Schnellboote statt Flugzeugträger

Der Druck steigt. Und das in vielerlei Hinsicht. Kostendruck, Innovationsdruck, Fusionsdruck. In unserer letzten Ausgabe stellten wir die Frage, ob die Sparkassen sich dem Fusionstrend in der Branche auf lange Sicht noch entziehen können. Frank Berg, Vorstandsvorsitzender der OstseeSparkasse Rostock, sieht in diesem Trend genau den falschen Weg.  Die Sparkassen sollten sich seiner Meinung nach…


Seit 1994 sitzt Frank Berg bei der OstseeSparkasse Rostock im Vorstand, dessen Vorsitz er 2003 übernahm. Zuvor war er Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Bützow. Bereits seine Ausbildung absolvierte er zwischen 1981 und 1984 in der Sparkasse Glückstadt.

BANKINGNEWS: Kürzlich durfte ich einem von Ihnen gehaltenen Vortrag beiwohnen, der den Titel „Die Filiale lebt“ trug. Um im Bild zu bleiben: Ist der Zustand des „Patienten Filiale“ kritisch oder stabil?

Frank Berg: Den bildlichen Vergleich finde ich gut, da ich glaube, dass die Filiale tatsächlich ein Patient ist. Als Sparkasse sind wir eine Präsenzbank. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass wir versuchen, mit unseren Assets sorgsam umzugehen und geschäftlichen Erfolg zu generieren. Wir müssen die Filiale für den Kunden nach wie vor so attraktiv wie möglich halten – optisch, von der Leistungsfähigkeit, von den Kompetenzen, von der Qualität der Mitarbeiter und von den Zugangsmöglichkeiten. Der Patient ist in einem Zustand zwischen kritisch und stabil, bei uns eher in einem Bereich der Stabilisierung, da wir ganz viel dafür tun. Ob das am Ende reicht, um langfristig das Überleben der Filiale zu sichern, kann ich nicht sagen. Die Dinge passieren nicht, sie werden gemacht. Daher versuchen wir, die Grundvoraussetzung dafür zu schaffen, dass die Filiale eine gute Chance hat, langfristig Nutzen für den Kunden zu stiften und somit zu überleben.

„Einen Zusatznutzen für den Kunden stiften“

Banken haben in den letzten jahren wenig für die Beratungsqualität getan. Wenn die Filiale überleben kann, dann doch mit guter, kompetenter Beratung.

Das Spannungsfeld besteht darin, zunächst optisch und durch das Image den Eindruck zu vermitteln, dass Kompetenz vorhanden ist, damit die Menschen zu uns kommen. Anschließend müssen wir den Beweis antreten, dass das auch wahr ist. Das löse ich nicht mit dem iPad oder einer schicken Möblierung. Das löse ich damit, dass unser Mitarbeiter in der Lage ist, in einer sehr transparenten Welt Zusatznutzen für den Kunden zu stiften. Deswegen haben wir Kompetenzfelder strukturiert, in denen sich für den Kunden ein wahrnehmbarer Nutzen erzielen lässt. Ein Beispiel: Um 1:34 Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag hat ein Kunde bei uns einen Sparkassenbrief über 12.000 Euro gekauft. Dafür hat er drei Sparbriefe miteinander verglichen und wir hatten den mit dem höchsten Zinssatz. Wenn wir uns seine Anlagestruktur anschauen, ist es jedoch die falsche Entscheidung, sich überhaupt mit dem Sparkassenbrief zu beschäftigen. Genau an dieser Stelle haben wir die Expertise und können behilflich sein. In diesem Spannungsfeld befinden wir uns: Einerseits den Ort attraktiv zu machen, um dann den Nachweis antreten zu können, dass wir einen Zusatznutzen stiften und extrem kompetent sind. Wir bilden bereits extrem gut aus und müssen daran arbeiten, dass die Qualität vom Kunden wahrgenommen wird.

Geht der Kunde in zehn Jahren immer noch zur Beratung in eine Filiale?

