„Wir verstehen uns heute als Industriebetrieb“

Wolfgang Hanzl, Chief Information Officer der BAWAG PSK erläutert im Gespräch, wie er die bestehende IT-Infrastruktur von ihrer Komplexität befreien möchte und welche Digitalisierungsprojekte die Bank für die Zukunft geplant hat.


Wolfgang Hanzl (rechts) arbeitet seit Februar 2017 als Chief Information Officer (CIO) bei der BAWAG PSK. Zuvor bekleidete er dort die Position des Head of Operations und war seit 2014 bei den BAWAG-Tochterunternehmen E2E Kreditmanagement GmbH, E2E Transaktionsmanagement GmbH und E2E Service Center GmbH als (Senior) Managing Director tätig.

BANKINGNEWS: Nach krisenreichen Zeiten musste sich die BAWAG PSK im Jahr 2007 praktisch neu erfinden. Heute kann sie sich über starkes Umsatzwachstum und gesenkte Kosten freuen. Wie viel hat in dieser bewegten Zeit der Bereich IT zum Erfolg beigetragen?

Wolfgang Hanzl: Die IT hatte natürlich ihren Anteil an der Kosteneinsparung. Auf der einen Seite, weil sie der große Kostenfaktor ist. Das ist unbestritten. Andererseits ist ebenso wichtig, dass wir uns heute anders wahrnehmen: Wir verstehen uns als Industriebetrieb, der ein Produkt herstellt. Das Wichtigste bei einem Industriebetrieb ist, dass er ein gutes Produkt bietet und dabei auch die Kosten im Griff hat. Wenn VW zum Beispiel einen Golf produziert, dann muss der Wagen per se eine gute Qualität haben. Er muss aber auch günstig produziert sein, und zwar so günstig wie möglich, ohne dabei an Qualität zu verlieren. Das widerspricht sich nicht und ist unser Anspruch: günstig produzierte, gute Produkte anzubieten und damit die Kundenzufriedenheit zu gewährleisten.

„Die IT-Infrastruktur zu entkomplexisieren, ist eines meiner wichtigsten Ziele“

Das klingt sicherlich leichter, als es ist. Mit welchen Schwierigkeiten werden Sie dabei konfrontiert?

Die Masse an Regulierungen ist für uns eine der entscheidenden Herausforderungen. MiFID, IFRS 9, die neue Datenschutzrichtlinie, das sind alles Megaprojekte, die man früher als Jahresprojekte gesehen hätte. Heute muss man sie in kürzester Zeit umsetzen und teilweise ohne authentische Interpretation davon, wie so eine Umsetzung auszusehen hat. Das kann sich lange hinziehen: Zunächst gibt es ein technisches Papier, dann gibt es Konsultierungsprozesse und dann kommt erst die Richtlinie. Letztendlich muss das Ganze teilweise noch in österreichisches Recht gegossen werden, denn an dieser Stelle kann es schließlich auch noch zu Änderungen kommen. Der Grund, warum wir hier solche Probleme haben, ist unsere viel zu komplexe IT-Infrastruktur. Diese zu „entkomplexisieren“, ist eines meiner wichtigsten Ziele.

„Wir müssen uns endlich von diesen starren Systemen lösen“

Wie gehen Sie vor, um dieses Ziel zu erreichen?

Wie nahezu jede große Bank besitzen wir einen Mainframe, mit dem wir jetzt ein paar Jahre leben müssen. Auf diesem sitzt eine Microservice-basierte Architektur, auf die mit einer Public-API, ob von draußen oder von drinnen, zugegriffen werden kann – in 90 Prozent der Fälle ohne dass etwas am Host geändert werden muss. Diese Architektur unterstützt uns in unserer Philosophie, Komplexität zu vermeiden. Mit ihr kann ich Fintechs unterstützen und bin flexibler im Programmieren sowie im Umsetzen von regulatorischen Maßnahmen. Zwar stehen wir hier noch ziemlich am Anfang, aber wir sehen uns trotzdem als Vorreiter und glauben, dass so die Zukunft aussieht. Denn wir müssen uns endlich von diesen starren Systemen lösen.

„Banken müssen weg von der Idee, dass sie etwas Besonderes sind“

In Sachen Digitalisierung gilt die BAWAG PSK als eine der Musterschülerinnen. Was können andere Banken in dieser Hinsicht von Ihnen lernen?

Klare Strategie und Kostenmanagement: Banken müssen weg von der Idee, dass sie etwas Besonderes sind. Wir Banken sind Indus-triebetriebe, die ihre Kosten managen müssen. Wir von der BAWAG PSK sind sehr stolz darauf, dass wir eine Cost-Income-Ratio von 41 Prozent erreicht haben. Dazu trägt die IT natürlich auch ihren Teil bei.

