„Wir denken bei Kunden nicht in Plattitüden und Stereotypen“

Joachim Gorny, Vorstand von Merck Finck Privatbankiers, sieht in der Kombination aus persönlichem Kontakt und Digitalisierung das Erfolgsgeheimnis im Umgang mit den vermögenden Privatkunden des Bankhauses. Interview: Thorsten Hahn


Joachim Gorny ist Vorstand der Merck Finck Privatbankiers AG und in dieser Funktion verantwortlich für die Bereiche Finanzen und Risikomanagement sowie die Backoffices, die ICT und das Facility Management. Vor seiner Zeit bei dem Münchner Bankhaus sammelte er Erfahrungen bei der Sparkasse KölnBonn, der IKB, Unisys Information Services und der Deutschen Bank. Der gelernte Bankkaufmann absolvierte außerdem ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bochum und Duisburg. Merck Finck ist seit 1999 Teil der Bankengruppe KBL European Private Bankers, welche wiederum seit dem Jahr 2012 zu Precision Capital gehört, einer Holding katarischer Privatinvestoren.

BANKINGNEWS: Als Tochter der luxemburgischen KBL European Private Bankers, zu der unter anderem Banken in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und UK gehören, haben Sie die Wahlen in Frankreich sicherlich mit großer Spannung verfolgt. Sind Sie erleichtert über den Sieg Emmanuel Macrons?

Joachim Gorny: Ich denke, dass man Erleichterung in einem Großteil Europas finden kann und natürlich auch in unserer Gruppe. Es ist zwar das erwartete Ergebnis, aber man merkt es an den Reaktionen der Märkte, die uns positiv stimmen. Ich selbst und unsere ganze Gruppe sind überzeugt: Es ist ein gutes Zeichen für Europa.

Das für die europäischen Finanzmärkte mögliche Bedrohungsszenario mit Wahlsiegen von Geert Wilders und Marine Le Pen ist zwar nicht eingetreten. Aber wie haben Sie sich auf diesen Worst Case vorbereitet?

Diese Szenarien wurden im Vorfeld ja schon sehr breit diskutiert. Es hätte selbstverständlich die Gefahr bestanden, dass der Euro und die europäischen Märkte gehörig unter Druck geraten. Nach dem Brexit haben wir in unserem gruppenweiten Guide-Prozess Asset Allocation Committee die verschiedensten Szenarien durchgespielt und diskutiert. Glücklicherweise hat sich in den letzten Wochen eine Entspannung abgezeichnet und wir mussten die Maßnahmen nicht verfolgen. Aber natürlich beschäftigen wir uns mit dem Was-wäre-wenn.

Know-how-Sharing innerhalb der Gruppe

Anfang 2016 wurde aus der Merck Finck oHG eine Aktiengesellschaft. Ging diese Entscheidung direkt von Ihnen oder von Ihrem Mutterkonzern aus? Und was waren die Gründe?

Das war eine gemeinschaftliche Entscheidung. Zum einen konnten wir in den letzten Jahren beobachten, dass die nationale und internationale Regulation immer stärker die Trennung von Exekutive und Legislative beziehungsweise der Überwachungsfunktion fordert. Das ist in der Rechtsform der oHG im engeren Sinne nicht gegeben. Teilweise bestehen zudem Widersprüche in der Gesetzesauslegung. Aus Sicht der Gruppe existiert nun eine Konzernstruktur mit allen Vorteilen hinsichtlich der Umsetzung regulatorischer Vorgaben, an der auch wir partizipieren. Wir müssen nicht alles selbst machen, sondern haben Know-how-Sharing innerhalb unseres Verbunds. Aus diesem Grund fällt es leichter, über diese Gremien Group Structures und Procedures ausrollen zu können, ohne an einem theoretisch formellen Widerstand zu scheitern. Es war also eine einhellige Entscheidung.

Also weniger ein Wandel der Unternehmensphilosophie als eine pragmatische Entscheidung?

Eine regulatorisch-pragmatische und meiner Meinung nach eine der heutigen Rechtssituation und modernen Aufstellung von Unternehmen entsprechende Entscheidung.

Sie haben sich vor ein paar Jahren selbst einen Fahrplan vorgeschrieben, der ein Wachstum auf 10 Milliarden Euro verwaltete Vermögenswerte vorsieht. Befinden Sie sich im Soll?

