem Team die einheitliche Modellierung und Pflege von Prozessen innerhalb der Bank und fungiert als Ansprechpartnerin für die Prozessmanagement-Software Adonis.
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