Gibt es konkrete Digitalisierungsprojekte, die Sie jetzt gerade auf der Agenda haben?

Wir arbeiten gerade daran, unser E-Banking und Mobile-Banking komplett zu erneuern. Wir beobachten die wahnsinnigen Zuwachsraten speziell beim Mobile-Banking. Das Smartphone wird immer häufiger nicht nur für Abfragen, sondern auch für Überweisungen genutzt. Wir möchten weg davon, über E-Banking ausschließlich Transaktionen abzuwickeln und hin zum Verkauf. Das wird bei vielen Produkten gelingen, bei vielen anderen aber auch nicht. Einen Hypothekarkredit auf diesem Weg zu vergeben, wird zum Beispiel schwierig, denn den schließt ein Kunde nicht jeden Tag ab und lässt sich lieber vorher beraten. Ein weiteres aktuelles Projekt ist ein kompletter Online-Consumer-Loan ohne manuelle Intervention. Verwendet der Kunde die von uns angebotenen Tools wie Videolegitimation, Bürgerkarte zur Legitimation oder AISP, dann erhält er den Kredit in kürzester Zeit, ohne dass irgendein Mensch dazwischen ist. Das verstehen wir unter Digitalisierung.

„Unser Ziel ist es, so wenige manuelle Interventionen wie möglich zu haben“

Wird dem Kunden diese menschliche Komponente nicht insbesondere in der Beratung fehlen?

Unser Ziel ist es, so wenige manuelle Interventionen wie möglich zu haben, damit wir Beratung gezielt dort anbieten können, wo sie wirklich benötigt wird. Wenn zum Beispiel ein Kunde bei MediaMarkt steht und 10.000 Euro braucht, ist keine großartige Beratung nötig. In diesem Fall müssen wir lediglich wissen, ob er kreditfähig beziehungsweise kreditwürdig ist oder nicht.

Es gibt in Polen Banken, bei denen der Kunde aus dem Online-Banking heraus auf Online-Portalen einkaufen kann. Die Bank erhält dann eine Affiliate-Provision. Ist so etwas auch für Sie denkbar?

Denkbar ist das schon, aber so ein Angebot muss sich natürlich rechnen. Wir haben immer wieder Anfragen und Diskussionen, aber schlussendlich bleibt die entscheidende Frage, ob man eine entsprechende Menge zusammenbringt, damit das Ganze Sinn macht.

Die BAWAG PSK hat bereits mit den Fintechs Finreach und baningo zusammengearbeitet. Was war der Grund für diese Kooperationen?

Da sind wir ziemlich opportunistisch: Wenn man etwas besser machen kann und es schon jemanden gibt, der diese Verbesserung anbietet, dann greifen wir gerne darauf zurück. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns hier alle Möglichkeiten offen halten. Durch unsere Microservice-basierte Architektur ist eine solche Zusammenarbeit auch technisch problemlos machbar.

Einige Banken sprechen davon, dass sie sich zu Technologieunternehmen transformieren werden. Bedarf es dazu mehr Tech-Experten in den Führungsetagen?

Ich glaube, dass wir in der Bevölkerung im Allgemeinen mehr Verständnis für Technik brauchen. Dass wir, ich sag es bewusst provokant, weg von den Orchideenfächern hin zu wirklich handfesten Themen müssen. Ich denke aber, dass im Management von Banken nicht entscheidend ist, ob jemand Techniker ist oder nicht. Wichtig ist, dass ein Manager diesen Tech-Experten ermöglicht, ihre Projekte zu verwirklichen. Denn viel entscheidender als Technikverständnis ist, dass du Führungskompetenz und einen breiten Blick besitzt, um die wichtigen Themen zu erkennen.

„Der größte Komplexitätstreiber ist ein Wildwuchs an Produkten“

Sie haben vorhin über Kosteneinsparungen gesprochen und einen Vergleich zur Automobilindustrie gezogen. Dort gab es durchaus schon die Situation, dass zu viele Kosten eingespart wurden und der Kunde zum Beispiel mit Rückrufaktionen konfrontiert wurde. Wie haben Sie sichergestellt, dass Ihre Kostensenkungen nicht zu Lasten des Kunden gingen?

Ich kann natürlich nur aus der IT-Perspektive sprechen, aber ich bin davon überzeugt, dass der Kunde diese Maßnahmen nicht negativ gespürt hat. Das Entscheidende ist, wo eingespart wird. Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, die besten Rechenzentrumsbetreiber zu sein. Das sind wir nicht. Stattdessen ist unsere Strategie, die Bereiche, in denen wir nicht die Besten sind, an die Besten auszulagern. Mit dieser Vorgehensweise allein können schon wahnsinnig viele Kosten eingespart werden.