Ja, wir sind gut unterwegs. Wir haben die Marke sogar schon geknackt, ruhen uns darauf aber nicht aus. An den Märkten haben wir heute Höchststände, können uns aber nicht darauf verlassen, dass es immer nur in eine Richtung geht. Daher müssen wir den angetretenen Weg weitergehen, unser Wachstum intensivieren und neue Kunden und Kundengelder akquirieren. Wir freuen uns zwar, wo wir stehen, aber es geht weiter.

Wir stehen für Pure Play Private Banking

In welchen Geschäftsbereichen sehen Sie das größte Potenzial für Wachstum?

Die Gruppe und auch wir stehen für Pure Play Private Banking. Wir fokussieren uns rein auf vermögende Privatkunden ab einer Größenordnung, bei der das von uns angebotene Beratungsgeschäft mit der entsprechenden Individualisierung ökonomisch tragbar ist. Darauf werden wir uns weiterhin konzentrieren. Außerdem werden wir in diesem Rahmen das Kreditgeschäft anbieten. Unsere institutionellen Kunden bewegen sich hauptsächlich im semi-institutionellen Bereich; Stiftungen sind beispielweise für uns interessant. Das ist unsere bevorzugte Klientel.

Vermögende Privatkunden sind ja eher auf der Passivseite unterwegs. Wie erreichen Sie die gebotene Balance in Ihrer Bilanz?

Das Lombardkreditgeschäft, welches wir vor allem betreiben, ist in Deutschland nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Ländern. In einem überschaubaren Maß werden wir dies intensivieren. Der Fokus liegt aber weiterhin auf der Vermögensverwaltung und -beratung. Wenn jetzt als nächstes die Frage käme, ob wir denn zukünftig überhaupt eine Banklizenz benötigen, sagen wir eindeutig: „Ja.“ Wir wollen nach wie vor der Growth-Anbieter für diese Klientel sein.

Kein Markt für Honorarberatung

Seit vielen Jahren gibt es die große Streitfrage Provisions- oder Honorarberatung. Wie steht Ihr Haus zu diesem Thema?

Dieses Thema betrachten wir durchaus im Rahmen unserer Strategieplanungen. Bisher sehen wir für Honorarberatung jedoch nachhaltig keinen substantiellen Markt in Deutschland. Betrachten wir entsprechende Geschäftsmodelle, haben sich diese in den letzten Jahren ohne wirkliche Sprünge entwickelt. Meine Meinung ist, dass der deutsche vermögende Privatkunde oder die Gesellschaft an sich nicht so strukturiert ist wie in anderen Ländern, wo die Bereitschaft, für eine Beratung ein Honorar zu zahlen, sehr ausgeprägt ist. Flankiert wird dies durch die Auswirkungen des Niedrigzinsumfeldes. Man sieht, wie schwer sich die großen Banken und Sparkassen tun, wenn sie dem Kunden klarmachen müssen, dass nicht jede Bankleistung umsonst ist. Sie sehen ja, wie zögerlich und vorsichtig dieser Weg beschritten wird. Aber: Sag niemals nie. Vielleicht entwickeln sich unsere Gesellschaft und unsere Wahrnehmung irgendwann in diese Richtung. Dann werden wir das auf dem Radar haben. Aber Stand heute zeichnet sich keine Durchsetzung am Markt ab – zumindest nicht in Deutschland.

Zwischen 2002 und 2008 haben Sie zehn neue Niederlassungen in Deutschland eröffnet, seitdem jedoch keine weiteren. Sind Sie zufrieden mit der deutschlandweiten Aufstellung oder planen Sie weitere Standorte?

Die Zeit zwischen 2002 und 2008 war eine Aufbruchsphase bei Merck Finck, in der in einem veränderten Marktumfeld ein Wachstumskurs beschritten wurde. Die Finanzmarktkrise hat die ganze Branche hart getroffen, was natürlich auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen ist. Standortfragen stellen wir uns immer und zwar aus kaufmännischer Perspektive: Wie ist die Kunden- und die Beraterstruktur? Welche Schwellenwerte schaffen wir? Das stellen wir kontinuierlich auf den Prüfstand. Deswegen schließen wir nicht aus, dass sich dort, wo ein neuer Markt vorhanden ist, durch anorganisches Wachstum mit einem wechselwilligen Team eine Opportunität ergibt. Genauso hinterfragen wir permanent die Größe der Teams an den Standorten. Das ist ein regelmäßiger kaufmännischer und Risikocontrolling-Prozess.

Sie haben die Übernahme von Beraterteams angesprochen. Gibt es auch Überlegungen, eine ganze Organisationseinheit – also eine andere Bank – zu übernehmen?