Wenn es nach mir geht, ja. Wir werden alles dafür tun, dass es so ist. Allerdings würde ich es nicht ganz so dogmatisch handhaben. Wir haben 40 Filialen bei 400.000 Einwohnern. Das ist eine gute Quote. Wenn wir es schaffen, das Spannungsfeld Digitalisierung, Präsenz vor Ort und menschliche Kompetenz einigermaßen in den Griff zu bekommen, hat die Filiale auch langfristig ihren Nutzen. Wir haben an Frequenzstandorten zwei neue Filialen mit extrem langen Öffnungszeiten von 61 Stunden gebaut. Von montagsmorgens um neun bis samstagsabends um acht sind wir dort bis auf die nächtlichen Stunden mit vier Mitarbeitern vertreten. Die Kunden mit langen Arbeitszeiten gehen davon aus, dass sie uns vor Ort nicht erreichen können. Wenn sie dann von den genannten Öffnungszeiten erfahren, kommen 60 Prozent der Kunden, die sich im Internet über ein Produkt informiert haben, schließlich doch in die Filiale. So schaffen wir es, den Internetkunden im Anschluss in eine vernünftige Betreuung zu bekommen.

„Banking braucht ein Gesicht“

Schaffen wir es, dem Kunden auch in Zukunft zu signalisieren, dass er zwar alles online abschließen kann, es aber trotzdem noch Sinn macht, von einem Experten begleitet zu werden?

Ja. Ich habe zwei Töchter aus den sogenannten Generationen Y und Z, die extrem vernetzt sind. Für Zahlungsverkehr brauchen die keinen Menschen. Aber was haben sie für eine Ahnung von Berufsunfähigkeit und, ob man das versichern sollte. Banking braucht ein Gesicht. Bei 23-Jährigen macht Mutti oft noch die Bankgeschäfte. Es ist also nicht so eindeutig, wie es immer scheint. Die nächsten zehn Jahre können mich eines Besseren belehren. Wir werden sehr stark daran arbeiten, dass das Bankgeschäft als solches keine Repräsentanz braucht, sondern dass Probleme, die der Kunde lösen möchte, einen Berater brauchen – und zwar einen guten.

Wie sehen Ihre langfristigen Strategien aus, um die Kunden weiterhin an Ihre Geschäftsstellen und den Berater zu binden?

Wir haben unser Filialnetz nie so aufgepumpt, dass wir heute aus Kostengründen zurückfahren müssten. Der Kunde muss sich an den Mitarbeiter gebunden fühlen. Wir brauchen sicherlich Onlineberater und mobile Berater, die in der Lage sind, sich mit dem Kunden zum Erstgespräch im Café zu treffen. Die Berater müssen auf Augenhöhe agieren, intelligent und pfiffig sein, müssen Kontakte knüpfen und im Gespräch den Eindruck vermitteln, einen zusätzlichen Nutzen stiften zu können. Und dies dann auch tatsächlich tun. Wir tätigen keine Investitionen, die uns im Einzelfall das Genick brechen können. Wir können hier Konzepte schreiben wie verrückt. Am Ende brauchen wir gute Mitarbeiter, die bereits und in der Lage sind, vernünftig zu telefonieren, die zu den Kunden fahren und flexibel sind. Wir haben 40 Hauptquartiere für unsere Berater und Kunden. Wenn der Kunde eine Filiale haben möchte, gestalten wir sie so, dass es ihm keine Gänsehaut bereitet, dort hineingehen zu müssen. Darüber hinaus müssen wir in allen Bereichen mit allen Medien unterwegs sein, um den Kunden in der Kontaktung an seinem Nerv zu treffen.

„Kunden möchten nicht, dass ich ihren Kamin sehe“

Was halten Sie in dem Zusammenhang von Videoberatung?

Wenn wir auf diesen modernen Zug aufspringen, müssen wir alles vorhalten. Nichts von alledem wird uns retten. Aber wenn der Kunde es will, sollte es in der digitalen Welt kein Problem sein, dass dem kompetenten Mitarbeiter in der Kundenberatung eine noch kompetentere Spezialistenunterstützung zugeschaltet wird. Das sehe ich als Selbstverständlichkeit an. Davon mache ich aber keine Teile meines Unternehmens abhängig. In Werbefilmen sieht das immer ganz kuschelig aus: Das Paar sitzt auf der Couch, im Hintergrund flackert der Kamin und auf der anderen Seite sitzt der Berater. Das findet doch im richtigen Leben so nie statt. Der Kunde möchte doch gar nicht, dass ich sehe, ob im Hintergrund ein Kamin flackert oder nicht. Die meisten möchten sich in eine spartanische Ecke setzen, damit ich als Banker gar nicht erkenne, wie es bei ihnen zu Hause aussieht. Dennoch glaube ich, dass man alles anbieten muss, was der Kunde möglicherweise möchte.