Droht durch solche Auslagerungen nicht auch die Gefahr, dass sich die Komplexität erhöht?

Das sehen wir nicht so. Hier ist ein schönes Beispiel: In Österreich kann eine Bank nie ein Tier-3+-Rechenzentrum betreiben. Das ist schlichtweg nicht möglich. Wenn ich als Bank also in ein externes Rechenzentrum auslagere, minimiere ich nicht nur die Kosten, sondern gleichzeitig auch potenzielle Risiken. Komplexität entsteht nicht durch die Auslagerung, sondern wenn man nicht bereit ist, zu standardisieren. Wenn man sich an seine Prozesse hält, dann ist es für alle ein Gewinn. Hält man sich jedoch nicht daran, ist das Outsourcing unnötig und ich zahle am Ende für jede Extraleistung. Der größte Komplexitätstreiber ist ein Wildwuchs an Produkten. Als IT müssen wir transparent sein. Bei allen Zahlen, Daten und Fakten müssen wir vollkommen gläsern sein.

„Man muss in der Lage sein, das Know-how jederzeit wieder zurückzuführen“

Wie sind solche Auslagerungen aus regulatorischer Sicht zu betrachten?

Es gibt da natürlich gesetzliche Vorgaben, aber die sind in EU-Gesetzen sowie im Bankwesengesetz klar geregelt. Wir haben unseren Mainframe und unsere Open-System-Infrastruktur ausgelagert. Da sehen wir keine Probleme. Man muss natürlich eine entsprechende Organisation haben und dazu in der Lage sein, das Know-how jederzeit wieder zurückzuführen. Aber wenn man es kann – und das tun wir, denn wir sind schließlich Profis – bringen Auslagerungen einen Riesenvorteil.

Dadurch fällt auch ein großer Teil des Kontrollaufwands aus dem eigenen Haus weg.

Genau. Auf diese Weise können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich darauf, gemeinsam im Business die Produkte zu entwickeln und an den Markt zu bringen, die der Kunde wirklich braucht. Denn seien wir doch mal ehrlich: Ist der Betrieb eines Rechenzentrums wirklich das Alleinstellungsmerkmal für irgendeine Bank? „Die Bank XY betreibt so ein schönes Rechenzentrum. Das ist atombombensicher und hat zwei unabhängige Stromversorgungen.“ Das würde ein Kunde niemals sagen (lacht). Wodurch unterscheiden wir uns denn für den Kunden? Wir unterscheiden uns über unsere Produkte und darüber, wie er uns in der Filiale oder im Internet wahrnimmt.

„Wir machen nur das Geschäft, das wir verstehen“

Über den Erfolg Ihrer Bank haben wir bereits gesprochen, aber eine Zahl unterstreicht ihn besonders: Die BAWAG PSK hat 2016 knapp eine halbe Milliarde Euro Nettogewinn erzielt. Wie schaffen Sie es, sich im wettbewerbsintensiven österreichischen Bankenmarkt von der Konkurrenz abzuheben?

Ich denke, das Wesentlichste ist, dass wir nur das Geschäft machen, das wir verstehen. So haben wir zum Beispiel keine einzige Niederlassung in Osteuropa. Dort kennen wir uns nicht aus, deshalb machen wir es nicht. Das ist unsere Strategie, die sich bereits seit Jahren bewährt hat: Wachstum, Wachstum, Wachstum, ob organisch oder anorganisch, aber ausschließlich in unseren angestammten Märkten, also in der DACH-Region. Und der Kunde steht bei uns immer im Mittelpunkt. Ihm müssen wir Produkte bieten, die er auch tatsächlich braucht – und das effizient und mit geringem Risiko.

„Es gibt nichts Befriedigenderes, als mit bestehenden Mitteln das
beste Ergebnis zu erzielen“

Was kann die IT bzw. was können Sie als CIO dazu beitragen?

Für die IT gilt dasselbe: Wir drehen jeden Cent um. Als ich früher mit anderen CIOs gesprochen habe, hörte ich häufig Sätze wie „Wir erzielen 10% Wachstum mit 10% CPU“. Nur der Gedanke an so eine Aussage ist für uns inakzeptabel. Für uns ist klar: Ich erreiche 10% Wachstum mit 0% CPU. Das haben wir in unsere DNA aufgenommen. Und das ist etwas Schönes, denn es gibt schließlich nichts Befriedigenderes, als mit bestehenden Mitteln und guten Ideen das beste Ergebnis zu erzielen.