Das ist eine Frage von Opportunität. Wir stehen vor großen regulatorischen Herausforderungen. MiFID II steht vor der Tür. In dieser Situation muss jedes Haus seine Hausaufgaben machen und sein Geschäftsmodell klar justieren. Das tun wir an den Stellen, an denen es Anpassungsbedarf gibt. Wir stehen nach wie vor für das Beratungsgeschäft und werden es weiterhin anbieten. Was darüber hinaus die nächsten Schritte sein könnten, wird der Markt entscheiden.

Kundenvertrauen aufbauen

Sie betonen, dass die Beratung im persönlichen Gespräch statt über Telefon und E-Mail die Qualität Ihres Ansatzes ausmacht. Andererseits spricht die ganze Branche von Digitaler Transformation und Omnichannel. Wie passt das zusammen?

Das passt hervorragend zusammen. Privatbank heißt in erster Linie, dass ich die Kundenbedürfnisse kenne, diese aufnehme und dadurch ein vertrauensvolles Verhältnis zum Kunden aufbaue. Ein vertrauensvolles Verhältnis schließt nicht aus, dass ich bei den Kommunikationswegen und dem Komfort auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden eingehe. Wir beschäftigen uns intensiv damit. Sei es eine mobile App, die Erleichterung gewisser Services für den Kunden, neue Zugänge zum Kunden oder die Verringerung der Papierflut, die mit der Regulatorik einhergeht. Hier werden wir bald auch digitale Lösungen zur Verfügung stellen. Es gibt eine Vielzahl von Themen, die von den Kunden aktiv nachgefragt werden. Und zwar nicht nur von den jungen, sondern auch von den älteren Kunden. Deswegen wehren wir uns dagegen, in Plattitüden und Stereotypen zu denken. Die Kundschaft ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und daher heterogen. Einige Menschen möchten lieber eine eher klassische Ansprache, andere bevorzugen moderne Kommunikationskanäle. Natürlich stellt sich immer die Frage nach der Erbengeneration. Das merkt man ja an seinen eigenen Kindern, die einen verwundert anschauen, wenn man ihnen von dem „Knochen“ erzählt, den man damals als Telefon benutzt hat. Die Generation, die heute aufwächst, gibt uns die Rückmeldung, dass sie den persönlichen Kontakt und die Beratung schätzt, aber natürlich auch die Möglichkeiten und Qualitäten der digitalen Welt für sich in Anspruch nehmen will. Und das wird sie vollkommen selbstverständlich verlangen. Persönlicher und digitaler Kundenkontakt beißt sich ganz und gar nicht. Wir befassen uns sehr aktiv damit, lassen uns aber auch nicht drängen. Wir wollen Analysen durchführen und fundierte Entscheidungen treffen, um dann nach und nach im Sinne des Kunden mit unseren Services und Angeboten an den Start zu gehen.

Müssen Sie da nicht richtig Gas geben? Die Erbengeneration setzt sich aus Digital Natives zusammen, die eher auf einen Robo Advisor zurückgreifen, bevor sie sich in einem altehrwürdigen Haus mit einem Berater treffen.

Dazu gibt es immer zwei Ansichten. Das nehme ich oftmals in Gesprächen mit Kollegen wahr. Aus unserer Branche heraus empfinden wir Robo Advisor und Fintechs als die vielbeschworene Gefahr, zu denen die Kunden abwandern. Wenn Sie es aber von der anderen Seite betrachten, haben diese rein zahlenmäßig – selbst in den USA, wo die Entwicklung bereits einige Jahre Vorsprung hat – noch keine signifikanten Marktanteile gewonnen. Warum ist das der Fall? Eine schlüssige Antwort darauf ist, dass hier wieder das Element Vertrauen ins Spiel kommt. Wir unterhalten uns regelmäßig mit Fintechs, die uns mitteilen, dass hin und wieder Kunden vorbeikommen, um zu schauen, ob es sie wirklich gibt. Bei einem Bankhaus wie dem unseren weiß jeder, dass es existiert. Als alteingesessenes, traditionelles Institut hat es einen unbeschädigten Namen. Wenn wir uns solchen Diensten widmen, weiß man: Es steht etwas dahinter. Und das wird automatisch mit dem Thema Vertrauen verbunden. Diese Höhe müssen Fintechs erst noch aufbauen. Daher ist die Conclusio für uns, wenn wir über diese Dinge nachdenken, in Kooperationsmodellen zu planen. Das sieht man auch an anderer Stelle: Deutsche Bank und Commerzbank haben Kooperationen mit Fintechs, die sie in Frankfurt zusammenführen, um hierarchiefrei und gemeinschaftlich neue Banking-Modelle zu entwickeln. Man tastet sich heran. Ich glaube nicht, dass es eine Einbahnstraße in die eine oder andere Richtung gibt, sondern auch dieses Feld ist heterogen. Das Szenario der massiven Kundenabwanderung kann nur dann eintreten, wenn es den Fintechs gelingt, in kurzer Zeit so viel Vertrauen aufzubauen, dass die Hemmschwelle der Kunden sinkt. Ich denke jedoch eher, dass das Kooperationsmodell für beide Seiten von Vorteil ist. Wir können eine technische State-of-the-art-Lösung für gezielte, geclusterte Themenbündel wesentlich schneller und effizienter in der Kooperation mit einem Partner betreiben, als dass wir versuchen, unsere gesamte IT einmal in diese Richtung zu drehen. Diese Möglichkeiten bergen ein enormes Potenzial für beide Seiten.