„Wir haben keinen Fusionsdruck“

Der Kostendruck in der Branche besteht seit Jahrzehnten. Das hat zu einem erhöhten Fusionsdruck geführt. Wird es auf lange Sicht überhaupt eine Alternative zu Fusionen geben?

Ein Regionalinstitut wie eine Sparkasse sollte sich mit allen Aspekten beschäftigen, die eine Bündelung nach sich ziehen und Druck vom Markt nehmen. Ich halte nichts davon, Sparkassen so groß zu machen, dass der Vorstand nicht mehr innerhalb von zwei Tagen in jede Filiale kommt. Dann geht uns einiges verloren. Wir sind ja die Schnellboote. Es ist nicht gut, wenn das Wendemanöver eines Flugzeugträgers schneller geht als bei einem Schnellboot. Das ist der Unterschied. Solange wir im Wettbewerb mit anderen Präsenzbanken stehen, müssen wir einfach schneller sein. Es ist ausschlaggebend, dass die Entscheidung in Rostock in ein paar Minuten getroffen werden kann, während Frankfurt oder Berlin Tage brauchen. Eine Fusion konterkariert das, was nach vorne eigentlich daraus werden soll. Meine Oma hat immer gesagt: „Spare wenn es dir gut geht, dann hast du in der Not.“ Leider machen es immer alle andersherum. Wir tun das nicht und haben deswegen auch keinen Fusionsdruck. Ich bin dafür, das Authentische der Sparkasse vorne zu lassen und hinten zu bündeln. Fusionen unter Druck werden sich nicht komplett vermeiden lassen. Wenn wir in Rostock über Fusionen nachdenken, müssen wir uns fragen, ob wir dann noch so marktfähig sind, wie es eine Sparkasse sein sollte oder ob wir dann ganz schnell in zu große Beteiligungskonglomerate gehen. Wir schauen uns rechts und links um, würden aber nie aktiv eine Fusion betreiben, weil wir für uns aktuell keine Veranlassung dazu sehen.

„Die Regulation wird gnadenlos überzogen“

Im Bankenlager wehren sich viele gegen Regulatorik, da sie der Meinung sind, dass dies letztlich zu Nachteilen für die Kunden führt. Teilen Sie diese Ansicht?

Ehrlich gesagt ja. Man muss unterscheiden zwischen Regulatorik zum Verbraucherschutz und zur Risikoeindämmung. Im zweiten Fall wird gnadenlos überzogen. Es gibt den Grundsatz der Proportionalität. Wir haben genau den gleichen Markt wie die Deutsche Bank, die 40 Billionen Credit Default Swaps in der Bilanz hat, und wir keinen. Damit müssen wir leben. Beim Verbraucherschutz spricht häufig der Verbraucherschützer und nicht der Verbraucher. Kunden fragen mich: „Wieso musst du in meiner Gegenwart 40 Seiten zum Privatkredit ausdrucken, die ich sowieso nicht lese?“ Viele Dinge sollte man einfach mit gesundem Menschenverstand regeln. Die Problemwelt entsteht doch nicht in seriösen Banken, sondern in Bereichen, die weniger reglementiert sind als wir. Ich habe nie verstanden, warum wir ein umfangreiches Beratungsprotokoll im Rahmen eines Anlageberatungsprozesses machen, die Aufklärung im Kreditgeschäft dem aber weit hinterherläuft. Das eine Risiko ist oftmals viel größer als das andere. Manche Dinge kommen aus Europa zu uns mit Lösungen, für die wir gar kein Problem haben.

„Ich habe keine Vertriebsziele“

Sie haben gesagt, dass Sie eine Erfolgsstrategie einer Kostenstrategie vorziehen. Außerdem haben Sie Vertriebsziele abgeschafft. Jetzt wird jeder, der Zieltaxonomie lehrt, heftig mit dem Kopf schütteln. Wie kann man denn Vertriebsziele abschaffen und gleichzeitig im Ertrag um 30 Prozent steigen?

