Wenn Männer krank sind

Soeben rief mich ein Kollege an. Er käme heute nicht ins Büro, er sei krank. Jaja, könnte man jetzt denken, da versucht sich einer zu drücken, wahrscheinlich hat er gestern Abend das Dschungelcamp verpasst und will sich heute Vormittag die Wiederholung reinziehen. Aber diese Vermutung greift vollkommen ins Leere. Der Kollege sprach von 39 Grad…


Soeben rief mich ein Kollege an. Er käme heute nicht ins Büro, er sei krank. Jaja, könnte man jetzt denken, da versucht sich einer zu drücken, wahrscheinlich hat er gestern Abend das Dschungelcamp verpasst und will sich heute Vormittag die Wiederholung reinziehen. Aber diese Vermutung greift vollkommen ins Leere. Der Kollege sprach von 39 Grad Fieber, und wenn ich seine Stimme als Gradmesser heranziehe, war das noch weit untertrieben. Ich höre jetzt schon die weiblichen Leserinnen unter Ihnen protestieren: Was ist der denn für eine Pussi, der soll sich mal nicht so haben. Ganz recht, meine Damen, Sie haben gut lachen. Aber es ist nun mal so: Wenn Männer krank sind, dann tut uns dass mehr weh als wenn Frauen krank sind. Und da diese Aussage eine gewisse Doppeldeutigkeit in sich trägt, hier noch mal Klartext: Männer leiden bei Krankheit mehr als Frauen. Das haben wir ja schon immer gewusst, aber jetzt ist es auch wissenschaftlich erwiesen. Das liegt irgendwie an unserem luschigen Immunsystem, aber in Wirklichkeit brauchen wir dafür keine hochgeistige Begründung. Eine Einschränkung muss ich dennoch hinzufügen: Die Wissenschaftler, welche jenen Beweis erbracht haben, führten ihre Experimente nicht an Menschen durch, sondern an Mäusen…

All das führt mich zu der Überzeugung, dass der amerikanische Markt weiblich und der europäische Markt männlich sein muss. Die Finanzmarktkrise in den USA verlief kurz und heftig, jene in Europa langatmig und dauerschmerzhaft. Aber: Der europäische Patient befindet sich auf dem Weg der Besserung, mindestens aber tut er so, da beißt die Maus keinen Faden ab. Wir befinden uns jetzt am Ende der dritten Handelswoche im Jahr 2012, und der Rückfall in die große europäische Finanzmarktgrippe lässt weiter auf sich warten. Sicher, ich spreche hier nicht von 37 Grad und alles sei in Butter, aber die Symptome der Krankheit klingen nach und nach ab, nicht zuletzt aufgrund einer umfangreichen Medikation.

Gestern zum Beispiel wurde dem Markt eine Dosis IWF Ratiopharm 500 versprochen. Der Internationale Währungsfonds wolle, so hieß es in übereinstimmenden Agenturmeldungen, seine Ausleihkapazitäten um 500 Milliarden US-Dollar ausweiten, unter anderem, um gewappnet zu sein, sollte Herr Finanzmarkt aus Europa einen schweren Rückfall erleiden. Das hört sich zunächst mal schön an. Ich würde meine Kasse auch gerne mit 500 Mille auffrischen, um gegen unerwartete Kaufräusche gesunder weiblicher Familienmitglieder oder ähnliche Fährnisse gewappnet zu sein. Zunächst mal aber hat der IWF lediglich gesagt, dass er mehr Kapazitäten haben will. Ob die Mitglieder des IWF das auch wollen und ob diese bereit sind, die entsprechenden Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ein gewisser Placeboeffekt stellte sich jedoch unmittelbar ein, indem der kranke Mann Europa in Antizipation der Medikation gleich einmal in seiner Genesung etwas voranschritt.

Während Herr Europa also so ganz allmählich vor sich hingesundet, wird im Schwesternzimmer immer noch eifrig diskutiert, ob man dem Patienten die Hälfte seiner griechischen Blutkörperchen abnehmen solle oder nicht. In der Frage einer Beteiligung der Banken an der griechischen Umschuldung wird uns aus der Gerüchteküche mittlerweile fast im Stundenrhythmus eine „baldige Entscheidung“ versprochen. Zuverlässige Aussagen hierzu sind jedoch rar gesät. Noch immer schwingt bei dem Thema etwas Angst mit, immerhin handelt es sich bei dem Vorhaben um die erste vergleichbare Operation an einem lebenden (und offensichtlich allmählich gesundenden) Patienten. Vielleicht sollte man das Experiment zuvor einfach mal an Mäusen ausprobieren…

Heutige Medikation: 4,5 Mrd. spanische Anleihen mit Laufzeiten zwischen fünf und zehn Jahren.

Foto von David Stuart – www.istockphoto.de