„Der Begriff Fintech ist überbelegt.“

Könnten auch vermögende Privatkunden vermehrt Robo Advisor nutzen, wenn diese in einigen Jahren unter Umständen bessere Beratungsergebnisse als der menschliche Berater erzielen sollten?

Das ist nicht auszuschließen. Wir denken, dass die Kombination das sinnvollste Vorgehen ist. Das Vertrauensverhältnis bleibt erhalten. Die Kunden kommen auch aus dem Grund zu uns, weil sie an der einen oder anderen Stelle eine gewisse Exklusivität in einem geschützten Bereich erfahren. Die Kunden schätzen es, diesen Vorteil zu genießen. Wir müssen jedoch kontinuierlich hinterfragen, wie sich die Kundenbedürfnisse und das Verhalten verändern. Und Sie haben Recht: Wenn man jetzt erst damit anfängt, könnte der Zug schon abgefahren sein. Wir müssen uns die Variabilität erhalten. Eine Glaskugel haben wir nicht.

Robo Advisor sind ja nur ein kleiner Teil der Fintech-Branche. Gibt es andere Bereiche, in denen Kooperationen mit Fintechs für Sie interessant werden können?

Dazu sollten wir zunächst einmal definieren, was unter dem Begriff Fintech zu verstehen ist. Die Automatisierung von Prozessen und die Effizienzsteigerung stehen im Vordergrund. Dem müssen wir uns stellen und versuchen, Prozesse schlanker und effizienter zu gestalten. Ob das mithilfe eines Fintechs geschieht, ist zweitrangig. Es geht um Prozesserleichterungen und es ist vollkommen egal, ob dies von der Firma A, B oder C durchgeführt wird. Daher ist der Begriff Fintech für mich schon fast überbelegt. Es geht um das Business, dass wir schon seit vielen Jahren machen. Es geht heute einfach schneller und dynamischer.

Make or buy?

Grundsätzlich stellt sich Banken die Frage: selbst machen oder outsourcen? Es gab mal einen großen Hype aber genauso viel Kritik, dass dadurch die Komplexität steigt. Wie stehen Sie zum Thema Outsourcing?

Auch das ist ein regelmäßiger und sehr vielschichtiger Prozess. Bei „make or buy“ stellt sich zunächst die Frage, ob ich überhaupt die nötige Qualität und Kompetenz besitze und wie hoch die Kosten für die Produktion sind. Ich käme sicherlich nicht auf die Idee, selbst einen Robo Advisor zu programmieren. Das können sich höchstens die großen Banken erlauben. An anderen Stellen steht die Kostenersparnis durch eine effizientere Gestaltung der Prozesse im Vordergrund der Überlegung. Da spielen immer der Faktor Mensch und der Faktor Kosten eine Rolle. Allerdings muss ich meine Prozesse auch im Outsourcing beherrschen, wenn wir beispielsweise an die MaRisk-Novelle denken. Diese Frage müssen Sie sich von Prozess zu Prozess immer wieder neu stellen. Ich muss die Komplexität beherrschen. Was bringt es mir, Prozesse, die heute von fünf gut aufeinander abgestimmten Menschen erledigt werden, an fünf Firmen outzusourcen, die ich dann wieder untereinander koordinieren muss. Dann übersteigt der Aufwand alle Vorteile. In diesem Punkt hat die Branche eine Lernkurve bestritten, die wir bei zukünftigen Entscheidungen im Kopf haben.