Eine Sparkasse sollte sich dadurch auszeichnen, dass sie eine direkte Führung vor Ort realisiert. Die durchschnittliche Filiale bei uns hat fünf Mitarbeiter. Was in der Welt sollte dafür sorgen, dass ein Filialleiter sich mit diesen fünf Leuten nicht zusammensetzt und sagt: „Lasst uns ordentlich Gas geben!“ Was sollte dafür sorgen, dass der Filialleiter nicht weiß, was seine Mitarbeiter den ganzen Tag so gemacht haben? Wenn man einen generellen Anspruch vermitteln kann, braucht man keine Einzelziele. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir Schnellboote bleiben und keine Flugzeugträger werden. Ich setze darauf, dass Führungskräfte und Teams sich in die Auge schauen und sagen: „Genau deswegen sind wir doch hier. Lasst uns Ergebnisse produzieren, dann werden wir auch gefeiert und der Kunde fühlt sich toll.“ Ich habe zwar tatsächlich keine Vertriebsziele, aber jeder weiß, dass er hohe Aktivitäten an den Tag legen und daraus etwas machen muss. Ich prämiere einmal im Jahr die besten Berater, aber nicht die mit den höchsten Abschlüssen, sondern die aus meiner Sicht erfolgreichsten. Das kann sich sowohl in einer rasanten Entwicklung als auch in einer über Jahre konstant guten Qualität ausdrücken.

„Controlling, Motivation oder ein Tritt in den Hintern“

Sie haben auch gesagt, dass Sie in der Sparkasse für einiges, was Sie „controllen“, immer noch das Risiko suchen. Hat das Controlling die Unternehmen mittlerweile im „Zangengriff“?

In einem Großunternehmen oder einer Sparkasse mit 3000 Mitarbeitern mag das Sinn machen. Aber in einer Sparkasse wie der unseren mit 600-700 Mitarbeitern sollte jeder mit Steuerungsaufgabe wissen, was gehauen und gestochen ist. Natürlich haben wir Controlling. Ich kenne jede Zahl, ich brauche sie aber eigentlich gar nicht. Es hilft mir nicht, wenn ich mich akademisch tot controlle und mir vorne diejenigen fehlen, die daraus eine Steuerungsrelevanz ableiten können. Die Frage ist: Wie kann ich den einzelnen Menschen nach vorne bringen? Manchmal mit einem Controllingbericht, manchmal mit viel Motivation, manchmal mit einem Tritt in den Hintern.

Die Sparkassen haben mit leichter Verspätung das Bezahlverfahren paydirekt eingeführt. Wie sieht Ihre bisherige Bilanz zur internen Umsetzung und der Akzeptanz der Kunden aus?

Wir bearbeiten momentan unsere Konten dahingehend. Die Akzeptanz bei den Privatkunden wird extern entschieden, und zwar darüber, ob sie bei vielen Unternehmen damit bezahlen können. Obwohl wir etwas spät dran sind, ist das System ja nicht schlechter als andere. Und bei den Prozessen im Hintergrund, etwa der Regulierung von Problemen, können wir auch noch einiges besser machen als etwa PayPal. Wir versuchen Seriosität und Sicherheit mit Schlagkraft und Flexibilität in Verbindung zu bringen und unsere Kunden dafür zu gewinnen.

Gehen Sie auch auf Ihre Firmenkunden zu? Das hat die paydirekt GmbH ja in die Verantwortung der Banken übergeben.

Es geht ja vor allem um die großen Onlinehändler. Wir haben hier vielleicht drei bis vier, die überhaupt in Frage kommen. Mit den anderen spricht der Verband. Aber daran hängt es natürlich. Wir müssen es schaffen, unsere Privatkunden dafür zu begeistern.

„Ein entspannter Blick auf das ZKG“

Im Februar hat der Bundestag das Zahlungskontengesetz verabschiedet. Gab es da einen Aufschrei in Ihrer Compliance-Abteilung?

Viele Dinge, die darin zur Flüchtlingsthematik enthalten sind, sind bei uns schon geübte Praxis. Wir gucken uns das ganz entspannt an. An der ein oder anderen Stelle schauen wir nach gesundem Menschenverstand auch etwas genauer hin. Wir müssen schauen, ob andere gesetzliche Regelungen davon tangiert werden. Auch das Basiskonto bieten wir bereits an. Bei uns gab es keinen Aufschrei.

Seit 1994 sitzt Frank Berg bei der OstseeSparkasse Rostock im Vorstand, dessen Vorsitz er 2003 übernahm. Zuvor war er Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Bützow. Bereits seine Ausbildung absolvierte er zwischen 1981 und 1984 in der Sparkasse Glückstadt.